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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

zu verweilen; um so schärfer war dann aber auch am folgenden Morgen Frau Cäcilias Zünglein geschliffen; und da das größere Feuer die größere Hitze macht, war es begreiflich, daß Herr Schluttemann an solch einem Montagmorgen in seiner Amtsstube umherfuhr wie ein Wetterstrahl, der aus den Wolken keinen Ausweg findet, immer blitzt und donnert, ohne sich ganz entladen zu können.

Als Wolfrat über die Schwelle trat, fiel Herr Schluttemann mit einem Schwall von scheltenden Worten über ihn her wie ein Wildbach mit seinen Wassern über den geduldigen Felsblock; denn Wolfrat stand ruhig und schweigend; eine Weile ließ er das Ungewitter über sich ergehen, dann aber, als Herr Schluttemann eiumal Athem schöpfte, sagte er: „Was plagt Ihr Euch so mit Schreien, Herr Vogt? Ich hör’ auch, wenn Ihr den Blasbalg minder anzieht!“

Die Verblüffung über diese kecke Rede schien Herrn Schluttemann beinahe in Stein zu verwandeln; dann wurde sein rothes Gesicht noch röther, er warf die Fäuste in die Höhe, durchmaß im Sturmschritt die Stube und donnerte: „Hat man so was schon erlebt in der ganzen Christenheit? Wie dieser Mensch sich mit mir zu reden getraut! Solch ein Schwertmaul! O! Ah! Hoho! Ich, der Vogt, ich soll wohl höfische Reden führen . . . mit solch einem Salzpantscher? Belieben, geruhen, befehlen Euer Gnaden? Soll wohl gar noch katzebuckeln vor solch einem Kerl, der das Lehent nicht bezahlen kann?“

Aus Wolfrats Augen schoß ein finsterer Blick. „Wer sagt Euch das, Herr Vogt? Ich bring’ das Lehent.“

Herr Schluttemann drohte die Fassung zu verlieren. „Er bringt das Lehent . . . bringt es . . . bringt es?“ Blasend stemmte er die Fäuste in die Hüften und kam auf Wolfrat losgeschossen, als wollte er ihn übern Haufen rennen wie der Sturmbock die Mauer. „Wer hat Dich geheißen, das Lehent zu bringen? Wenn Seine hochwürdigsten Gnaden, unser Herr Propst, die Güte und himmlische Milde haben zu sagen: man sehe zu, ob dieser Wolfratus ein Spieler und Säufer ist ... und das bist Du nicht, und ein tüchtiger Schaffer bist Du auch, da beißt die Maus keinen Faden ab, Gott straf’ mich! . . . und wenn es wahr ist, sagen Seine Gestrengen, Herr Heinrich von Inzing, mein allergnädigster Herr Propst, so soll diesem Wolfratus für heuer das Lehent erlassen sein!“ Herrn Schluttemann ging der Athem aus.

„Das Lehent . . . erlassen sein?“ stammelte Wolfrat. Er war bis in die Lippen erbleicht und wankte, als hätte ihn ein Schwindel befallen.

„Und jetzt bringt er das Lehent . . . bringt es . . . bringt es!“ Herr Schluttemann rang über diese Thatsache die Hände, als hätte er den Untergang von Jerusalem zu bejammern. Und wieder zu Wolfrat sich wendend, schrie er ihn an: „Ja woher hast Du denn das Geld?“

„Ich hab’s geschafft, weil es her mußte!“ erwiderte Wolfrat, starr aufgerichtet, mit heiserer Stimme. „Woher ich es hab’, braucht Euch nicht zu kümmern . . . Ihr müßt es ja nicht heimzahlen. Aber wenn Euch schon die Neugier plagt: der Eggebauer hat mir’s geliehen!“

„Der Eggebauer? Geliehen?“

„Ja, weil ich ihm in der Samstagnacht seinen hölzernen Herrgott hinaufgetragen hab’ auf seine Alm in der Röth’.“ Laut und langsam sprach Wolfrat diese Worte.

„Den schweren Herrgott? In der Nacht? Und deshalb hat er Dir das Geld geliehen?“

„Ja, und weil er vielleicht gemeint hat, Ihr könntet ihm noch einen schlechteren Nachbar auf das Genick setzen, wenn ich vom Lehen gejagt würde.“

„Der Teufel jagt Dich vom Leheu, aber ich nicht!“ donnerte Herr Schluttemann. „Bin ich denn ein Wurm, der Feuer speit und Steine frißt? Auf der Stelle machst Du jetzt, daß Du heimkommst zu Weib und Kind. Und diesem Schmersack giebst Du sein Geld zurück ... bei Heller und Pfennig! Pack Dich!“

Herr Schluttemann machte einen Versuch, Wolfrat am Kragen zu nehmen, um ihn zur Thür hinauszudrehen. Der Sudmann aber faßte mit eisernem Griff den Arm des Vogtes. „Jetzt hab’ ich das Geld . . . jetzt will ich auch bezahlen! Ich will von keinem was geschenkt . . . und vom Kloster am allerletzten.“ Er ging auf den Tisch zu und zählte die acht Schillinge der Reihe nach auf die Platte, und jedem gab er mit dem Daumen einen Druck, daß es klang und klirrte.

„Ja, Himmelwetter noch einmal, soll ich denn in meiner Stube nimmer Herr sein?“ schrie Herr Schluttemann, dessen rothe Nase vor Zorn blau anlief wie Stahl im Feuer. „Wirst Du gleich thun, was ich sage! Wirst Du gleich das Geld wieder einpacken! Wirst Du machen daß Du weiterkommst!“ Und bei jedem „wirst Du“ schlug er die Faust auf die Tischplatte, daß die Silberstücke sprangen und hopften wie die Dirnen beim Ostertanz. „Und wenn der Eggebauer schon sein Geld zum Fenster hinausschmeißen will, so behalt’ es selber und laß’ es Deinem kranken Kind zu gut kommen ... das Kloster braucht es nicht!“

„Und mein Kindl auch nimmer!“

„Dein Kind ist also wieder gesund?“

„Wohl, wohl . . . dem thut kein Faserl nimmer weh. Der schwarze Bader hat ihm geholfen der Armeleut’bader . . . und umsonst, Herr Vogt, ganz umsonst! Der hat allweil Zeit und hat keinen Schlaf in der Nacht, wenn eins um ihn schreit! Und wenn Ihr auch gerad einmal Zeit habt, Herr Vogt, nachher nehmt das Leut’buch aus dem Kasten und machet einen dicken Strich, wo meinem Kindl sein’ Nam’ steht . . . Polzer Mariele.“ Wolfrat wandte sich ohne Gruß zur Thür.

„Polzer! Um Herrgottswillen . . .“ stotterte Herr Schluttemann. „Polzer! He! Polzer!“

Aber Wolfrat hatte die Stube schon verlassen. Vor dem Klosterthor stand er still und drückte die Fäuste vor die Stirn. „Das auch umsonst, das auch! Und niemaud anders hat mir das eingebrockt als die Dirn’!“ Er streckte die rechte Hand vor sich hin und sprach sie an mit verbissenem Lachen: „Du hast es nothwendig gehabt, daß Dich so getummelt hast . . . selbigs mal!“ Er richtete sich auf und ein zorniger Blick seiner heißen Augen suchte die fernen Höhen der Berge. „Aber wart nur, Du Kramp . . . komm mir nur wieder unter die Hand!“

Nun ging er, das Totenbrett seines Kindes zu holen.

Als er sein Lehen erreichte und in den Hausflur treten wollte, hörte er vom Hag her einen leisen Pfiff. Dort drüben stand der Eggebauer. Wolfrat spähte zuerst nach allen Seiten, dann lehnte er das Totenbrett an die Wand und ging zum Hag.

„Warst bei ihm?“ fragte der Eggebauer mit flüsternder Stimme.

Wolfrat nickte und starrte vor sich nieder.

„Was nottelst[1] denn allweil vor Dich hin? So red’ doch!“ stotterte der Bauer, dem die heillose Angst, die ihn erfüllte, aus jedem Blick und jeder Miene sprach.

„Reden! Was ist denn viel zu reden! Heut hater noch allweil nichts wissen können. Und ich selber hab’ geredet, wie’s ausgemacht war. Halt’ nur Du fest bei der Stang’, wenn die Frag’ einmal an Dich kommt!“

Der Eggebauer machte zwei Fäuste mit eingezogenen Daumen.

„Wie steht’s denn mit Deinem Weib?“ fragte Wolfrat. „Hast es ihr schon gegeben?“ Er meinte das Herzkreuzl des Steinbocks.

Der Eggebauer schüttelte trübselig den Kopf. „Das Weib treibt’s ärger mit jeder Stund’. Was Füß’ hat im Haus, Mensch und Hund und Katz’ . . . alles wird von dem Weib umeinander getrieben, daß einem der Schnaufer vergehen möcht’! Und wenn ihr der Wehdam ankomntt, nachher hält’s schon gar kein Mensch nimmer aus mit ihr. Und doch, und doch ... ich trau’ mich nicht, daß ich ihr’s gieb! Wenn das Weib gesunden thät’, sie könnt’ das Maulwerk nicht halten – und alles müßt’ aufkommen.“

Es zuckte seltsam in Wolfrats Zügen. „Und am End’ willst es ihr gar nimmer geben, aus lauter Angst, es könnt’ ihr helfen?“

Der Bauer nickte. „Und daß mich die Versuchung nicht ankommt, wenn mich das Weib g’rad wieder einmal plagt bis auf die Haut . . . drum hab’ ich das ganze Teufelszeug’ mitsammt dem Büchsl hinterm Haus vergraben!“

Jetzt lachte Wolfrat hell hinaus.

„Geh’, Du Narrenteufel, was hast denn?“ brummte der Eggebauer, dem gar nicht lustig zu Muth wurde bei diesem Gelächter. „Mir scheint, Du kommst aus der Wirthsstub’ . . . aber nicht vom Friedhof.“

„Aber geh, Bauer, so lach’ doch mit! Denn jetzt paßt alles zu einander . . . mein Kindl hat nichts davon haben sollen als wie den halben

  1. Nicken (bildlich) = grübeln.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_331.jpg&oldid=- (Version vom 15.2.2021)