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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Das Mädchen ging, aber nicht gerne, kaum hatte sie die Kammerthür hinter sich geschlossen, da stand auch Wolfrat schon auf der Schwelle; er war anzusehen, als käm’ er geradeswegs von der Sudpfanne: sein brennendes Gesicht und seine Hände glitzerten von Schweiß; an Hals und Schläfen sah man, wie es in den geschwollenen Adern hämmerte; sein Athem flog und keuchte, daß er nicht zu sprechen vermochte; er taumelte zur Bank, fiel nieder und drückte die Fäuste auf seine Brust.

Dem Eggebauer wurde ängstlich zu Muth; er schielte nach der Kammerthür, dann fragte er mit leiser Stimme: „Polzer, was hast denn? Ich will nicht hoffen, daß …“

„Schau nach der Zeit, Bauer!“ keuchte Wolfrat.

„Da brauch’ ich nicht zu schauen. Die neunte Stund' ist gnett[1] vorüber.“

„Und wie lang’ braucht einer vom Kreuz über die Almen herunter bis ins Ort?“

„Seine fünf geschlagenen Stund’.“

„So muß ich droben vom Kreuz schon wieder fort gewesen sein, ehvor es Tag worden ist,“ sagte Wolfrat mit heiserem Lachen. „Darauf könnt’ ein jeder schwören … Du auch!“

Der Eggebauer verfärbte sich. „Meinst, es wird sein müssen?“

Wolfrat zuckte die Schultern, wischte mit dem Aermel den Schweiß von der Stirn und erhob sich; sein Athem war ruhig geworden, sein Gesicht so weiß wie die Wand. Er trat zum Tisch, griff in eine Tasche und reichte dem Bauer eine hölzerne Büchse – sie war feucht, als hätte man sie in Wasser getaucht.

„Da nimm!“ sagte er. „Das Kreuzl mußt Dir schon selber herausschneiden ... ich hab’ mich tummeln müssen.“

Der Bauer öffnete die Büchse, die ein blutiges Herz enthielt, und schloß sie wieder. „Hast die Schweißbluh’ auch?“

Wolfrat nickte und griff an eine Tasche seiner Jacke. „Wenn ich die nicht hätt’ … für was denn hätt’ ich’s gethan?“ Der Kopf fiel ihm auf die Brust, und mit zitternder Hand strich er sich über die Stirn.

Der Bauer blickte scheu zu ihm auf und kniff die Lippen übereinander; dann ging er zu einem Wandschrank, verwahrte die Büchse und brachte ein Säcklein herbei, welches klang und klirrte, als er es auf die Tischplatte setzte.

„Hast nichts gehört, Bauer, wie es bei mir drüben steht?“ fragte Wolfrat.

„Gehört hab’ ich nichts. Aber sorg’ Dich nimmer … hast ja die sichere Hilf’ im Sack.“

Wolfrat athmete tief und stand schweigend, während der Eggebauer zehn Salzburger Schillinge und ein halb Pfund Heller auf den Tisch zählte.

„Streich’ ein ... hast es verdient!“

„Meinst?“ murmelte Wolfrat, und als er die Münzen in der Hand hielt, streckte er sie dem Eggebauer hin und sagte: „Ich weiß nicht … mir kommt so vor, als hätt’ das Geld einen rothen Schein.“

„Dummes Zeug!“ stotterte der Bauer. „Das Geld hat Silberfarb’.“

„So? Dann muß es wohl sein, daß es mir nur im Aug’ so glitznet … oder es schaut sich nur die Hand so an.“ Er schob das Geld in die Tasche. „Und was ich sagen wollt’, Bauer … gelt, wenn vielleicht eine Frag’ umgehen sollt’ … Du brauchst ja nicht mehr zu wissen, als daß ich gestern nach Feierabend um die achte Stund’ fort bin. Sieben Stund’ hab’ ich hinauf gebraucht in die Röth’ – lang genug, aber so ein Herrgott hat sein Gewicht – dann hab’ ich ihn ans Kreuz geschlagen; vor Tag war ich fertig, hab’ mich wieder auf die Füß’ gemacht und war daheim vor der neunten Stund’. Daß ich den Weg vom Kreuz bergab bis zu Deinem Haus in dritthalb Stund’ gelaufen bin, das brauchst ja Du nicht zu wissen.“

Der Eggebauer riß die Augen auf und schüttelte den Kopf.

„Und schau mich an, wie ich ausschau … daß Du’s weißt, wenn Dich einer fragen sollt’. Gelt, nein? Ich hab’ kein Stäuberl Ruß im Gesicht … kein Fleckerl Blut an meiner Jacke?“

Der Eggebauer, der eine Farbe bekam, als hätte man ihm das Gesicht mit Kalk bestrichen, stotterte: „Ja lieber Herrgott, Polzer, was hast denn gethan?“

„Was ich dutzendmal im Krieg gethan hab’, wenn mich einer hat fassen wollen.“ Er machte mit der Faust einen Hieb in die Luft, und seine Augen funkelten in finsterer Gluth. „Es hat sein müssen!“

„Polzer, Polzer!“ stöhnte der Bauer und schlug die Hände zusammen.

„Halt’s Maul! Wenn’s einer hört, der es weiterredet, kommt es zur Halbscheid über Dich. Und wo der Freimann[2] haust, das weißt ja! Seit voriger Woch’ hat er ein neues Rad … das alte hat er am Mattauser zu Schanden gemacht, der in der letzten Gebnacht[3] den Klosterknecht gestochen hat. Und somit behüt’ Dich! Ich hab’ Dir und mir geholfen … jetzt müssen wir’s auch tragen auf zwei Buckeln!“ Wolfrat wandte sich zur Thür.

Dem Eggebauer schlotterten die Knie; er wollte dem Sudmann nacheilen, aber er brachte keinen Schritt zuwege. „Polzer!“ keuchte er. „Und … und das Schießzeug? Hast es doch um Herrgottswillen nicht verloren, wo’s ein Unrechter finden könnt’?“

„Nein! Ich hab’s wieder geholt, und jetzt liegt es im Kesselbach in der tiefsten Klamm, mit einem Stein daran, den kein Wasser mehr in die Höh’ treibt. Ich wollt’ nur, es läg’ was anderes auch noch dabei! Aber aus mir herausreißen kann ich’s nicht!“ Er schlug mit der Faust auf seine Brust, nickte noch einen stummen Gruß und verließ die Stube.

Er schwang sich diesmal nicht über den Gartenhag, sondern ging auf die Straße zurück und betrat sein Lehen durch das Thürchen im Zaun. In einem Winkel des Gartens rannte Lippele hinter den gackernden Hennen her. Wolfrat wollte ihn rufen; dann schüttelte er den Kopf. „Der Bub’ soll mir heut’ nicht an die Hand rühren.“ Zögernd trat er ins Haus; im offenen Flur lag die Sonne; als aber Wolfrat über die Schwelle ging, bedeckte sein schwarzer Schatten den lichten Streif. Und wie still es war! Keines rief seinen Namen, keines trat ihm grüßend entgegen. Das Kind wird schlafen, dachte er sich, und sie wollen’s nicht wecken. Er stieß die Schuhe von den Füßen und betrat die Stube.

Neben dem Bett saß sein Weib im Weidenstuhl. „Grüß’ Dich Gott, Seph’!“ sagte er mit beklommener Stimme. Aber sie gab ihm keine Antwort; sie hatte die Hände im Schoß gefaltet, das zerraufte Haar hing ihr um die Schultern, und mit starren Augen, deren Thränen erschöpft waren, schaute sie ihm entgegen.

„Aber so red’ doch ein Wörtl! Wie geht’s ihm denn?“

Sie wollte sprechen, jedoch nur stumm bewegten sich ihre Lippen; dann plötzlich schrie sie laut auf.

Er warf einen Blick auf das Kind, und was er sah, machte ihn zittern an allen Gliedern. „Gieb Dich, Seph’, gieb Dich,“ stotterte er und riß aus der Tasche einen ledernen Beutel hervor, welcher braune Flecken hatte und zwischen Wolfrats Händen schlotterte. „Gieb Dich, Seph’ … schau, ich hab’ ’was heimgebracht, das muß ihm helfen. Dem Vogt seinem Kindl hat es auch geholfen. Gieb einen Löffel her …“

„Polzer!“ schrie sie gellend auf und fuhr sich mit zuckenden Händen in die Haare. „Unser Kindl! Unser lieb’s Kindl! O mein Gott, mein Gott …“

„Seph’!“

Er stürzte auf das Bett zu und riß das Laken weg, mit welchem das regungslose Körperchen verhüllt war. Aschfahl wurde sein Gesicht, die eine Hand fuhr nach seinem Herzen, die andere ließ den Beutel fallen, aus welchem das geronnene Blut, das er enthielt, in dicken Klumpen auf die Diele klatschte. Und lautlos, wie ein Stier, den das Beil auf die Stirn getroffen hat, brach er zusammen.

„Polzer!“ kreischte Sepha und suchte ihn empor zu richten.

War es ein Schluchzen oder ein heiseres Gelächter, was von seinen Lippen schütterte und seine wirren Worte halb erstickte? „Und alles umsonst, alles, alles … recht so … ja, ja, so hat’s kommen müssen … jetzt liegt mein Kindl da … und droben … droben liegt der ander' im Blut …“

„Heiliger Herr Jesus!“ stammelte Sepha. „Polzer … Polzer!“

Mit verstörten Augen schaute er zu ihr empor, und ein Schauer rüttelte seinen Körper. Er hatte schon zu viel gesagt … nun mußte er alles sagen. Mit beiden Armen umschlang er sie,

  1. Kaum, knapp.
  2. Der Henker.
  3. Die Nächte vor dem Weihnachtsfest, vor dem Neujahrstag und vor dem Dreikönigsfeste hießen: „Gebnächte“
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