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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Himmel. Eine Weile schaute er dem verliebten Sänger zu, wie er auf seinem Ast sich blähte und drehte, mit gefächertem „Stoß“ und zitternden Schwingen gaukelte, dann aber, als es so licht wurden daß Haymo über den Augen des Vogels schon die glühende „Rose“ zu erkennen vermochte, schlich er leise zurück, um den Hahn nicht zu „vergrämen“. Und je weiter es bergabwärts ging durch den Wald, desto rascher wurde sein Schritt, desto fröhlicher sein Blick. Nun ging es ja hinunter ins Thal, zum fröhlichen Fest, zum Ostertanz. Arm in Arm und Wang’ an Wange mit Gittli!

Ob er wohl mit jener andern auch einen Reigen tanzen würde? Wie hieß sie nur? Richtig. Zenza! Nun, vielleicht … wenn Gittli müde war und nichts dawider hatte. Müde? Die Gittli?

Er mußte laut auflachen. Doch plötzlich verstummte er. Aus dem Felsenthal heraus hatte er einen Laut gehört … wie das Kollern eines gelösten Steines. Ging jemand dort unten? Aber nein! Aesendes Steinwild oder eine ziehende Gemse hatte wohl den Stein gelöst! Weg mit der Sorge! Heute durfte er Wild und Bergwald beruhigt verlassen, denn so gottverloren war ja doch kein Mensch in allen Thälern rings umher, um Raub zu treiben am heiligsten Tage des Jahres.

Der volle Morgen erwachte; ein rother Schimmer fiel über den Wald, und die Kuppen der Berge leuchteten in der steigenden Sonne wie glühendes Erz. Als Haymo den Saum des Kreuzwaldes erreichte, ließ er sich zu kurzer Rast auf einen Felsblock nieder und staunte mit seinen lachenden Augen hinein in den schimmernden Glanz des schönen Morgens.

Von seinen Lippen wollte sich ein Jauchzer lösen, aber gewaltsam hielt er den jubelnden Aufschrei zurück, denn im Steinthal zu seinen Füßen, auf etwa tausend Gänge, sah er auf schneefreiem Hang einen Steinbock weiden. Er wollte das Thier, dem die Aesung noth that, nicht verscheuchen. Ohne Bewegung saß er und schaute dem Wild zu, wie es langsam über die Halde hinwegzog und seine kärgliche Nahrung suchte. Nun plötzlich warf das Thier den „Grind“ mit dem mächtigen Gehörn in die Höhe ... es schien Gefahr zu wittern ... in scheuer Eile suchte es den Schutz der nahen Felswand, doch ehe die Wand noch erreicht war, that es mit schlagenden Läufen einen Satz in die Luft, stürzte nieder, raffte sich wieder auf und verschwand in einer tieferen Mulde.

Haymo fuhr erblassend auf; das ging nicht mit rechten Dingen zu! Ein Ruck, und er hielt die Armbrust in Händen … ein lautloser Sprung, und er stand geborgen in dem dichten Gestrüpp der Zwergföhren, welche den Grat der Kreuzhöhe bedeckten. Geschmeidig wie eine Schlange glitt er durch das wirre Gezweig, und als er durch die letzten Büsche den Ausblick in die Mulde gewann, da schlug ihm das Herz und zitterten ihm die Hände in Zorn und brennender Erregung. Er sah, wie ein Mensch in Bauerntracht, mit schwarz berußtem Gesichte, den verendeten Steinbock nach einem nahen Dickicht schleifte.

„Hab’ ich Dich endlich, Du Dieb!“ zischte es durch die Zähne des Jägers, alles Zittern wich von ihm, und als er die Sehne der Armbrust spannte und den Bolzen in die Schiene legte, waren seine Hände wie Stahl und Eisen. Er hob die Wehr an seine Wange, aber durch die dichten Zweige hatte er keinen sichern Schuß. Lautlos erhob er sich, um hinauszuschleichen an den Rand der Büsche; dort draußen stand das Kreuz; hinter dem breiten Holze konnte er sich decken und hatte einen freien Schuß.

Jetzt wand er sich hervor aus den letzten Zweigen, jetzt hob er die Waffe … und da plötzlich rann es ihm durchs Herz wie kalter Schatter. Vom Kreuz hernieder blickte das lebensvolle Bildniß des Erlösers.

Gewaltsam wollte Haymo die Blicke wenden, allein er brachte sie nicht los von dem heiligen Bilde; mit ernsten, kummervollen Augen sah es auf ihn nieder, es schien zu leben in seinen frischen Farben, das rothe Blut an seinen Wunden schien eben jetzt geflossen … dem Jäger war es, als beginne es in den großen blauen Augen sonnengleich zu leuchten, als öffne sich der schmerzensbittere Mund und spreche mit sanften Worten: „Haymo! Willst Du morden an meinem Ostertag, der allen Menschen sein soll wie ein Tag des Glücks und der Versöhnung? Thu’s nicht, Haymo, thu’s nicht!“

In Haymos Händen neigte sich die Armbrust, und der Bolzen fiel aus der Schiene. Der Jäger hob ihn auf mit bebender Hand und küßte die Füße des Gekreuzigten.

Dann stieg er lautlosen Schrittes den Hang hinunter; der Raubschütz, der im dichten Gebüsch an dem erlegten Wild hantierte, hörte ihn nicht kommen; auf der Erde sah Haymo die Armbrust des Räubers liegen; er faßte sie und schleuderte die Waffe mit mächtigem Schwung hinaus in das Steingeröll; da fuhr der Raubschütz in die Höhe, und als er den Jäger sah, befiel ihn ein Wanken und er griff mit beiden Händen in die Luft.

„Wer bist Du?“ fragte Haymo mit harter Stimme.

Der andre stand wortlos, zitternd, und starrte vor sich nieder.

Haymo suchte ihn zu erkennen aber vergebens. Der Jäger war ja fremd im Thal und hatte nur wenige Menschen erst gesehen, auch trug der Räuber den Bart und die Haare mit Ruß bestäubt, und das Gesicht war mit Schwärze so dick bestrichen, daß Haymos forschender Blick kaum einen Zug erfassen konnte.

„Komm!“ sagte Haymo und deutete mit dem Arm die Richtung an.

Der Gefangene voran und der Jäger mit gespannter Armbrust hinter ihm, so schritten sie über den Hang empor, mit blitzenden Augen folgte Haymo jeder Bewegung des Raubschützen. Auf halber Höhe verhielt der Gefangene den Schritt, in seinem finstern Auge glühte die Verzweiflung.

„Jäger … es war das erste Mal … und ich that es aus Noth!“

„Geh’!“

„Jäger … ich habe Weib und Kind … sie gehen zu Grunde!“

„Durch Deine Schuld!“

Ein dumpfer Seufzer erschütterte die Brust des Mannes; das Haupt sank ihm, und mit schweren Schritten stieg er weiter. Nun erreichten sie die Kreuzhöhe. Und wieder wandte sich der Gefangene, unheimliche Gluth in seinen Augen.

„Was geschieht mit mir?“

„Was allen anderen geschah, welche thaten, was Du gethan!“

„Jäger! Erbarme Dich meines Weibes und meiner Kinder … laß mich entfliehen!“

„Und wenn ich auch wollte … ich darf nicht!“ sagte Haymo mit schwankender Stimme. „Ich steh’ in Pflicht und Eid! Ich hab’ geschworen!“

„So laß mich ein Vaterunser beten … für Weib und Kind!“

„Bete!“ sagte Haymo.

Der Raubschütz kniete vor dem Kreuz auf die Erde nieder, faltete die Hände und begann zu murmeln. Haymo trat an seine Seite und wollte das Haupt entblößen, um dem heiligen Bilde zu danken, das ihn vor Blut bewahrt und alles nach Recht gewendet hatte. Doch als er den Arm erhob, fuhr der andre blitzschnell in die Höhe, riß das Waidmesser von Haymos Gürtel, und ehe der Jäger sich zu decken vermochte, stieß er ihm die blitzende Klinge in die Schulter.

Aus Haymos Händen fiel die Armbrust, seine Knie brachen, stöhnend sank er auf das moosige Gestein, das sich färbte von seinem Blut … mit letzter Kraft noch richtete er sich halb wieder empor, mit brennendem Blick suchten seine Augen das starre Bild am Kreuze, dann fiel er zurück, und seine Sinne erloschen …

Ueber allen Höhen leuchtete die Sonne, mit lindem Hauche strich, nach allem Streit und Kampf des wilden Föhns, der laue Frühlingswind befruchtend über die Halden … und während auf dem steinigen Hang die überstürzten Tritte des fliehenden Mörders verhallten, schwoll es sanft und leise durch die Luft einher, weit her aus dem fernen tiefen Thal … der Klang der Osterglocken. „Ihre Seelen waren heimgekehrt von Rom,“ und durch das weite Land, von Thurm zu Thurm, erhoben sie ihre hallenden Stimmen, die Macht und Glorie des Gottes preisend, der vom Grab erstanden.




9.

Ueber dem Hause des Sudmanns lag still und sternenhell die Osternacht. Nur die Albe rauschte; sonst kein Laut in der ganzen Runde; denn der eine, der in dieser Nacht zu dem kleinen Hause gegangen kam, wandelte auf unhörbaren Sohlen; er pochte an die verschlossene Thür … sie öffnete sich nicht vor ihm, und dennoch trat er ein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_295.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)