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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Stellungen, ehemalige Konsuln, ja selbst Frauen und Mädchen aus edlem Geschlecht betheiligen mußten. Nach allem, was Tacitus über dies Treiben berichtet, war es durchaus der Geist der Poppäa, der hier seine Orgien feierte. Unziemlichkeiten, die für die mitwirkenden Damen des Adels geradezu kompromittierend waren, machten den Grundstock des Repertoires aus. Die Zuschauer bestanden, abgesehen von der Hofgesellschaft, aus Gardesoldaten, die sich weidlich ergötzten. Auch Burrus, ihr Oberbefehlshaber, mußte sich widerwillig bequemen, das mit anzuschauen, was Poppäa Sabina griechische Leichtlebigkeit, Freiheit und Kunst nannte, während es doch vom Standpunkt des alten Römerernstes unwürdig und verächtlich war.

Bei Gelegenheit einer solchen Vorstellung mag es gewesen sein, daß Poppäa zum ersten Male auf den Gedanken kam, dieser Burrus werde am Ende doch ihren Plänen wider die Rechte Octavias einen Block in den Weg schleudern. Der eben erwähnte Geschichtschreiber meldet, Burrus habe den Vorführungen des Hoftheaters zwar pflichtschuldigst Beifall gespendet – wie man sich selbst da „achtungsvoll“ unterzeichnet, wo man keinerlei Achtung empfindet – innerlich aber sei er voll Schmerz und Trauer gewesen. Dem ungewöhnlichen Scharfblick Poppäas kann die Gezwungenheit im Verhalten des Prätorianer-Befehlshabers nicht entgangen sein, denn Burrus war in der Kunst des Heuchelns lange nicht so geschult wie die Mehrzahl der Aristokraten. Seine maßvolle Opposition gegen die griechischen Anwandlungen des Kaisers hatte Poppäa ohnehin mißtrauisch gemacht. Jedenfalls rührt schon aus dieser Zeit die heimliche Feindschaft Poppäas gegen den Mann her, der sich dann später – allein unter allen Beamten des Reiches – den Muth nahm, für die Interessen Octavias einzutreten und der von Poppäa betriebenen Ehescheidung des Kaisers entgegen zu arbeiten. „Gieb ihr dann wenigstens ihre Mitgift – den Thron – zurück!“ soll er einmal in großer Erregung zu Nero gesagt haben, als dieser ihm eine verschämte Andeutung machte.

Daß Burrus, dessen Machtstellung an der Spitze der Prätorianer sehr in Berechnung zu ziehen war, den Einfluß Poppäas nicht über eine gewisse Grenze hinaus dulden würde, muß, wie gesagt, der schändlichen Intriguantin damals schon deutlich gewesen sein. Die logische Folge dieser Erkenntniß war der verzehrende Wunsch, den gefährlichen General auf die Seite zu schaffen.

Hierfür gab es zwei Möglichkeiten. Zunächst den Weg der Entlassung. Der aber konnte bei der hohen Verehrung, die Burrus im prätorianischen Lager genoß, leicht zu einer politischen Umwälzung führen. Die Prätorianer konnten beispielsweise erklären: „Wir geben den Burrus nicht her; wenn sich der Kaiser mit Burrus nicht mehr vertragen kann, so giebt es ja Prätendenten genug, die mit Vergnügen die Krone aus unseren Händen empfangen.“ Schon Agrippina hatte bekanntlich dem Kaiser mit einer Revolution der Prätorianer gedroht. In der That, wer die Leibwache für sich hatte, war so gut wie Herr des Reiches. Niemand aber konnte voraussagen, für wen sich bei einem Bruch zwischen Burrus und Nero die Garde entscheiden würde.

Das war also äußerst bedenklich.

So blieb nur der zweite Weg – der längst beliebte Brauch römischer Hofkreise: eine Verständigung mit der Giftmischerin Locusta, ein Gegenstück zu den vergifteten Pilzen, mit denen einst Agrippina den Kaiser Claudius unter die Götter versetzt hatte ...

Vorläufig konnte die „Frage Burrus“ indessen dahinstehen. Noch hielt Poppäa Sabina die Zeit nicht für gekommen, das letzte entscheidende Wort zu sprechen. Sie überhastete nichts, um desto zuverlässiger an das Ziel zu gelangen. Ihr Talent bestand vor allem auch darin, durch das zu wirken, was man heutzutage „Suggestion“ nennt. Ohne daß der Kaiser es merkte, träufelte sie dem Verblendeten ein, was ihr gut dünkte, und empfing dann mit freudigem Staunen als seinen Vorschlag, was doch ursprünglich ihr eigenstes und persönlichstes Wollen gewesen war. So hatte sie es mit dem Rennsport gehalten, mit Neros Leidenschaft für Sängerthum und Schauspielerei, für wüste Gelage und Liebeshändel; so hielt sie es auch mit dem Angelpunkt ihres ganzen Plans. Er selber sollte auf die Idee kommen, Octavia bilde das Haupthinderniß seiner Mühseligkeit, ein Ehebündniß mit ihr, Poppäa, dagegen bedeute den Gipfel alles Begehrenswerthen.

Ein Zechgenosse und Freund des Nero, der Sicilianer Sophonius Tigellinus, der damals am Hofe die Rolle eines nichtamtlichen Vergnügungskommissärs spielte, unterstützte Poppäas ehrgeizige Bestrebungen. Er war vom Kaiser mit besonderer Huld überhäuft worden, weil er ein ausgezeichneter Pferdekenner und zudem der Besitzer eines glänzenden Marstalls war. Mit einem Instinkt, der dem Spürgeist Poppäas nahe kam, sah er sofort ein, daß im Palaste der Sport die sicherste Leiter zu Einfluß und Macht bildete. Wie schöne Seelen sich finden, so finden sich auch gemeine und selbstsüchtige. Nach kurzer Frist schon hatte Poppäa mit Tigellinus ein Schutz- und Trutzbündniß abgeschlossen, dessen gemeinsames Ziel die moralische Knechtung des Kaisers, die Verdrängung der besseren Elemente vom Hofe, die Thronbesteigung Poppäas um jeden Preis und die Beleihung des Tigellinus mit dem einflußreichsten und wichtigsten Posten des Reiches war. Tigellinus, vielleicht mehr noch als Poppäa Sabina, hat den Kaiser planmäßig versumpft und alles, was in der Brust des einst so vielversprechenden Jünglings noch wie ein Schimmer von Würde, von sittlichem Ernste, von Pflichtgefühl aussah, durch den abscheulichen Schlamm seines Beispiels und seiner Lehren muthwillig ausgelöscht. Er war der Haupturheber jenes entsetzlichen Wahns, der für das spätere Privatleben Neros so charakteristisch ist – des Wahns nämlich, dem Imperator sei alles erlaubt, die Gesetze seien nur für die Unterthanen. Tigellinus predigte ihm die mißverstandene Weisheit des Epikur: „Genieße, schwelge, prasse, kühle den Brand jeder Leidenschaft, unbekümmert um das, was da kommt, unbekümmert vor allem um das Weh deiner Mitmenschen! Was deinem Lustgefühl widerstreitet, zermalme! Es ist dein Feind, es ist schlechthin das Uebel!“

Inzwischen nahm die Gräcomanie des Kaisers immer größere Verhältnisse an. Ein Jahr nach Eröffnung des Hoftheaters verfiel Nero auf die Idee, den altgriechischen „Kampf der Wagen und Gesänge“ in der so gänzlich ungriechischen Atmosphäre der Siebenhügelstadt wieder aufleben zu lassen. Ungriechisch war diese Atmosphäre im höchsten Grade, trotz der Modeherrschaft des Griechischen. Wie Friedrich der Große zwar französisch „parlierte“ und den „admirablen“ Voltaire nach Potsdam berief, aber nichtsdestoweniger den Herren Franzosen bei Roßbach die „charmanten Pantalons“ ausklopfte und für die kriegsuntüchtige Weichlichkeit der französischen Offiziere eine kerndeutsche Verachtung hegte, so trank man zu Rom zwar gern die geistigen Weine von Hellas, aber die Griechen selbst standen in Mißkredit und die isthmischen und olympischen Spiele dünkten dem gravitätischen, etwas steifleinenen Römer ein Firlefanz, dessen ein wirklicher Mann sich zu schämen hätte. Trotz dieser Abneigung wurde das Fest der „Neronien“ Thatsache. Was Nero früher allein oder doch nur mit einer beschränkten Anzahl von Mitarbeitern in Scene gesetzt hatte, das drängte sich jetzt dem römischen Volke als Nationalfest auf. Senatoren und Ritter mußten in Masse sich an dem Wettstreit betheiligen, der alle Gebiete des Sports und der Kunst umfaßte, vom poetischen Vortrag bis zum Ringkampf und zur Fehde der Boxer, von der Uebung des Redners bis zur Leistung des Pferdeknechts. Die Unkosten für die „Neronien“ trug die Staatskasse. Alle fünf Jahre sollte dies neue Fest wiederholt werden. Der Kaiser natürlich startete mit, oh, und mit welcher Begeisterung!

Als die „Neronien“ zum ersten Male gefeiert wurden, erhielt Nero, wie man’s nicht anders erwarten durfte, den Hauptpreis als Redner und Lyriker.

Und nun ereignete sich jener abgeschmackte Senatsbeschluß, der in der Seele Poppäas die Ueberzeugung erwecken mußte, daß die Gesellschaft Roms nun wirklich reif sei für das Empörendste. Die hohe Körperschaft nämlich, die innerlich über das nach römischer Anschauung geradezu skandalöse Verhalten des Kaisers schäumte, ließ sich dazu herbei, wegen der „Siege des Herrschers“, der dem Lorbeerkranz der ewigen Roma ein neues, glorreiches Blatt hinzugefügt habe, Gebete und Dankopfer zu beschließen und den Befehl zu ertheilen, die Verse des Kaisers sollten mit goldenen Buchstaben auf kostbare Pergamentrollen geschrieben und dem capitolinischen Jupiter – in dessen Tempel man tagte – gewidmet werden!

Im zweiten Jahre nach den erzählten Vorgängen ward Rom eines Morgens durch die Nachricht erschreckt, der Prätorianer-General Burrus sei nach kurzer Erkrankung verstorben, und die römischen Schriftsteller geben uns zu verstehen, Nero selbst habe ihn vergiften lassen. Wenigstens habe ein starker Verdacht obgewaltet. Eine Vergiftung nahm man um deswillen an, weil Burrus an einer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 278. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_278.jpg&oldid=- (Version vom 10.7.2020)