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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

So versuchte ich denn mein Glück, und siehe da, die schöne Frau ermunterte huldvoll die schüchternen Versuche, meiner glühenden Verehrung Ausdruck zu geben.

‚Besuchen Sie mich öfter,‘ hatte sie gnädig gesprochen, in Erwiderung stummer, vermuthlich allzu beredter Blicke. So ritt ich denn hinüber nach der Stabsgarnison so oft ich nur konnte. ‚Nun?‘ fragten spöttisch die Kameraden, wenn ich erschöpft von dem weiten Ritte heimkam. Aber ich konnte immer nur durch die Beschreibung des Soupers ihren Neid erregen. Kein neues Zeichen ihrer Huld, keine Gelegenheit zu meiner kühnen, wohl vorbereiten Liebeserklärung!

Eines Tages – ich wußte den Major auf einer Dienstreise – ritt ich trotz eines schneidenden Herbstwindes wieder hinüber, in scharfem Trabe. Im Geiste sah ich mich schon auf den Knien vor der göttlichen Irene, sah ihren schmachtenden Blick, ihr huldvolles Lächeln – mir schwindelte! Wer beschreibt aber die Enttäuschung, die mich an der Thür der Angebeteten empfing – die gnädige Frau sei leidend, hieß es. Schon war ich wieder im Sattel und wollte in stummer Verzweiflung meinem Pferde die Sporen geben, da, zur guten Stunde, erschien das Kammerkätzchen.

‚O, den Herrn Lieutenant würde die gnädige Frau schon empfangen; die Migräne hat nachgelassen. Wenn der Herr Lieutenant eine Tasse Thee im Boudoir ...‘

In sehr gehobener, aber keineswegs behaglicher Stimmung folgte ich der niedlichen Führerin in das magische Halbdunkel des Heiligthums, wo die Majorin hingegossen lag, von dem knisternden Kaminfeuer à la Rembrandt beleuchtet. Die halbgeschlossenen Lider, der leidende Ausdruck des klassischen Gesichts, das wie gemeißelt auf dem dunklen Sammetkissen des Diwans ruhte, das alles erhöhte den bezaubernden Eindruck. Und als jetzt die schmale weiße Hand sich müde emporhob, um mich heranzuwinken, da war ich so befangen, so erregt, daß ich kein Wort hervorbrachte.

Ich begann denn sogleich mit der Einleitung zu meiner wohleinstudierten Erklärung – ich ließ mich auf ein Knie nieder, die schöne Hand zu küssen.“

„Sehr effektvoll,“ lobte Edwin. „Nun kommt das huldvolle Lächeln, der schmachtende Blick ...“

„So wäre es ohne Zweifel gekommen, wenn mein Schleppsäbel es nicht für gut befunden hätte, sich im entscheidenden Augenblick zwischen meine langen Beine zu stecken. Das verursachte einen Heidenlärm und überdies eine schwankende Bewegung meines Oberkörpers, die eine irrige Auffaffung meiner Kniebeugung veranlaßte – als sei sie nicht ganz freiwillig gewesen. Es traf mich ein strafender Blitz aus den Augen der göttlichen Irene, dem ein spöttisches Lächeln folgte. Nun stand ich, ein Bild des Jammers, erröthend da während der feierlichen Schwertentgürtung, bei welcher mir die Zofe, die eben wieder eintrat, mit einem nichtswürdig verständnißinnigen Gesicht Hilfe leistete. Dann schob die Kleine einen Lehnsessel an das Ruhebett der Herrin, was mir vollends alle Fassung raubte – war es denn auch schicklich, dieses nahe Zusammensein? Und dann lispelte die Majorin Fragen, die ich durchaus nicht verstehen konnte, ich – nach einigem Räuspern – machte schüchterne Versuche, allerlei Geschichten, die ich unserem Witzbold abgelauscht hatte, amüsant vorzutragen – umsonst! Ich hatte überall die Pointe vergessen!

Meine Befangenheit steigerte sich bedenklich; ich fühlte die Schweißtropfen auf der Stirn. Da – gottlob, ein Gepolter an der Thür! Ein reichgedecktes Tischchen wird an das Lager der Herrin geschoben. Das Kammermädchen reicht den Thee; die Bewegung um uns giebt mir die Haltung wieder.

Beim Anblick des kalten Hahnes und sonstiger Leckerbissen werde ich mir auch meines Hungers bewußt ich lasse es mir angelegen sein, den ermunternden Aufforderungen der schmucken Zofe zu genügen, und da meine schöne Wirthin die Augen geschlossen hält, sind mir für eine Weile die Qualen der Unterhaltung erspart. So schlürfe ich denn meinen Thee mit steigendem Wohlbehagen, er duftet köstlich. Dazu die angenehme Wärme, der bequeme Lehnsessel, die heimliche Stille, die dämmerige Beleuchtung – das Gefühl des Behagens wird immer mächtiger – weltvergessener – lautloser – –

Da, plötzlich, ein sonderbarer schnarrender Laut! Ums Himmelswillen, wo war ich denn? – Hatte mein Kopf nicht da auf dem Tische gelegen? War nicht ich der Urheber dieses sägenden Geräusches? Entsetzt schnellte ich in die Höhe. Ja, bei allen Heiligen, ich hatte geschlafen! Wie lange, das wußten die Götter und vielleicht die Frau Majorin, die mit höhnischem Lächeln bemerkte: ‚Süß geträumt, Herr Lieutenant?‘ Wie von den Furien getrieben, stürzte ich aus dem Zimmer, die Treppe hinab, nach dem Stalle – ‚und Roß und Reiter sah man niemals wieder!‘“

Unter zunehmender Heiterkeit der Znhörer hatte Onkel Christian seine Erzählung beendet und stimmte nun mit ein in das schallende Gelächter der Herren. Nur Egon blieb ernst. „Das ist doch nicht Liebe,“ meinte er kopfschüttelnd, und ich konnte nicht umhin, ihm beizustimmen.

„Bisher ist es Scherz,“ erklärte Schwester Jette, die sich etwas einbildete auf ihre Menschenkenntniß. „Doch paßt auf, nun kommt eine echte rechte Liebe! Ich habe beobachtet, daß Männer zwischen zwanzig und dreißig am tiefsten empfinden. Nicht wahr, Onkel, dem leichten Geplänkel des Jünglings folgte der ernste Kampf des Mannes?“

„Was nun folgte, war allerdings ein ernster Kampf, darin magst Du recht haben, Jette, ja es war eine wahnsinnige Neigung, und dennoch würde sie wohl vor Egons Richterstuhl nicht als echte rechte Liebe bestehen.“

„Ja, so ein kolossaler Aufwand von Empfinden ist nicht immer auch echte Liebe,“ bemerkte August.

„Das war’s, Du hast die richtige Bezeichnung gefunden, August – ein kolossaler Aufwand von Empfinden, an ein Wahngebilde meiner Phantasie vergeudet! – Es ist eine peinliche Erinnerung, ich wollte lieber davon schweigen.“

„Vielleicht nicht für Damenohren ‚Fall vier‘?“ nahm Edwin das Wort. „Ich beantrage Räumung der Galerie! Leonore, Hilda, Egon mögen ausgewiesen werden.“

Mit einem Schrei der Entrüstung wandte sich die Schwester gegen den „empörenden Antrag“.

Onkel Christian lachte herzlich. „Beruhige Dich, Hilda,“ sagte er. „‚Fall vier‘ ist entschieden weniger interessant als das Vorangegangene.“

„Aha, Du möchtest Dich um die Sache herumreden, Onkel! Aber jetzt kenne ich erst recht keine Gnade – heraus mit der Sprache!“ rief Hilda nachdrücklich.

„Onkel, wenn Du doch beginnen wolltest und Dich nicht unterbrechen ließest ...“

„Wie? Auch Du, Leonore? Auch Du willst die unsinnige Geschichte hören? Nun gut, Euer Wunsch sei mir Befehl. So hört denn! Zu Beginn des Jahres 1848 lag mein Regiment in einem der größeren ungarischen Städtchen, das von deutscher Kultur wohlthuend berührt war. Unter anderen Vorzügen besaß es auch ein ganz nettes deutsches Schauspielhaus ...“

„Ha!“ rief Lothar luftig, „ich wittere Coulissenluft.“

„O weh!“ seufzte August verständnißinnig, „eine Sirene von der Bühne! Armer Onkel!“

„Und eine der gefährlichsten ihrer Gattung,“ bestätigte dieser, „denn sie wußte sich mit einem Heiligenschein von Sittenstrenge zu umgeben, überdies mit geheimnißvollen Gerüchten über stolze Herkunft ...“

„Man kennt das – Leim, an dem die fetteste Beute hängen bleiben soll,“ brummte August.

„Beim Zeus, Du hast recht,“ gab Onkel Christian lachend zu, „darauf war es abgesehen; ein reicher Gatte sollte sich in dem Garne fangen. Damit hatte das aber in jener Zeit für eine Bühnenheldin größere Schwierigkeit als heutzutage. So suchte denn Julia – diesen Namen wollen wir ihr geben – das Unwahrscheinliche durch einen ungeheuren Aufwand von Tugendreklame wirklich zu machen. Sie führte einen förmlichen Hofstaat von Anstandsdamen mit sich; ‚das Corps der Rache‘ nannten wir diese Garde von alten Jungfern, die stumm und starr und steif sich auf feindselige Blicke beschränkten, wenn man wagte, ihrer Schutzbefohlenen zu nahen. Diesen Wächterinnen des Paradieses spielten wir Possen, wo wir nur konnten; dennoch imponierte uns die Sache und erhöhte durch den Reiz der Unnahbarkeit den Zauber von Julias Erscheinung.“

„War sie sehr schön?“ fragte ich neugierig.

„Ja, das war sie, eine äußerst schlanke Gestalt, fast etwas zu groß für die Bühne, aber in vollstem Ebenmaß gebaut;

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_315.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2020)