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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Schilling für die ewige Liegerstatt und um fünf Heller Farb’ auf dem Brettl, und Dein Weib soll nichts haben davon, und es hätt’ auch nicht sein müssen ums Lehent! Nur grad, daß ich die rothen Händ’ davon hab’! Alles umsonst, alles, alles! Aber gelt ja, Bauer? Es wird halt so sein müssen! Warum? Da kannst lang drum fragen!“

„So red’ doch nicht daher wie ein Unsinniger! In meinem Kopf schaut es eh’ schon aus wie in einem Grillenhäusl.“

Da klang vom Hause her Zenzas scharfe Stimme: „Vater!“

„Ja, ja, ich komm’ schon!“ rief der Eggebauer zurück und wandte sich wieder zu Wolfrat. „Mir graust, weil ich nur wieder hinein muß ins Haus! Ich sag’ Dir’s, Polzer, mir graust vor einer jedweden Stund’! Und wenn eins anfangt, kommt gleich alles ubereinander. Ich mein’, ich hätt’ schon genug an dem Weib, und jetzt fangt das Mädel auch noch an und dreht den Daum’ auf, weint in einem fort oder schreit und haut alles kurz und klein, was ihr in die Händ’ kommt, als wär’ seit gestern eine Hex’ in sie hineingefahren. Ich sag’ Dir’s, Polzer, jedes Stückl Vieh in meinem Stall hat’s besser als ich, der Bauer. Umeinander steh’ ich wie eine Sulz, an der alles zittert, wenn einer mit dem Finger dran hinrührt. Mir schmeckt kein Bissen mehr und kein Trunk! Da schau her!“ Und der Eggebauer stieß die Faust hinter seinen ledernen Gurt. „Da schau her ... zwischen Gurt und Bauch fahrt mir schon bald ein Wagen durch! Polzer, Polzer! Es wird halt doch wahr sein ... man soll die Händ’ von allem lassen, was nicht richtig ist. Was hast davon? Nichts, nichts, nichts ... als daß Dir’s den Schlaf vertreibt und den Magen bäht!“

„Gelt? Kommst auch schon drauf?“

Und während Wolfrat lachte mit bleichen Lippen, kugelten dem Eggebauer zwei dicke Zähren über die schwammigen Backen. Der Bauer fuhr sich mit dem Aermel uber die Nase. „Was ist denn ... ist die Dirn’ schon wieder heimgekommen?“

„Ich weiß nicht.“

„Gelt ja, wenn Du was hörst, wie’s droben ausschaut, so komm’ und sag’ mir’s!“

Wolfrat nickte; dann gingen sie auseinander.

Als der Sudmann in seinem Haus die Stube betrat, sprang ihm Lippele jubelnd entgegen; der Bub’ hatte dem Vater eine große, große Neuigkeit zu melden: in der Scheune begännen zwei „wutzikleine Vogerln“ ihr Nest zu bauen.

„So, so?“ sagte Wolfrat und strich mit zitternder Hand über den Kopf seines Buben. „Nachher geh’ nur, Lippele, und schau ihnen zu und paß recht auf ... weißt, nachher kannst Dir auch einmal ein Nest bauen!“ Er schob den Knaben zur Thür hinaus.

Kaum war der Bub’ verschwunden, da richtete sich Sepha im Bette hastig auf. Alle Angst ihres Herzens zitterte in ihrer Stimme. „Polzer? Hat Dich schon einer drum angeredet?“

Er schüttelte den Kopf. „Es kann ja noch keiner drum wissen.“ Als wären ihm alle Glieder gebrochen, so schlaff ließ er sich auf den Rand des Bettes nieder. Sie faßten sich bei den Händen und sahen sich stumm in die Augen. Wolfrat ließ den Kopf auf die Brust sinken, und Sepha weinte leise vor sich hin.

Nach einer Weile fragte sie: „Wo liegt’s denn?“

„Bei der Mauer im Eck!“

Und wieder nach einer Weile: „Hast das Brettl mit heim gebracht?“

Er nickte.

„Geh’, laß mich’s doch anschauen!“

„Wozu denn? Schau, Seph’, was hast denn davon? Nur daß Dich kümmern mußt!“

„Ich möcht’s aber sehen! Mehr hab’ ich ja eh’ nimmer von ihm als wie das Brettl.“

Er ging und holte das Totenbrett. „Gelt, schön hat er’s gemacht?“

Sie wischte sich die Thränen aus den Augen, um besser sehen zu können. Schweigend hielt sie das Brettlein vor sich hin, um seinen Rand war ein Kränzlein gemalt, welches blühende Schneerosen vorstellen sollte; in der Mitte stand, blau und roth, der Name; und darunter ein schwarzes Kreuz. Mit brennenden Augen starrte Sepha die Zeichen all, die sie nicht lesen konnte, von denen sie nur wußte, was sie bedeuten sollten ... „Mariele! Mariele!“ Aufschluchzend bedeckte sie das Gesicht mit beiden Händen.

Abermals verging eine lange, stumme Weile. Dann fragte Wolfrat: „Wie nimmt’s denn der Bub’ auf? Hat er schon einmal gefragt nach ihr?“

Sie schüttelte den Kopf. „Mein Gott. ... ein Kind! Ich glaube, er spürt’s gar nicht, daß eins fehlt im Haus.“

„Könnt’ eins doch allweil ein Kind bleiben! Da ist jeder Tag wie ein ganz’ Leben; nachher schlafst und fangst wieder ein neu’s an!“ Wolfrat erhob sich und stieß die Kammerthür auf, und als er den Raum leer fand, fuhr ihm ein Fluch über die Lippen.

„Polzer, Polzer!“ stammelte Seph’. „So sei doch froh, daß die Dirn’ noch allweil nicht daheim ist. Ich mein’, das wär’ ein gutes Zeichen! Sie wird ihn lebig gefunden haben. Polzer, Polzer! Wenn das wahr sein könnt’ wenn er davonkäm’! Wär’ das ein Glück!“ Schluchzend hob sie die Hände gegen den Himmel. „O du grundgütiger Herrgott, schau, nur grad das Einzige thu’ uns ...“

„Ja, ja, nur grad das Einzige thu’ uns!“ fiel Wolfrat mit heiserem Lachen ein. „Ja, schau doch, daß er wieder aufkommt, daß er herstehen kann vor mich und den Arm ausstrecken und sagen: ‚Der da war’s! Wär’ das ein Glück! Geh’, Seph’, geh’, brauchst Dich ja nimmer sorgen, es wird schon so kommen! Die Dirn’ wird schon helfen dazu . . . und wenn sie ihn lebig gefunden hat, wird sie ihn hascheln und bappeln und wird reden für ihn und wird’s halten mit ihm gegen uns!“

„Polzer! Wie kannst denn so von Deiner Schwester reden!“

„Schwester! Schwester!“ lachte Wolfrat zornig auf. „Ich hätt’ wohl gemeint, sie wär’ angewachsen an uns. Aber Blut ist Blut! Ja, ja ... sie will halt hoch hinaus! Hat sich aber doch vergriffen! Wenn er auch, gleich ein Federl auf der Kappen tragt und ein Schießzeug führt wie ein Herrischer ... er ist halt doch nur ein Knecht!“ Wieder lachte er. „Sie soll ihn haben! Und wenn sie drinsitzt in seiner Keuschen ... nachher sag’ ich ihr’s!“

Sepha schaute ihn mit großen Augen an; sie verstand nicht, was er redete. „Was, Polzer, was willst ihr sagen?“

Er wandte sich ab und that, als hätte er ihre Frage nicht gehört.

„Polzer?“

„Laß mich in Fried’ mit der Dirn’! Sie hat mein Brot gegessen ... und schickt mir zum Vergeltsgott den Freimann über den Hals!“

„Jefus!“ schrie Sepha auf, griff mit beiden Händen zum Herzen und fiel erblassend in die Kissen zurück.

Er stürzte erschrocken zu ihr. „Seph’, um Gottswillen, was hast denn?“

„Völlig ungut ist mir ’worden!“ sagte sie mit matter Stimme und umklammerte seine Hand.

„Schau, Seph’! thu’ mir’s zulieb, nimm mir doch grad die Sorg’ um Deinetwegen von der Seel’ ... schau, der Krank in Dir wird ja ärger mit jeder Stund’ ... schau, wenn Dich überwinden könnt’st und thät’st die Schweißbluh’ nehmen.“

„Und wenn’s um mein ewiges Leben wär’, Polzer .... ich thu’s nicht! Lieber soll’s mit mir ein End’ haben mit dem nächsten Schnaufer!“

Er athmete tief und erhob sich.

„Schau nach der Zeit, Polzer,“ sagte sie, „Du mußt ins Sudhaus. Und das Brettl mußt auch noch aufstellen.“

Er nahm das Totenbrett, suchte einen Hammer hervor und wollte die Stube verlassen. Unter der Thür wandte er sich wieder, löste einen hölzernen Pflock aus der Lehmwand und zog den Lederbeutel mit der Schweißbluh’ aus der Vertiefung hervor.

„Was willst denn damit?“ fragte Sepha ängstlich.

„Wegschaffen muß ich’s! Ich kann’s doch nicht in der Mauer drin faulen lassen.“

Nun ging er. Vor der Hausthür blieb er stehen. „Miez, Miez!“ rief er. Aus der Scheune kam eine graue Katze herbeigesprungen. Ihr warf er den Inhalt des Beutels vor. „Für die Katz’! Alles für die Katz’!“

Er stand und schaute dem Thiere zu, wie es gierig über die Brocken herfiel; aber je hastiger es fraß, je besser ihm das Gericht zu munden schien, desto finsterer wurden Wolfrats Blicke, desto mehr machte ihm ein heiß aufsteigender Zorn die Adern an den Schläfen schwellen. Und als die Katze das letzte Bröslein aus dem Sande leckte, schwang Wolfrat jählings den Hammer: „Sollst du allein was haben davon?“ Er warf den Hammer ...

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