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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Einer, den mir der Herrgott in der Röth’ geschickt hat.“

Er lachte; den „Herrgott“, der in der Röth’ am Kreuz hing, den hatte er ja selbst geschnitzt. Eine Feine, die Zenza! Die Wörtlein stellen, das verstand sie wie keine! Aber jetzt sollte sie erst recht den Namen nennen, jetzt gerade!

„Wer bin ich?“

„Einer, der sich heut nacht an meinem Fenster nicht hat klopfen trauen, wie er den Buschen gebracht hat, den ich im Mieder trag’!“ Und mit jähem Ruck riß Zenza die Hände des Burschen nieder, zog seine Arme fest um ihren Hals und blickte über die Schulter lachend zu ihm auf. Als sie aber sein Gesicht erblickte, verstummte ihr Lachen. „Ulei?[1]Du?“ stotterte sie, und da er sie festzuhalten suchte, stieß sie ihn zornig von sich.

„Aber Zenza … ich bin’s ja doch …“ stammelte er und deutete auf die Veilchen an ihrer Brust.

Sie trat mit funkelnden Augen vor ihn hin. „Du? Du hast mir den Buschen gebracht?“ Mit häßlichem Lachen riß sie das Sträußchen aus ihrem Mieder und warf es dem Burschen an den Kopf. „Da hast mein Vergeltsgott!“

Ulei stand mit erblaßtem Gesicht, während Zenza in der Thür der Taferne verschwand. Sie mußte das Haus und dann einen Hof durchschreiten, um die Scheune zu erreichen, in welcher der Ostertanz gehalten wurde. Da ging es laut und lustig zu; auf dem Heuboden saßen zwei Fiedler und ein Sackpfeifer, welche sich eben anschickten, einen neuen Tanz zu beginnen. Einzelne Paare traten schon zum Reigen an, die Dirnen lachend, die Burschen jauchzend und mit den Füßen stampfend.

Unter dem Thor der Scheune blieb Zenza stehen und rief mit lauter Stimme in den wirren Lärm hinein: „Buben! Wer ist unter Euch der ärmste und der mindest’?“

Es wurde still, und alle Gesichter wandten sich ihr entgegen; doch erhielt sie keine Antwort; es wollte keiner der ärmste und schlechteste sein. Zenza trat in die Mitte der Scheune.

„Ist einer da, den gar keine andere mag?“

„Der Kropfenjörgi! Der Kropfenjörgi!“ schrien die Mädchen lachend durcheinander.

Zenza blickte suchend umher und sah in einem Winkel der Scheune einen Burschen hocken mit blatternarbigem Gesicht und blöden Augen; wer ihn ansah, brauchte nicht mehr zu fragen, weshalb er der Kropfenjörgi hieße. Zenza trat auf ihn zu und faßte seine Hand. „Komm her, Jörgi, heut’ tanz’ ich nur noch einen einzigen … und den tanz’ ich mit Dir! He, Spielleut’! Macht einen auf!“

Jörgi wurde roth und blaß; doch als er sah, daß es Zenza ernst meinte, stieß er einen gellenden Jauchzer aus, reckte sich stolz in die Höhe und faßte das Mädchen um die Mitte.

Die Geigen klangen, die Sackpfeife dudelte, aber kein zweites Paar trat zum Reigen an: die Burschen und Mädchen standen im Kreis umher und begleiteten den Tanz der Zenza und des Kropfenjörgi mit johlendem Gelächter.

(Fortsetzung folgt.)
  1. Ulrich.


Die Hamburger Schreckenstage.

Zum fünfzigjährigen Gedächtniß an den großen Brand in Hamburg vom 5. bis zum 8. Mai 1842.
Von Adolf Ebeling.0 Mit Zeichnungen von H. Amberg.


 „Hört ihr’s wimmern hoch vom Thurm?
 Das ist Sturm! …“

Ein halbes Jahrhundert ist seit jenen furchtbaren Tagen verflossen, in denen meine Vaterstadt Hamburg fast zu einem Drittheil in Flammen unterging und nahe daran war, völlig in einen einzigen ungeheuren Trümmerhaufen verwandelt zu werden; und bis auf den heutigen Tag gehört dieses Ereigniß zu den denkwürdigsten und zugleich entsetzlichsten meines Lebens. Die langen, langen Jahre haben das grauenvolle Bild in meiner Erinnerung wohl zurückzudrängen, aber nicht auszulöschen vermocht, und jetzt, wo ich es, gleichsam zu einer wehmüthigen Gedächtnißfeier, aufs neue in mir wachrufe, tritt es bis auf seine Einzelheiten wieder so lebendig vor meine Seele, als gehörte es der jüngsten Vergangenheit an.[1]

Eine kurze Vorbemerkung ist hier nöthig, um die gleich von Anfang an unglaublich schnelle Verbreitung der Feuersbrunst einigermaßen zu erklären. Der Monat April des Unglücksjahres 1842 war nämlich ungewöhnlich warm und trocken gewesen, so daß die vielen Fleete (Kanäle) der Altstadt, welche die Alster mit der Elbe verbinden, sowie der Stadtgraben im Osten fast wasserleer waren. Ferner bestanden dort, wo die Feuersbrunst ihren Anfang nahm, die meisten Häuser aus Fachwerk mit steil aufragenden Giebeln, welche das Besteigen der Dächer sehr erschwerten, und drittens geriethen gleich in den ersten Stunden einige große sechs- und siebenstöckige Speicher in Brand, die von unten bis oben mit den feuergefährlichsten Stoffen angefüllt waren, mit Sprit, Rum, Oel, Schellack etc., und ihren Inhalt in Flammenströmen auf die Straße ergossen.




Durch die Stille der Nacht vom 4. auf den 5. Mai 1842 ertönten plötzlich gegen zwei Uhr die dumpfen weithinschallenden Glockenschläge der Feuersignale von den beiden Thürmen der Michaelis- und der Katharinenkirche, und die Nachtwächter liefen mit ihren Rasseln und mit dem üblichen langgedehnten Rufe „Füer! Füer! Füer!“ durch die Straßen.

Mancher Schläfer fuhr wohl erschreckt empor, beruhigte sich jedoch sofort wieder bei dem Gedanken au die treffliche Hamburger Feuerwehr mit ihren berühmten Repsoldschen Spritzen, die sich damals in ganz Norddeutschland eines bedeutenden Rufes erfreuten.

Als aber gegen fünf Uhr morgens die Glocken von zehn zu zehn Minuten immer von neuem anschlugen, vom Michaelisthurm, als allgemeines Alarmsignal, gar in Doppelschlägen, da wurden die Bewohner jenes Stadtviertels doch mit Angst und Besorgniß erfüllt, warfen sich hastig in die Kleider und eilten nach der Brandstätte.

Der Anblick war ein entsetzlicher: drei hohe Speicher waren bereits in qualmende Trümmerhaufen verwandelt, vier andere brannten lichterloh von oben bis unten, zehn bis zwölf Wohnhäuser lagen schon in Schutt und Asche, und an ebensovielen schlugen die wilden, züngelnden Flammen aus allen Fenstern zugleich heraus. Auch die gegenüberliegenden Speicher, obwohl durch das breite, aber nur seichte Fleet von der Brandstätte getrennt, hatten bereits Feuer gefangen und loderten auf; eine halbe Stunde später bildeten sie gleichfalls ein einziges Feuermeer.

Tausende von Menschen standen auf den nahen Brücken und Fleetufern und starrten wie betäubt in diese Vernichtung, ein Werk von kaum sechs Stunden. Und bis auf den heutigen Tag ist das blitzähnliche Umsichgreifen des Feuers, trotz der oben angeführten Umstände, räthselhaft geblieben.

Die Spritzen mit ihren weißgekleideten Mannschaften waren in voller Thätigkeit, andere jagten heran und nahmen vor den zunächst bedrohten Häusern Aufstellung, aber der Wassermangel machte sich überall fühlbar. Hydranten, Dampfspritzen und die vielen sonstigen Rettungsvorrichtungen der neueren Zeit gab es damals vor fünfzig Jahren noch nicht. Man half sich mit ledernen Feuereimern, schöpfte Wasser, wo solches zu finden war, und bildete „Ketten“ – kaum mehr als ein Spielzeug gegen ein solches Flammenmeer!

Unaufhörlich dröhnten die Sturmglocken, und ein scharfer Südwestwind trieb den Funken und Aschenregen, vielfach mit zusammengeballten Feuerbündeln untermischt, über Giebel und Dächer weiter und weiter. Man sprach auch schon von Toten


  1. Die Erziehungsanstalt, in welcher ich mich damals als fünfzehnjähriger Schüler befand, lag ganz in der Nähe der Deichstraße, wo das Feuer bei einem Tabakshändler ausgebrochen war, und nach Art der Jugend, die ja bei jedem außergewöhnlichen Ereigniß dabei sein will, eilten auch wir sofort als neugierige Zuschauer hin. Aber nur zu bald begriffen wir den gewaltigen Ernst der Lage und haben alsdann unter Anleitung tüchtiger Lehrer wacker mitgeholfen beim Wassertragen und an den Spritzen – auch da, wo wir nicht „gepreßt“ wurden – bei der Vertheilnng von Lebensmitteln und Stärkungen an die zu Tode ermatteten Arbeiter, schließlich bei der Bergung von Hausrath und (mit weißen Armbinden) bei der Rettung der Staatsarchive.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_304.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2020)