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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Die Gräfin saß in einem Lehnsessel, auf dessen Rand ihr hübscher Kopf ruhte. Sie schaute mit einer Miene zur Zimmerdecke auf, als schlürfe sie die Musik gleich einem wonnigen Trank. Nachdem die letzten Töne verhallt waren, sagte sie, ohne ihre Lage zu verändern: „O, wie schön! Wissen Sie, Rott, daß ich nicht mehr an Ihre Armlähmung glaube? Sie haben Ihrem Instrument nie zuvor Töne von solcher Weichheit und soviel Reiz entlockt wie jetzt. Es liegt eine seltsame Weihe in Ihrem Spiele.“

Rotts Blicke suchten bei diesem Lobe Bettinas erglühendes Gesicht und er sagte leise: „Diese Weihe hat mein Spiel erst in jüngster Zeit empfangen.“

Die lauschenden Weiber auf der Veranda verstanden nicht die Bedeutung der Worte, aber sie bemerkten wohl, daß Rott und Bettina sich voll Zärtlichkeit anschauten und einander mit glücklichem Lächeln zunickten. „Wie twee Liebeslüt,“ bemerkte Kathrein lakonisch.

Die Gräfin erhob sich jetzt, warf einen Blick auf die Wanduhr und sagte: „Mich freut’s, daß Sie mich begleiten werden, und ich wünschte nur, ich könnte auch Sie entführen, liebe Frau Monk. Nun muß ich aber noch beim Kommandanten vorsprechen. In einer halben Stunde fährt mein Wagen vor, also halten Sie sich bereit, mein Freund!“

Die Lauscherinnen glitten von der Veranda herab und schlüpften hinter eine Laube. Von diesem Versteck aus sahen sie nach einer Weile, daß Rott und Bettina die Gräfin bis zur Gartenthür begleiteten. Da sich hier aber ein lebhafter Streit über ein musikalisches Thema entspann, so folgten die beiden dem Gaste bis zum Landhaus des Kommandanten, wo sie durch Lieutenant von Ellernbrück, welcher die Gräfin erwartet hatte, noch eine halbe Stunde im Garten festgehalten wurden.

Unterdessen waren die alte Monk und Kathrein nach lebhaftem Gedankenaustausch zu der Ueberzeugung gelangt, daß vor dem Flügel ein Frevel begangen worden sei, zu dessen Sühne man sofort Ewald herbeirufen müsse. Schnurstracks liefen sie durch die Niederung zum Kornfeld hin, wo die Schnitter ihre Arbeit beendigt hatten und nun bei einem tüchtigen Trunke Branntwein zusammensaßen. Ewald hörte den Bericht der beiden Weiber, die sich gegenseitig zu Uebertreibungen anfeuerten, mit grimmigem Lächeln an, und als beide endlich schwiegen und erwartungsvoll zu ihm aufschauten, sagte er in entschlossenem Tone: „Dem Musikswindel möten wi wohl ’n End maken.“

Zehn Minuten später vertauschte er in der Scheune der Klause seine Sense mit der Holzaxt, eilte ins Musikzimmer und zertrümmerte den herrlichen Flügel Bettinas mit wüthenden Hieben. Die beiden Anstifterinnen hatten an dieser That das innigste Vergnügen und begleiteten jeden Streich mit hellem Auflachen. Der Lärm lockte einige Fischer, die vorbeigingen, auf die Veranda; diese riefen dem alten Monk, der mit seinem Sohne heimgegangen war, erschreckt zu, ob Ewald verrückt geworden sei.

„Nee,“ erwiderte der Alte hohnlachend, „he will Ordnung maken in sin Hus.“

„Na, dat is ’ne ganz nimodsche Art.“

Krachend sank der Flügel endlich in Trümmer. Zum Glück war Rotts Geige im starken Lederkasten verschlossen. Ewald hatte auf diesen, als er bereits zu ermüden anfing, zwei Streiche geführt, die aber die schützende Hülle nicht zersplitterten. Als dann die Axt seinen Händen entsank, glaubte er, aus einem wüsten Rausche zu erwachen. Seine Mutter hatte durch ihre Anklagen gegen Bettina das Gefühl der Eifersucht in seinem Innern zur wildesten Leidenschaft angefacht. Mit pochenden Schläfen und glühender Rachlust war er hergestürmt, ohne Besinnung. Wären ihm in diesem Zustand der Raserei Bettina und Rott begegnet, er hätte sie erschlagen. Jetzt, da die That vollbracht war, folgte die Ernüchterung.

Und eben in diesem Augenblick trat Bettina ins Zimmer, begleitet von Rott. Beim Anblick des zertrümmerten Instruments hielt sie entsetzt an und rief. „Wer hat das gethan?“

„Ich,“ entgegnete Ewald trotzig, wich aber Bettinas Blicken aus.

„Warum?“

„Weil ich nicht will, daß Du mit dem da Musik machst.“ Er deutete dabei auf Rott.

„Ihre Frau gab nur den dringenden Bitten der Gräfin Lindström nach, welche gekommen ist, um mich abzuholen,“ sagte dieser und nahm seinen Geigenkasten auf. Er war so bleich geworden wie Bettina und seine Hände bebten, als er den Kasten öffnete, um sein Instrument herauszunehmen. Ein Blick überzeugte ihn, daß es unversehrt war. Erleichtert athmete er auf. „Sie können von Glück sagen,“ rief er Ewald zu, „daß es Ihnen nicht gelungen ist, den Geigenkasten zu durchhauen.“

„Na, an Ihrer Fiedel wäre auch nicht viel verloren gewesen,“ bemerkte Ewald grob.

„Vielleicht mehr, als Sie in diesem Augenblick hätten bezahlen können. Die ‚Fiedel‘ ist gegen eine Summe von neuntausend Mark versichert, und die Versicherungsgesellschaft hätte diesen Betrag rücksichtslos eingetrieben, wenn Ihre Absicht, das Instrument zu zerstören, gelungen wäre.“

„Nindusend Mark – so’n lütt Ding?“ schrie die alte Monk und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. „Wie is denn dat minschenmänglich? So viel kost’ ja nich mal en grotes Schip.“

„Und soviel kostet selbst der Flügel nicht, den Ihr Sohn zertrümmert hat; gleichwohl muß der, welcher einen Werthgegenstand von fünftausend Mark vernichtet, entweder sehr reich oder sehr verblendet sein.“

„Fivedusend Mark?“ Dieser Ausruf des Erschreckens kam von den Lippen der gespannt horchenden Dorfbewohner; Ewald stierte den Sprecher fassungslos an. Nach einer Weile erst stotterte er: „Das ist ja Unsinn; kein vernünftiger Mensch wlrd einen Klimperkasten so hoch bezahlen.“

„Mag der ‚Klimperkasten‘ kosten, was er will,“ rief nun Bettina in höchster Entrüstung, „ein Mann, der in so sinnloser Wuth zerstört, was die Freude anderer ist, verdient nur Verachtung.“

Ihre Mienen drückten die tiefste Empörung aus; ohne Ewald noch eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich ab und verließ an Rotts Seite das Zimmer.

Ewald blieb in einem Zustand geistiger Ohnmacht zurück. Eines nur war ihm klar, daß er wie ein wildes Thier gehandelt und vor Bettina eine häßliche Rolle gespielt habe. In diesem dumpfen Gefühl der Beschämung war es ihm, als verfinstere sich die Welt, als lege sich auf seine Seele ein lähmendes Dunkel. Er war unfähig zu denken und tastete sich nach einem Stuhle hin, auf den er niedersank.

Von draußen wurde ein Geräusch vernehmbar. „Die gräfliche Kutsche!“ rief einer der Fischer auf der Veranda. Nun kam Bewegung in die erstarrte Gruppe. Kathrein und die alten Monks liefen zum Fenster hin, um zu beobachten, was sich ereigne.

Ewald vermochte sich nicht aus der Betäubung aufzuraffen, die Stimmen der am Fenster Stehenden trafen sein Ohr nur wie ein wirres Geräusch. Plötzlich aber wurde laut Bettinas Name genannt, und der Gedanke blitzte durch sein Hirn: sie verläßt mit ihm das Haus, um niemals zurückzukehren. Nun schnellte er in die Höhe und lief zum Fenster; mit einer kräftigen Armbewegung schob er Kathrein und die Mutter zur Seite, daß beide taumelten, und blickte hinaus. Eben setzte sich der Wagen in Bewegung. Auf dem hinteren Sitz saß die Gräfin mit Rott, auf dem schmalen Vordersitz aber stand der Geigenkasten. Den Reisekoffer des Gastes hatte der Kutscher neben sich auf das Trittbrett gestellt. Ewalds Blicke glitten vom Wagen zur Gartenpforte. Dort stand Bettina; ihr Haar flimmerte in der Abendsonne wie rothes Gold. Sie bewegte die Hand zum Abschiedsgruß, und ihre Blicke mußten wohl denen Rotts begegnet sein, denn in den Augen und Mienen des Künstlers leuchtete ein helles Licht und der Ruf „Auf Wiedersehen!“ kam von seinen Lippen.

In wenigen Augenblicken verschwand der Wagen in der Niederung hinter einer Staubwolke, Bettina aber kehrte langsam in den Garten zurück.

Nun trat auch Ewald vom Fenster weg, seiner Brust entrang sich ein Stöhnen.

„Na, een wahres Glück, dat wi den Schnorranten los sind,“ bemerkte die alte Monk. „Nu möt Du awer Dine Tine den Dumen gehörig up dat Auge drücken, Ewald.“

„Zuerst will ich Dir was sagen, Mutter,“ antwortete ihr Sohn und seine Augen funkelten. „Wer sich untersteht, noch ein Wort in unsere häuslichen Angelegenheiten hineinzureden, den werfe ich zum Hause hinaus, gleichviel ob er zur Familie gehört oder nicht. Merkt Euch das!“ – – –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 246. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_246.jpg&oldid=- (Version vom 7.2.2020)