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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Biber? Aber das ist doch ein Thier mit Haar und Füßen?“

„Frißt aber Fische! Verstehst Du? Das ist Philosophie der Klosterküche! Biber, Otter und Wildente – ob Pelz oder Federn – was Fische frißt, wird wieder als Fisch gegessen. Und ganz mit Recht! Denn die Nahrung macht das Wachsthum und bildet aus ihrem Stoffe den Körper. Somit verzehrst Du in diesem Braten kein richtig’ Fleisch, sondern ein Theilchen von jedem Hecht und Karpfen, von jeder Grundel und Schleie, die der Biber schmauste.“[1]

„So?“ lächelte Haymo. „Dann, Frater Küchenmeister, wundert mich nur eines!“

„Was, mein Junge?“

„Daß Ihr am Fasttag nicht auch eine Hirschkeule auf die Tafel setzt!“

In hellem Entsetzen klatschte der Frater die Hände ineinander. „Haymo! Haymo! Du gottverlorener Mensch!“

„Warum? Die Hirsche äsen Gras und Kräuter. also muß ihr Fleisch ein Gemüse sein wie Kohl und Rüben. Und das ist doch Fastenspeise!“

Der Küchenmeister machte ein verdutztes Gesicht. dann schlug er lachend die Faust auf den Tisch. „Schade, schade, Haymo, daß Du kein Klerikus geworden! In Dir steckt ein Kirchenlicht! Und das soll nicht umsonst geleuchtet haben! Im nächsten Kapitel mach’ ich den Vorschlag, daß man alles Wildpret als Fastenspeise erklären soll.“ Nachdenklich schwieg er und schüttelte den Kopf. „Nein! Ich thu’s doch lieber nicht. Am Ende drehen sie den Spieß um und sagen: wie der Hirschbraten kein Gemüse ist, so ist der Biberschwanz kein Fisch, obgleich er Schuppen hat. Und Biberschwanz eß’ ich für mein Leben gern! Gieb her ein Bröcklein!“ Und aus dem „Bröcklein“ wurde mit Kosten und Kosten der halbe Braten. „Gelt, Du? Das rutscht wie Butter!“

„Ja, Frater, ein feiner Braten! Der kommt wohl von weit her?“

„Von der Donau, dort leben die Biber zu Hunderten in ihren Wasserdörfern. Von Straubing bis weit hinunter gegen Wels hat der Passauer Bischof das Jagdrecht. Mit dem letzten Salzkarren hat er uns ein halb Dutzend geschickt, wickelfette Kerle!“

„Von Passau? Ist das von dorther, von wo der neue Pater Fischmeister gekommen ist?“

„Warum fragst Du?“

Haymo wurde roth. „Ich mein’ nur so … ich hab’ ihn gesehen, heute früh, am See!“

Des Fraters Augen leuchteten. „Den soll der liebe Gott unserm Kloster erhalten! So viel hat noch keiner von See und Fisch verstanden wie der! Hast Du den Ferch draußen am Spieß gesehen? Den hat er mit eigener Hand gefangen. Ich laß aber auch nichts auf ihn kommen! Ich halt’ es mit ihm! Da mögen sie im Kloster reden, was sie wollen!“

„Was reden sie von ihm?“ fragte Haymo, wobei er sich alle Mühe gab, seine Spannung zu verbergen.

„Ach, dummes Zeug! Bevor er hinauszog in die Seeklause, haben sie ihn in der Nacht oft schreien hören in seiner Zelle, daß es jedem, der es hörte, durch Mark und Bein ging. Und wenn sie dann zu ihm hineinrannten, fanden sie ihn am Boden mit zerrauftem Haar und blutigen Fingernägeln. Nun schwatzen sie, daß der Teufel Macht habe über ihn, weil furchtbare Sünden auf seinem Gewissen liegen, und sagen, der Teufel komme in der Nacht und raufe mit ihm um seine Seele.“

Haymo saß mit erblaßtem Gesicht und stammelte: „Soll das wahr sein können?“

„Glaub’ mir, Haymo, dem Teufel laufen die Seelen so scharenweise zu, daß er gemüthlich warten kann, bis sie kommen. Der braucht sich nicht zu raufen um das, was sein ist. Und bei einer Seel’, die dem lieben Herrgott gehört, da hilft ihm auch das Raufen nichts.“

„So?“ Haymos Stimme klang seltsam gereizt, denn wieder sah er den Pater Fischmeister vor Gittli stehen mit verlangend ausgestreckten Armen, mit begehrlich funkelnden Augen. „Und Ihr meint wohl, der Pater hätte solch eine fromme Seele, die nirgends hin will als nur hinauf in den Himmel?“

„Was weiß ich! Kein Meusch hat ein Guckloch vor dem Herzen, daß man hineinschauen könnte, wie’s aussieht drinnen. Auf jeder Pfanne liegt ein Deckel. Nun errath’s, was drinnen kocht! Mit der Nase riecht man auch nicht alles! Und wer immer auf den Knieen rutsckt, ist auch noch lange kein Heiliger. Es kann auch einer in den Himmel kommen, der steife Beine hat. Und dann, was geht’s mich an – er ist der beste Fischer, das ist mir genug! Freilich, was Besonderes muß es schon gewesen sein, was den ins Kloster verschlagen hat. Wenn ich zurückdenke die zwanzig Jahre …“

„Ihr habt ihn gekannt?“ fiel Haymo hastig ein.

„Gekannt? Nein! Aber gesehen hab’ ich ihn einmal. Und hab’ ihn auch nimmer wieder vergessen. Es war zu Regensburg. König Ludwig … jetzt ist er lange schon Kaiser, und Gott mag ihn erhalten, denn er ist ein guter Herr … der sollte damals zu Gast kommen zu Bischof Adalbert. Und da holten sie mich aus dem Kloster, damit ich das Mahl rüste. Ja, mein Junge, ich hab’ allezeit was gegolten! Ein Koch wie ich … lassen wir’s, denn stolz sein ist eine Sünde. Ich kam also, und ich sage Dir, Wunder hab’ ich gewirkt, Wunder! Was ein Auerhahn für ein Vieh ist, das weißt Du doch?“

„Keine schönere Jagd, Frater!“

„Jagen? Meinetwegen! Aber essen? Ich danke! Was aber will ich machen? ‚Bruder Küchenmeister,‘ sagte Herr Adalbert zu mir, ‚ich will Dir nur kund und zu wissen thun, daß Herrn Ludwigs Lieblingsgericht der Auerhahn ist!‘ Auch ein Geschmack, denk’ ich mir! Dazu gehört ein gut bayerischer Magen! Und Zähne! Die hat er freilich – das haben seine Feinde gespürt, mit denen er ins Beißen kam! Also, ein Auerhahn! Ja, aber wie! Ich sage Dir, Haymo, die ganze Nacht hab’ ich kein Auge zugethan. Und mir ward Erleuchtung. Ich habe damals eine Beize erfunden … eine Beize! Und der Auerhahn kam auf die Tafel! Und wie! Butter, Haymo, Butter!“

„Aber der Pater Fischmeister?“ drängte Haymo.

„Ja, richtig! Es war ein wunderschöner Maitag, als Herr Ludwig einzog im Hofe der Bischofsburg. Alles glitzerte von Sonne. Der Himmel gut bayerisch: blau mit silbernen Schäflein! Als sie kamen … ich sage Dir, Haymo, das war ein Glanz und eine Pracht von all dem funkelnden Gold und Eisen! Vom Küchenfenster sah ich’s mit an. Und ein Jubel und eine Freude! Herr Ludwig ritt auf einem schneeweißen Pferd …“

„Die Krone auf dem Haupte und das Scepter in der Hand?“

„Dummer Jung’!“ lachte der Frater. „Da kennst Du unsern Kaiser schlecht! Nein! Im schlichten Jägerkleid, nicht schlechter wohl, aber auch fast nicht besser als der Kittel, den Du am Leibe trägst. Sein Gefolg’ aber! Du, das schaute sich an, als wären die Schatzkammern der Untersberger Zwerge lebendig geworden. Und unter all den Fürsten und Rittern war einer …“

„Der Pater Fischmeister?“ platzte Haymo heraus.

„Errathen! Freilich, damals hieß er noch nicht Pater Desertus … sondern Dietwald, Burggraf zu Falkenberg[2]!“

„Ein Graf!“ rief der Jäger mit offenem Munde.

„Hast Du schon den heiligen Georg auf seinem Rosse gesehen?“

„Ja, auf dem Bilde, das im Zimmer des Vogtes hängt.“

„So sah er aus! Stolz und schön! Unter dem blitzenden Helme ringelten sich die schwarzen Locken hervor. Auf den Lippen sproßte ihm der erste Flaum, ein lachendes Gesicht wie Milch und Blut … aber eine Gestalt und Glieder und eine Kraft! Sein Roß schnaufte nur so unter ihm! Und als wär’s ein Birkenblatt, so trug er den schweren Schild, der einen weißen Falk auf blauem Grunde zeigte. Andern Tages beim Turnier, da brauchte er nur so zu machen“ – der Frater Küchenmeister tippte den Zeigefinger auf Haymos Brust – „und die Herren Ritter purzelten in den Sand und streckten alle Viere in die Luft. Und die Weibsleute! Wie verrückt waren sie. Die Augen guckten sie sich aus nach ihm. Er aber … Was giebt’s?“

Ein Laufbube war in die Stube herein gestürmt: der Klostervogt hätte nach dem Jäger fragen lassen.

  1. Der Biber nährt sich in Wirklichkeit nicht von Fischen, sondern von Pflanzenkost; doch wurde er im Mittelalter als Fischfresser mit dem Otter in eine Reihe gestellt.
  2. In Niederbayern, an einem Nebenbache der Vils gelegen, Spuren der Burgruine finden sich noch heute.
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