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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Gittli fuhr sich mit der Hand über die Augen. War sie denn wach oder träumte sie? Nur gedacht hatte sie an ihn . . . und dort kam er schon, als hätten ihre Gedanken ihn gerufen! Raschen Ganges wanderte er das Sträßchen einher, das am Hag vorüber führte. Wohl verschwand er immer wieder zwischen Büschen und hinter Bäumen, aber sie hatte ihn ja von weitem schon erkannt. Jetzt trat er auf den freien Weg heraus . . . und nun mußte das „Wörtlein“ gesprochen werden. Sie preßte die Hände auf die fliegende Brust, sie faßte sich ein Herz und . . . und versteckte sich hinter dem Holzstoß. Hier stand sie, zitternd an allen Gliedern, lugte nur ein klein wenig zwischen den vorragenden Aesten hindurch und sah, wie Haymo langsam den Hag entlang ging; jetzt blieb er stehen und spähte nach jedem Fenster, in alle Winkel des Gartens. Und da kam es Gittli vor, als wäre sein Gesicht gar traurig und ernst. Sie sah noch, wie er verdrossen den Kopf schüttelte; dann kehrte er sich ab, schulterte den Bergstock und wanderte weiter. Hinter den Stämmen der Linden und Ulmen, welche die Straße geleiteten, verschwand er.

Zögernd trat Gittli hinter dem Holzstoß hervor. Ihr war, sie wußte nicht wie . . . ähnlich vielleicht, wie dem Lippele zu Muth gewesen war, als Gittli zu ihm gesagt hatte: Ja Lippele, wie schaust denn aus! Was hatte sie nur gethan! Den Bruder verkauft und verrathen, wo es sie nur ein Wörtlein gekostet hätte, ihn zu retten! Sie hatte die gute Stunde verpaßt! Weshalb nur, weshalb? Der Athem versagte ihr, und sie meinte fast zu ersticken. Wer sollte dem Bruder jetzt noch helfen? Haymo stieg zu Berge . . . wann würde sie ihn wohl wieder sehen? Lange, lange nicht! Es sei denn, daß sie selbst zu ihm hinaufstiege in die Röth’ . . . am Ostersonntag. Weshalb aber solange warten? Jetzt gleich . . . Haymo war ja noch nicht gar so weit, und sie hätte ihn wohl bald mit ihren flinken Füßen eingeholt! Ein paar Schritte flog sie dahin, dann wieder blieb sie stehen, zitternd, schlug die Hände vor das Gesicht, kehrte um und warf sich schluchzend über das dürre Holz . . .

Gar weit konnte Haymo noch nicht sein . . . so hatte Gittli wohl gedacht. Wie nah er aber war, das ahnte sie doch nicht. Dann, als er am Hag des benachbarten Gartens vorüberschritt, mit ernst sinnenden Augen vor sich hinblickend, flog ihm plötzlich ein kleiner Strauß von Primeln mitten auf die Brust. Betroffen blieb er stehen, schaute verdutzt auf das zur Erde gefallene Sträußchen nieder und sandte einen spähenden Blick in die Hecke, aus der es hervorgeflogen war. Hinter den mit zarten, blaßgrünen Blättchen bedeckten Zweigen schimmerte es roth , und ein leises Kichern schlug an das Ohr des Jägers.

Haymos Augen blitzten freudig auf, rasch hob er das Sträußchen von der Erde, steckte es neben der Adlerfeder auf die Kappe, sprang auf die Hecke zu und theilte lachend mit beiden Armen das Gezweig.

Vor ihm aus der Erde kauerte ein junges dralles Mädchen, das hübsche aber ländlich derbe Gesicht umrahmt von dicken, blonden Flechten. Kichernd und mit zuthulichen Augen blickte sie zu Haymo auf, streckte jedoch dabei abwehrend die Hände gegen ihn, als wäre sie eines lustigen Ueberfalles gewärtig.

Haymo schien indessen für die Gunst der Gelegenheit kein Auge zu haben. Die Wahrnehmung, daß der rothe Schimmer von einem mit silbernen Kettchen umschnürten Mieder herrührte und nicht von einem gewissen Röcklein, mochte ihm nicht sonderlich willkommen sein. Die rathlose Miene, die er zeigte, schien das Mädchen halb zu ärgern, halb zu ergötzeu. Sie richtete sich auf, verschränkte die Arme und lachte ihm ins Gesicht.

„Hast Du den Buschen geworfen?“ fragte er.

Sie lachte nur und zeigte ihm die weißen Zähne; doch als er sich ohne Gruß von ihr wenden wollte, sagte sie hastig: „So eine Frag’! Wenn der Buschen nicht fliegen kann von selber, wird ihn wohl eine geworfen haben, die nicht weit ist!“

„So weit vielleicht, wie Du von mir?“

Sie zuckte. die Schultern und trat dicht an die Hecke heran.

Haymo maß das Mädchen mit verwunderten Augen. „Du mußt aber nicht viel Arbeit haben!“

„Warum?“

„Ich mein’ halt, daß Du wohl den ganzen Tag dazu brauchen mußt, bis Du so viel Blümeln findest, daß Du jedem, der da vorbeigeht, einen Buschen an den Kopf werfen kannst.“

„An den Kopf?“ lächelte sie. „Ich mein’, er wär’ ein bißl tiefer geflogen. Und . . . es könnt’ auch sein, daß ich nicht für jeden einen Buschen hab’!“

„So?“

„Ja!“ Sie streckte den Arm über die Hecke und faßte wie in Neugier den Kolben der Armbrust. „Ein schönes Schießzeug hast! Bist wohl auch ein guter Schütz?“

„Kann schon sein!“ meinte er und trat einen Schritt zurück.

„Aber manchmal trifft auch eine Dirn’ . . . mitten hin auf den richtigen Fleck . . . und brancht keinen Bolzen dazu.“

„So?“

„Sooo? Sooo?“ spottete sie, während der unverhehlte Aerger um ihre Brauen zuckte. „Sind bei Dir die Wörtlein allweil so kostspielig?“

Jetzt mußte Haymo lachen. „Gott bewahr’! Nur in der Charwoch’, weißt, in der größten Fasten.“

„Sparst Dir’s halt auf für den Feiertag, gelt? Freilich, beim Ostertanz kann’s einer brauchen, die vielen Wörtlein . . . und die lang aufgehobenen, das sind die besten.“ Sie blitzte ihn an mit ihren kecken Augen. „Kommst auch gewiß zum Tanz?“

„Wenn ich wüßt’, daß die richtige Tänzerin kommt.“ Haymos Blicke spähten seitwärts durch die Bäume.

„Sie kommt schon . . . brauchst Dich nicht sorgen drum!“

„Meinst?“ fragte Haymo mit raschem Wort; dann schüttelte er den Kopf. „Wie kannst denn Du wissen . . .?“

„Ja, sie hat mir’s selber gesagt,“ erwiderte das Mädchen mit scherzender Wichtigkeit. „Sie hat ja nicht gar so weit zu mir!“

Das stimmte; denn wenn ihn der Bub’, den er auf der Achenbrücke mit der Frage nach dem Haus des Sudmanns angehalten, nicht irrgewiesen hatte, dann wohnte Gittli dort drüben unter jenem nachbarlichen Dach.

In freudiger Bewegung faßte Haymo die Hand des Mädchens. „Sie hat es Dir selber gesagt? Dann sag’ ihr wieder, daß ich komm’! Ganz gewiß! Und dank’ schön für die Botschaft!“

„Zenza! Zenza!“ rief von dem stattlichen Bauernhause her eine ungeduldige Stimme.

„Ich komm’ schon!“ und flüsternd wandte sich das Mädchen wieder zu Haymo. „Mußt ihr aber auch einen Buschen bringen zum Feiertag . . .“

„Den schönsten, den ich find’ . . . Schneerosen!“

Sie schüttelte lachend den Kopf. „Die mag ich nicht! Die sind mir alles zu kalt! Mußt schon wärmere suchen . . . für mich! Und steck’ mir den Buschen vor Tag an das Kammerfenster . . . dann trag’ ich ihn auf dem Kirchgang. Schau hinüber, das zweite Fenster neben der Thür’!“

„Zenza! Zenza!“ rief’s wieder vom Hause her.

„Ich komm’ schon!“ Und kichernd sprang sie davon, auf halbem Weg noch einmal zurückwinkend mit der Hand.

Haymo stand und machte ein Paar Augen, als wäre das Blaue vom Himmel gefallen und ihm gerade auf den Kopf. „So? So meinst Du’s?“ brnmmte er. Dann plötzlich lachte er hell auf und ging mit eiligen Schritten seines Weges weiter. Als die Straße zwischen Bäumen und Strauchwerk an das Ufer der Albe lenkte, hörte Haymo hinter sich die singende Stimme des Mädchens:

„Ich weiß mir ein’ hübschen grünen Wald,
Dort laufen drei Hirschlen wohlgestalt’,
Dort lausen drei Hirschlen hübsch und fein,
Die freuen dem Jäger sein Herzelein.“

Lauschend blieb Haymo stehen, und die Stimme sang weiter:

„Ich weiß mir ein’ hübschen grünen Wald,
Dort laufen drei Rehlen wohlgestall’,
Eins schwarz und eins braun, eins geel wie Gold,
Möcht’ wissen, welches der Jäger wollt’!“

„Ich könnt’s Dir schon sagen, . . . wenn ich nur möcht’!“ lachte Haymo lustig vor sich hin und wollte sich zum Gehen wenden. „Jetzt hätt’ ich aber bald vergessen . . .“

Er nahm die Kappe vom Kopf, riß das Primelnsträußchen herunter und warf es in den Seebach, dessen tanzende Wellen es verschlangen wie ein springender Ferch die schillernde Mücke.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_268.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2021)