Seite:Die Gartenlaube (1892) 232.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Vor der Thür stellte er den Bergstock ab, dann trat er in das Blockhaus.

Es war ein kleiner Raum, den er betrat. Die Balkenmauern des Hauses waren auch die Wände der Stube; mit dürrem Moose waren die Ritzen zwischen den Balken verstopft. Neben der Thür durchbrach ein kleines Fenster die Blockwand. Der niedere, aus Felsbrocken roh gemauerte Feuerherd nahm fast den vierten Theil des Raumes ein; an der Wand neben dem Herde stand das plump gezimmerte Bett, angefüllt mit Heu, darüber eine Wolfsdecke, ein Kissen aus Rehfell und ein großes, rauhhaariges Stück Loden; rings an den freien Wänden entlang lief eine Balkenbank, in der Ecke neben dem Fenster stand der klotzige Tisch. An der Wand noch ein kleiner Schrein zur Aufbewahrung des Mundvorrathes, über dem Herde zwei gekreuzte Stangen zum Trocknen der durchnäßten Kleider, neben der Thür zwei Holzzapfen für die Armbrust und das Wehrgehäng, ein Brett mit mancherlei Geschirr, in der Ecke über dem Tisch ein Kreuz, dessen welker Blumenschmuck ebenso gebräunt war wie alles Gebälk; denn der Rauch des Herdfeuers hatte immer ein langes Weilen in der Stube, bis er durch die Ritzen der Blockwand und des Daches seinen Weg ins Freie fand.

Vor dem Herde, auf welchem ein helles, heftig knisterndes Feuer flackerte, stand, mit der dampfenden Pfanne beschäftigt, der Laufbube des Klosters, ein etwa fünfzehnjähriger Bursch, hager und sehnig, mit einem verschmitzten stulpnasigen Gesicht, die braunen Haare kurz geschoren; er war mit einem rauhhaarigen Wams bekleidet, das in Schnitt und Länge fast einer Kutte glich.

Als Haymo unter die Thür trat, grüßte ihn der Bube nur mit einem Nicken des Kopfes und einem blinzelnden Blick. Vom Heubett aber erhob sich eine rundliche Gestalt, ein Mönch in der schwarzen Ordenstracht der Augustiner, das wohlgenährte Bäuchlein umschlungen von breitem Ledergurt; die genagelten Bundschuhe, welche schon am Feuer zum Trocknen standen, hatte er durch Strohpantoffel ersetzt. Er trat auf Haymo zu, die Fäuste in die Hüften gestemmt; seine kleinen Augen zwinkerten, der Mund bewegte sich wie kauend, und über der knopfigen Nase und den kugeligen Backen lag eine Purpurgluth, welche nicht allein vom Wiederschein des Feuers herrührte.

„Willkommen, ehrwürdiger Vater!“ grüßte Haymo und zog die Kappe.

Walti, der Laufbub, kicherte zu diesem Gruße; der Mönch aber lachte aus vollem Halse: „Also Du bist der Haymo, unser neuer Jäger?“

„Ja.“

„Glaub’ ich nicht! Glaub’ ich nicht!“

„Ja doch, ich bin es!“ stotterte Haymo verlegen.

„Du? Du willst ein Jäger sein? Ui jei![1] Mit Dir hat Herr Heinrich was Schönes aufgegabelt. Du willst ein Jäger sein? Ein Jäger muß Augen haben! Verstehst Du? Du aber hast Augen wie eine Blindmaus! Da – schau her!“ Lachend beugte der Mönch das Haupt und zeigte den Scheitel, der mit struppigen Haarbüscheln bewachsen war und keinen Schimmer einer Tonsur gewahren ließ.

Nun lachte auch Haymo; und Walti, den fettglänzenden Eisenlöffel schwingend, schrie dem Jäger ins Ohr, als hätte er einen Tauben vor sich: „Das ist ja nur der Frater Severin, unser Gärtner!“

O Spott des Namens! Severinus, das heißt zu deutsch „der Strenge“, „der Ernsthafte“ – und dieses Gesicht dazu und dieses Bäuchlein, welches vor Lachen wackelte, daß Frater Severin sich auf die Holzbank niederlassen mußte, um Athem zu finden!

„So? So? Ihr seid ein Frater?“ sagte Haymo, sein Wehrgehäng von der Hüfte schnallend. „Nun, dann seid mir doppelt willkommen!“ Und lächelnd streckte er seine Rechte hin.

Severin faßte sie mit der einen Hand, während er die andere schalkhaft drohend erhob. „Du! Du! Wenn ich das dem Guardian verrathe, daß Dir ein Pater die halbe und ein Frater die doppelte Freude macht, dann setzt es was!“ Er wollte weiter sprechen; doch aus der Pfanne, die über dem Feuer hing, stieg plötzlich ein zischender Dampf. „Walti, Du Rabenthier!“ schrie er erschrocken und stürzte dem Herde zu. „Richtig! Laßt der Kerl uns das Futter anbrennen, als wär’s eine Seel’, die der Teufel schmort! Her mit dem Löffel!“ Er riß dem Buben den eisernen Zinken aus der Hand und begann die rauchende Speise mit einem Eifer umzuwenden und durcheinander zu stoßen, daß ihm bald die hellen Schweißtröpflein über die dicken Backen rannen.

Haymo sah ihm eine Weile zu, dann nahm er die Armbrust von der Schulter und rieb mit einem Lederlappen die von der feuchten Luft erweichte Sehne solange, bis sie warm und trocken wurde. Als er die Waffe über den Holznagel hängte, trug Frater Severin die dampfende Pfanne zum Tische.

„So, Ihr Knospen, her zum Futter!“

Sie reihten sich um den Tisch, dem das Herdfeuer genügende Helle gab, und sprachen ein kurzes Gebet. Und wirklich – Frater Severins schmunzelndes Gesicht wurde ernst für eine Minute. Kaum aber hatte er das Amen von den Lippen, da strahlte er schon wieder, und sein Löffel war der erste in der Schüssel.

Einige Bissen hatten sie gegessen, da legte Severin hastig den Löffel nieder und hielt den beiden anderen die Hände fest. „Halt! Wir haben das Beste vergessen! Walti! Her mit der Güte Gottes!“

Der Bub sprang auf und holte aus einem Zwerchsack eine bauchige Thonflasche herbei. Bedächtig löste Frater Severin den Rindenpfropf und schob dem Jäger die Flasche hin. „Sollst den ersten Schluck haben – Klosterbier!“ Und er schnalzte mit der Zunge.

Haymo that einen langen Zug. „Ja, Frater, da merkt man die Güte Gottes!“

Walti kicherte und Frater Severin lachte. „Hörst Du, was er gesagt hat! Güte Gottes!“ Er gab dem Buben einen Puff in die Seite und vertiefte sich in die Flasche. Dann wieder zu Haymo gewendet, rief er: „Ich will Dir’s verrathen! Weißt Du, ich bin kein böser Mensch. Wenn ich in meinem Chorstuhl kniee und zu dem da droben bete, dann schlag’ ich an meine Brust und fühle, daß ich ein armer Sünder bin. Aber dann in Garten, Keller und Küche, da redet man auch gern wieder von irdischen Dingen. Dem Pater Guardian, aber gefällt das nicht. Und darum haben wir uns eine Sprache erfunden – weißt Du – ein fester Brotlaib, der heißt bei uns ‚eine gute Seele‘, solch ein Krug, das ist die ‚Güte Gottes‘, und eine alte Flasche Wein, das ist ‚des Himmels höchste Huld‘. Und weißt Du, was die ‚wahre Andacht‘ ist? Eine gebackene Forelle! Und das ‚Labsal der Betrübten‘? Ein gesulzter Hecht! Ui jei! Du solltest nur einmal den Pater Guardian sehen, wie zufrieden er lächelt, wenn er uns von so frommen Dingen reden hört – wenn ich etwa sage: ‚Ach, heut’ wurde mir des Himmels höchste Huld zutheil!‘ oder: ‚Ach, wie bin ich erfüllt von wahrer Andacht!‘“

So plauderten und lachten sie weiter, ließen die Flasche kreisen und thaten sich gütlich an ihrem bescheidenen Mahl. Als Walti dann den Tisch räumte, sagte Frater Severin zu Haymo: „Neugierig bist Du aber gar nicht; fragst nicht einmal, weshalb wir gekommen sind!“

„Ich freue mich, daß Ihr da seid! Was kümmert mich alles andre?“

„Du sollst morgen hinunter ins Kloster und Deiner Christen Pflicht genügen!“

„Das thät’ ich gerne! Wer aber hütet, bis ich wieder komme, meine Gemsen und Steinböcke?“

„Ich!“

„Ihr?“ lachte Haymo lustig auf.

„Ja, ich – was sagst Du?“ jammerte Frater Severin. „Herr Heinrich meinte, der faule Winter hätte mir zu wohl angeschlagen. Nun soll ich mir ein paar gute Pfündlein aus der Kutte laufen! Das wird eine böse Sache werden!“ In banger Sorge befühlte er die Stelle seines Gurtes. „Aber Du, Du kannst Dich auch freuen, wenn Du morgen hinunterkommst. Neulich, als der Walti mit Deiner Botschaft herunterkam, da gab es ein Donnerwetter – ui jei! Weißt Du … Herr Heinrich ist ein frommer, seelenguter Mann, aber wenn es sich um verlorene Seelen und Steinböcke handelt, dann kann er schelten wie ein rechter Türke! Weißt Du, was er sagte? Er sagte: ‚Zwei Böcke in einer Woche … wenn das so fortgeht, steck’ ich den Burschen unter die Klosterknechte und schick’ einen andern, der wachsamere Augen hat und sich besser versteht auf die Hut des Gewildes.‘ Ja, das sagte er.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_232.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2021)
  1. Dialektische Verstümmelung des Ausrufes: „Ach, Jesus!“