Seite:Die Gartenlaube (1892) 287.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Sie streckte Rott, der eben eintrat, mit dankbarem Lächeln die Hand entgegen. „Das hast Du gut gemacht, eine schönere Ueberraschung hättest Du mir nicht bereiten können. – Du bleibst doch bis zum Frühjahr bei mir, Lisa?“

„Wenn Du uns behältst, mit Freuden! Da die ruhelosen Künstler ins romantische Spanien ziehen, so wollen wir hier in Geduld ihre Rückkehr erwarten. Zu zweien wollen wir der Einsamkeit schon trotzen, wir können auch ohne die Männer fröhlich sein. Sie sollen uns nicht als abgehärmte Wesen wiederfinden, denen beständig die Klage auf den Lippen schwebte: ‚Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide.‘“ Und mit silberhellem Lachen wandte sie sich ihren Kindern zu.

Leichten Herzens blickte Rott ihr nach: mit ihr war der Frohsinn in die stille Klause gekommen, nun konnte er beruhigt scheiden.

*       *       *

In den ersten Tagen des Mai kehrten Franz Rott und Garcia Diaz von ihrer spanischen Künstlerfahrt nach Massow zurück. Sie waren nicht erwartet worden und überraschten die beiden Frauen im aufblühenden Garten, wo sie mit den Kindern spielten. Bettina wurde eben von den Kleinen, zu denen sich auch die Töchterchen des Lotsenkommandanten gesellt hatten, über den Rasenplatz verfolgt und rannte gerade auf Rott los – jubelnd flog sie in seine Arme.

Der Heimgekehrte küßte sie beglückt auf beide Wangen und sagte mit einem zärtlichen Blicke in ihr erglühendes Gesicht: „Du hast Deine Jugend wiedergefunden.“

„Kein Wunder, Schatz! Liebe und Freundschaft schaffen ein fröhliches Herz. Ach, wie verändert erscheint mir die Welt in diesem Frühling!“

Auch Diaz begrüßte die Seinen mit überströmender Freude und fand, daß sie alle von Gesundheit förmlich strahlten.

„Uns ist’s auch über Verdienst gut gegangen, lieber Garcia. – Aber was ist das?“ rief Lisa, plötzlich ernst werdend, „Du bist ganz in Schwarz gekleidet und trägst einen Flor am Arme?“

„Verzeih, das habe ich in der Freude des Wiedersehens ganz vergessen. Bei der Rückreise über Madrid fand ich Tante Dolores in den letzten Zügen. Sie starb, nachdem sie mir zwanzigtausend Pesetas vermacht hatte.“

Lisa konnte nicht verhehlen, daß ihre Freude über die Erbschaft größer sei als die Trauer um den Verlust der Tante.

„Ach, Garcia“ sagte sie, „diese Summe könnte uns später über manche schwere Zeit hinweghelfen, wenn wir nur verstehen würden, das Geld zusammenzuhalten. Aber in der Ehe findet nun einmal eine Anpassung der Charaktere statt, und da Du von Rechts wegen mein Herr bist, so habe ich mir leider allmählich auch den Leichtsinn meines Herrn und Gebieters zu eigen gemacht.“

„Aber Lisa, warum sich das Leben schwer machen! Wir haben noch eine Tante und außerdem werden wir in der Lotterie gewinnen, denn ich habe zwei ganze und zehn halbe Lose gekauft.“

„Nun,“ meinte Rott spottend, „das muß ich sagen, Du bist freigebig, Garcia, Du zahlst dem Staate eine hohe Erbschaftssteuer, ohne dazu verpflichtet zu sein.“

„Nicht wahr?“ pflichtete Lisa schmollend bei. „Er verzettelt sein Geld wieder an eitle Hoffnungen. O, dieses unselige Lotteriespiel – wie ich es hasse!“

„Aber Lisa,“ versetzte Garcia schelmisch lächelnd, „Du schiltst immer auf die Lotterie, und was ist das ganze Leben anderes als eine Lotterie? Was regiert die Welt anders als der Zufall?“

„Du hast bei diesem Vergleich nur eines vergessen, Garcia,“ rief Rott, „nämlich den kleinen und doch nicht ganz unwichtigen Umstand, daß in dieser auf Zufall gegründeten Welt dem Menschen der Verstand gegeben ist, um den Zufall hie und da ein bißchen zu korrigieren. Fleiß und Charakter sind zwei Einsätze in dieser Lotterie des Lebens, die recht viel Aussicht auf Gewinn bieten und jedenfalls mehr als Deine verteufeltet Lose. Werde vernünftig, Garcia, sonst wirft der Sturm Dein Schifflein einmal unversehens um!“

„Sei kein Unglücksprophet, Franz,“ unterbrach ihn Bettina einlenkend. „Vorläufig liegen wir alle glücklich hier vor Anker und wollen uns dessen freuen, was uns beschieden ist.“

Mit aufwallender Dankbarkeit lehnte sie sich an Rotts Schulter. Er aber küßte sie auf die Stirne und erwiderte frohgemuth: „Du hast recht, Geliebte. Laßt uns heiteren Blickes der Zukunft entgegengehen, laßt uns so leben und wirken, daß wir mit uns selbst auch andere beglücken! Nicht die Welt zu fliehen sondern ihr zu nützen, ist das rechte Ziel.“

„Andere beglücken – ja, das ist’s,“ sagte Bettina leise. „Wir wollen theilnehmen an fremdem Schicksal – nur indem wir so leben, leben wir in Wahrheit!“




Die „schlagenden Wetter“ und ihre Verhütung.

Von A. Hollenberg.


Ein ernster Beruf ist es, den sich der Bergmann und ganz besonders der Kohlenbergmann erwählt hat. Gefahren aller Art umgeben ihn bei seiner mühevollen Arbeit. Während der Seemann nur dem Winde und den Wellen Trotz bieten muß, ist der Bergmann außer von Luft und Wasser auch von einbrechendem Gestein, vom zerschmetternden Sturz in die grausige Tiefe, vom Feuer der durch Selbstentzündung entflammten Kohle bedroht. Wenn für irgend einen Stand, so gilt für den Bergmann das Wort des alten Kirchenliedes:

„Mitten wir im Leben sind
Von dem Tod umfangen.“

Wir wollen den Bergmann auf seiner Reise begleiten.

Die Einfahrt in die Grube wird mit dem Seile ausgeführt. Schweigend treten die schwarzen Gestalten je mit einer Lampe versehen in den Förderkorb, dumpf ertönen die üblichen Schläge auf die Metallplatte, welche dem Maschinenwärter melden, daß er Mannschaften zu fördern hat und deshalb langsamen Gang halten muß. Die Schachtthür wird verriegelt, und lautlos gleitet der Korb in die Tiefe. Jetzt hängt das Leben der ganzen Besatzung an der Haltbarkeit des Drahtseiles, eines Seiles, das man bequem mit der Hand umspannen kann! Wäre nicht alles dunkel, so würde wohl manchen ein Grausen ergreifen, wenn er den unermeßlichen Abgrund - 250 Meter und noch mehr - unter sich erblicken könnte. Aber der Bergmann vertraut auf die Festigkeit des Seiles und im schlimmsten Falle auf die rechtzeitige Wirksamkeit der Fangvorrichtung, die den Korb beim Reißen des Seiles an den Leitbäumen festklemmen wird.

Nach einer Fahrt von einigen Minuten kommen wir auf der „Sohle“ an; wir gehen zunächst der Hauptstrecke nach, dann auf immer engeren Wegen zu dem Arbeitsplatze des Bergmannes. Halb kriechend gelangen wir „vor Ort“, zu der einsamen Stelle, wo er, meist nur von einem Kameraden unterstützt, seine Arbeit zu verrichten hat. Mit mattem Scheine leuchtet ihm das Grubenlämpchen - es droht zu erlöschen, denn heute sind, wie der Bergmann sagt, die „Wetter schlecht“. Nur ab und zu wird die Totenstille unterbrochen durch ein entferntes dumpfes Rollen, welches anzeigt, daß auf der Förderstrecke ein Zug von Grubenwagen vorbeifährt, oder es erdröhnt ein dumpfer Knall, von dem Abschießen einer Sprengpatrone herrührend, mit welcher das Gestein oder die Kohle losgesprengt wird.

Schon beim Einfahren hörten wir ab und zu ein eigenthümliches Rauschen, wie von durchströmendem Wasser. Das ist die „Wasserhaltung“, welche, von mächtigen Dampfmaschinen getrieben, das in der Grube sich ansammelnde Wasser „zu Tage“ fördert. Auf unserm Gange durch die Förderstrecke hatten wir auch Gelegenheit, eine eiserne Dammthür zu sehen, wie sie zum Absperren von Wasserzuströmungen dient. Ein Druckmesser an derselben zeigt uns an, daß das von ihr zurückgehaltene Wasser einen Druck von zwanzig und noch mehr Atmosphären hat. Was würde die Folge sein, wenn durch irgend einen Zufall ein Bruch in der Dammthür oder in der Rohrleitung der Wasserhaltung entstände? Das Grubenwasser würde sich mit unwiderstehlicher Kraft hervorstürzen und alles Lebendige ertränken.

Aber den schlimmsten Feind, der nach amtlichen Nachweisen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 287. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_287.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2021)