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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

gegen ein Fünftel der sämmtlichen Unfälle verschuldet, haben wir noch nicht erwähnt, es sind die „schlagenden Wetter“.

Wer je die lange Reihe todesbleicher Opfer schlagender Wetter nebeneinander gebettet sah, dem wird der Anblick unvergeßlich bleiben. Ein schreckliches Bild einer solchen Katastrophe bot kürzlich das Unglück in Anderlues, bei dem über 200 Bergleute eine Beute des Todes wurden. Auch auf den deutschen Zechen, insbesondere auf denen des Oberbergamtsbezirkes Dortmund, welcher die Zechen des Rheinisch-westfälischen Steinkohlengebietes umfaßt, hat sich jener unheimliche Gast häufig eingestellt. Innerhalb der Jahre 1861 bis einschließlich 1887 haben dort 1564 Explosionen schlagender Wetter stattgefunden, bei welchen 3376 Verletzungen und unter diesen 1129 Tötungen vorgekommen sind. Das entspricht einem Todesfall auf je 1167 und einer Verletzung auf je 552 Mann der Gesammtbelegschaft.

Unter den Unglücksfällen haben die 17 Explosionen auf der Zeche „Neu-Iserlohn“ 160 Tote und 61 Verletzte gefordert. Allein bei der Katastrophe vom 15. Januar 1868 zählte man 81 Tote und 10 Verletzte. Bei einer Explosion auf Zeche „Consolidation“ im September 1886 waren 56 Tote und 8 Verletzte, bei einer anderen auf Schacht „Hibernia“ 52 Tote und 4 Verletzte zu beklagen.

Man wird nicht zu hoch greifen, wenn man – das Ausland eingeschlossen – die Gesammtzahl der im laufenden Jahrhundert getöteten Bergleute auf 100 000 und der allein durch schlagende Wetter Umgekommenen auf 15 000 annimmt. Bei einer so erschreckend hohen Zahl ist es wohl erklärlich, daß mit allem Aufwand von Geist und Erfindungskraft daran gearbeitet wird, diesen Unglücksfällen zu steuern. In England, Frankreich, Belgien, Oesterreich, Deutschland, speziell in Preußen und Sachsen, bestehen besondere Kommissionen mit dem Auftrag, die Frage zu studieren und Vorschläge zur Beseitigung der Gefahren zu machen. Die Arbeiten dieser Kommissionen haben nun zwar in erfreulicher Weise die nöthigen Aufklärungen über Entstehung und Verhütung der Schlagwetter zu Tage gefördert und es sind allerlei vortreffliche Sicherheitsvorrichtungen gefunden worden. Aber der stete Umgang mit der Gefahr und die daraus entstehende Gleichgültigkeit der Bergleute, in einzelnen Fällen sogar offenkundige Leichtfertigkeit, tragen die Schuld daran, daß die besten Sicherheitsmaßregeln ihre Wirkung nicht voll zu entfalten vermögen.

Fragen wir nach der Ursache der Explosion schlagender Wetter, so liegt dieselbe, wenn wir die seltener vorkommenden, von Kohlenstaub herrührenden Explosionen außer acht lassen, in der Entzündung der sogenannten Sumpf- oder Grubengase. Diese Gase bestehen gewöhnlich aus einem Theile Kohlenstoff und vier Theilen Wasserstoff. Verbinden sie sich mit einer gewissen Menge Luft, so entsteht eine Mischung, welche mit der größten Heftigkeit explodiert, und zwar am stärksten dann, wenn die Luft etwa neuneinhalb Prozent Grubengas enthält; sowohl bei höherem als bei geringerem Gehalt der Luft an Grubengas nimmt die Gewalt der Explosion ab. Diese selbst wird herbeigeführt, sobald die Mischung mit einer offenen Flamme in Berührung kommt.

Um einen klaren Einblick in das Wesen der Schlagwetter zu bekommen, müssen wir unsere Leser bitten, uns bei einem kleinen Abstecher auf das Gebiet der Chemie zu begleiten. –

Die Luft besteht bekanntlich aus einem Gemisch von Sauerstoff und Stickstoff. Der letztere ist ein träger Geselle, der nur ungern Verbindungen anknüpft oder Freundschaft schließt und lieber für sich bleibt. Nicht so der Sauerstoff, der das Feuer unterhält; er ist stets begierig, mit anderen Stoffen Verbindungen einzugehen.

Mischt sich nun Luft mit Grubengas, so haben wir in dem Gemisch die Bestandtheile Sauerstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Kohlenstoff zunächst friedlich nebeneinander, und da alle diese Gase sich durch den Geruch nicht bemerklich machen, so ahnen wir gar nicht, in welch gefährlicher Gesellschaft wir uns befinden. Bringen wir aber eine Flamme in das Gemisch, so werden die schlummernden Riesenkräfte wachgerufen und mit einem entsetzlichen Schlage geht die verhängnißvolle Umwandlung vor sich: ein Theil des Sauerstoffes geht an den Wasserstoff, verbrennt diesen zu Wasser, der Rest des Sauerstoffes geht an den Kohlenstoff und verbrennt zu Kohlensäure oder Kohlenoxyd, und der Stickstoff bleibt, was er gewesen ist. Durch diesen Explosionsvorgang wird eine gewaltige Hitze und ein verheerender Luftstoß hervorgebracht, der oft die größten Zertrümmerungen in der Grube zur Folge hat, die Bergleute zerschmettert und tötet. Aber mit der Explosion sind die schlimmen Wirkungen noch nicht erschöpft.

Man weiß, daß zum Athmen Sauerstoff unerläßlich ist; nun ist aber sämmtlicher Sauerstoff durch die chemische Zersetzung bei der Explosion verschwunden, er ist zu Wasser und zu Kohlensäure oder Kohlenoxyd geworden und in dieser Form zum Einathmen nicht mehr geeignet; das etwa noch gasförmig gebliebene Wasser ist dazu ebenfalls nicht brauchbar, ebensowenig die Kohlensäure, und das Kohlenoxyd ist für die Athmung nicht nur nicht nutzbar zu machen, sondern sogar giftig. Die Folge davon ist, daß der Bergmann aus Mangel an geeigneter Luft erstickt oder, wie es in seiner Sprache heißt, das Opfer der „Nachschwaden“ wird. Diese Opfer sind meistens zahlreicher als die der eigentlichen Explosion, des ersten Luftstoßes.

Man nimmt an, daß sich die Grubengase in den Spalten („Klüften“) der Steinkohlenlager allmählich bilden und bei günstiger Gelegenheit, insbesondere bei vermindertem Luftdruck, an den oberen Theilen der Grubengänge ansammeln und sich dort mit gewöhnlicher Luft mischen. Das nächstliegende Mittel, diese Gase zu entfernen, ist die „Wetterführung“. So nennt der Bergmann die Vorrichtungen, die dazu dienen, dem unterirdischen Grubenbau bis zu den äußersten Verzweigungen frische Luft zuzuführen. Zur Wetterführung gehören zwei Haupttheile, die Gebläsemaschine und die Wetterscheidung; von den bei Steinkohlengruben weniger vorkommenden Einrichtungen, wie natürlichem Wetterwechsel, Erwärmung der ausziehenden Wetter, können wir an dieser Stelle absehen. Als Gebläsemaschinen werden jetzt meistens die Ventilatoren benutzt. Es sind dies große, mit schaufelförmigen Flügeln versehene Windräder, welche bis zu 14 m Durchmesser haben und imstande sind, eine bedeutende Luftmenge – bis zu einigen Tausend Kubikmetern in der Minute – in Bewegung zu setzen. Um sich von diesem Raume einigermaßen eine Vorstellung zu machen, erinnere man sich, daß eine schon recht geräumige Wohnstube, von 5 m Länge und Breite und 4 m Höhe erst 100 cbm enthält. Es müßte mithin der Luftinhalt von etwa zwanzig solchen Stuben in einer Minute durch den Ventilator gezogen werden. Die Ventilatoren findet man entweder so angeordnet, daß sie die frische Luft in die Grube hineinblasen (drücken), wobei die schlechte Luft verdrängt wird, oder so, daß sie die schlechte Luft aus dem Innern der Grube absaugen. Zu beiden Zwecken wird die „Wetterscheidung“ benutzt, welche aus einem sich nach allen Punkten des Bergwerks verzweigenden Kanal- oder Röhrennetz besteht. Bei dem „drückenden“ Ventilator muß sich die schlechte Luft ihren Ausweg durch den Wetterschacht suchen, bei dem saugenden tritt die frische Luft durch den Schacht ein. Bei Gruben, welche zur Bildung von Schlagwettern besonders geneigt sind und die man deshalb kurzweg „Schlagwettergruben“ nennt, muß auf die Wetterführung die größte Sorgfalt verwendet und ihr Gang stets genau beobachtet werden, zu welchem Behufe an

Der Naturforscher Dr. Fritz Müller in Blumenau.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 288. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_288.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)