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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Sie blickte ihn lächelnd an, aber wie verschieden war dabei ihr leuchtender klarer Blick von Vilmas bedeutungsvollem Augenaufschlag! Der Vergleich kam ihm ganz plötzlich zu Sinne, und er begriff nicht, daß er diese ebenfalls sehr schön geschnittenen großen Augen so lange neben den anderen kaum bemerkt hatte. Indessen – ging es nicht mit der ganzen Persönlichkeit ebenso? Diese Paula war ja die weitaus interessantere von beiden! Und das erkannte er jetzt erst, wo sie ihm in kürzester Frist schon aus den Augen verschwinden sollte!

„Station Landeck!“ – Schon?! .. Hier sollte er ja aussteigen, um nach Finstermünz zu kommen. Na, dem ließ sich leicht abhelfen durch ein Billet nach der Schweizer Endstation, so blieb man noch ein paar Stunden beisammen. Ihm konnte es ja einerlei sein, wohin er fuhr, und so angenehm hatte er sich seit lange nicht im Bahnwagen unterhalten.

Eilig entstieg er demselben, das neue Billet zu holen, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Paula erfuhr nur im Laufe der Unterhaltung, daß er einen Ausflug ins Rheinthal vorhabe. Dann saßen sie in bester Stimmung an dem geöffneten Aussichtsfenster beisammen. Die herrlichen Landschaftsbilder zogen vorüber, und der goldene Septembertag goß seinen Glanz darüber aus. Die beiden Schweigsamen geriethen so lebhaft ins Gespräch, daß ihnen die Zeit vorüberflog wie draußen die wechselnde Landschaft, und bald kam über jedes von ihnen ein heiteres Sichgehenlassen, als habe es das andre schon lange gut gekannt.

In Feldkirch schaffte Thormann einen Kellner mit Wein und Speisen herbei, er nöthigte Paula, die in Gedanken an ihre schmale Börse am liebsten nur ein Brötchen gegessen hätte, zum Zugreifen und wurde sehr zornig, als sie einen schüchternen Versuch zum Zahlen machen wollte. Dann ging es weiter, und ihm fiel der bevorstehende Abschied immer schwerer ins Bewußtsein. Das Gespräch fing an, Pausen zu bekommen.

„Fräulein Paula,“ begann er plötzlich nach einer solchen, „kennen Sie meine Kleine?“

„Sigrid? O ja, ich habe sie bei meinen Schwestern gesehen.“

„Welchen Eindruck machte sie Ihnen?“

Paula zögerte in der Erinnerung an Sigrids maßlose Ungezogenheiten. „Sie sieht intelligent aus,“ sagte sie endlich.

„Und ist nebenbei sehr verzogen, nicht wahr?“

„Ich glaube, ja!“

„Das finden Sie also auch! Ich merke es schon seit längerer Zeit, aber wie soll man dem abhelfen?“

„Können Sie sich nicht entschließen, das Kind ein paar Jahre von sich wegzugeben, in ein gutes Familieninstitut, wo es von erfahrenen Frauenhänden zum Rechten angehalten wird? Ohne solche Erziehung werden die Kinderunarten leicht zu Charakterfehlern der Erwachsenen, und die sind dann nicht mehr zu ändern.“

„Sie haben wohl recht!“ seufzte der solchergestalt am Gewissen gepackte Vater und versank eine Zeit lang so tief in Nachdenken, daß er nicht merkte, wie nahe schon das Ziel der Fahrt sei, und über den Ruf: „Station Buchs!“ ganz verstört auffuhr.

Zwanzig Minuten Aufenthalt – Zollrevision, Gedränge und Durcheinander! Thormann leistete der jungen Reisenden noch jeden möglichen Dienst, dann half er ihr ins Damencoupé. Ein kurzer Händedruck war gewechselt worden, er hatte es auch nur zu ein paar einfachen Abschiedsworten gebracht, aber seine treuen blauen Augen ruhten so selbstvergessen auf dem jungen Gesicht hinter den Wagenfenstern, daß eine Paula gegenübersitzende töchterreiche Mutter es entschieden auffallend fand.

Da klangen die drei kurzen Glockenschläge – noch ein Gruß, ein freundliches Nicken zur Antwort – und fort rollte der Zug.

Thormann saß noch lange in der Bahnhofrestauration, gedankenvoll vor sich ins Glas starrend, und würde ohne die Mahnung des Kellners nicht mehr in den Zug gekommen sein, der nach Landeck zurückfuhr. Paula ihrerseits dachte in dem überfüllten Damencoupé: „Eigentlich haben die nicht so unrecht, die ihre Lebensreise gern im Schutze einer guten und treuen männlichen Begleitung machen wollen.... Ah bah! man muß sie auch allein fertig bringen. Kopf in die Höhe, nun geht das neue Leben an!“ Aber es erschien ihr auf einmal nicht mehr so beglückend wie heute morgen.




Lars Thormann an Paula von Düring in Zürich.
Landeck, 20. September 18 .. 
Mein verehrtes Fräulein!

Es sind erst fünf Tage, seit Sie von mir geschieden sind, und doch dünken sie mich sehr lange. Ich sitze hier oder laufe auch wohl umher, aber meine Gedanken drehen sich unablässig um einen Punkt, und ich kann nicht mehr anders, als Ihnen dieselben mitzutheilen. Vermuthlich, ich sage mir es immer wieder, wird das an Ihrem Entschluß nichts ändern können, aber eine schwache Möglichkeit bleibt immerhin, und auf diese richte ich jetzt meine Augen, wenn ich Ihnen schreibe.

Fräulein Paula – müssen es durchaus fremde Menschen in unbekannten Verhältnissen sein, welchen Sie Ihre Sorge und Theilnahme widmen wollen? Könnten Sie sich nicht entschließen, als den Ihnen bestimmten Ort der Pflicht das Haus eines einsamen Mannes anzusehen, der gerade genug Ecken und Wunderlichkeiten hat, um den Verkehr mit ihm recht schwierig zu machen, ganz abgesehen von seinem Kinde, zu dessen endlicher Erziehung die Geduld eines Engels nothwendig ist?

Sie sehen, ich biete Ihrem Hunger nach Opfern und Selbstüberwindung glänzende Aussichten. Nun aber lassen Sie mich als ehrlichen Mann auch die erschwerenden Umstände anführen! Daß Sie nämlich mit einem Ja einen Menschen unendlich glücklich machen würden.

Es war nur ein Tag, den wir miteinander zubrachten, allein er hat mir in Ihnen ein Wesen gezeigt, wie ich es nicht mehr hoffte finden zu können. Und nicht nur Ihr fester besonnener Geist, Ihr klares Gemüth sind es, die mich entzücken – es ist ebenso die Anmuth Ihrer äußeren Person, Ihr holdes Lächeln, die braunen stillen Augen, Ihr ganzes liebes Bild, das überall, wohin ich gehe, mich umschwebt.

Dies mußte ich Ihnen sagen, auf die Gefahr hin, daß es Sie erschreckt und meinem Antrag abgeneigt macht. Es ist mir sehr ungewiß zu Muthe, liebe Paula, denn ich weiß, daß Sie mich viel näher kennen müßten, um Ihre Hand ohne Ueberwindung in die meine zu legen. Und doch möchte ich die Hoffnung haben, daß Sie mich künftig lieben lernten, wie ich Sie heute schon von Herzen liebe. Entscheiden Sie also! Aber lassen Sie mich, ich bitte, nicht länger in dieser Ungewißheit, als durchaus nöthig ist! Geben Sie mir ihr Ja oder Nein telegraphisch hierher! Im letzteren Falle hören Sie nie mehr von mir, im ersteren kommt zwölf Stunden später und holt Sie als ein sehr Glücklicher heim Ihr Lars Thormann. 



Telegramm.
Herrn Thormann, Landeck.

Ja, und ohne Ueberwindung! Paula. 




13.
Fünf Jahre später.

„Siebenundvierzig!“ sprach der Ministerialrath Walter und that dabei einen Athemzug, der fast wie ein Seufzer klang, obwohl die Veranlassung zu einem solchen aus seiner augenblicklichen Situation nicht abgeleitet werden konnte Denn er stand am Abend seines Geburtstages, Gäste erwartend, in dem schönen hellbeleuchteten Salon, Frau und Tochter zur Seite, und betrachtete mit ihnen noch einmal die unter Blumen und Kuchen aufgebaute Gabenfülle seines Tisches: neue Bände Afrikareisen, hübsche Juchtengegenstände, daneben zwei schriftliche Geistesprodukte der Herren Söhne und feine, schneeweiße, von Elsbeths fleißigen Fingern gesäumte Tücher, außerdem noch manches Zeichen glückwünschender Freundschaft. All dies war sehr schön und erfreulich, und doch seufzte der Herr Ministerialrath.

„Siebenundvierzig!“ wiederholte er nachdenklich. „Die Jugend ist vorbei, das Rad steht nicht still, ob man auch noch so sehr verlangt, in seine Speichen greifen und ‚Halt!‘ rufen zu können. Es hilft nichts, als sich mit Ergebung aufs Altwerden einzurichten – wie, Schatz?“ Und er wandte zärtlich die Lippen nach dem blonden Haupt, das glücksfroh wie einst in fernen Jugendtagen an seiner Schulter lehnte.

„Da hört man wieder einmal den ‚schönen Mann‘,“ sagte Karoline Wiesner, die eben beschäftigt war, ihre Geburtstagsgabe,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 216. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_216.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2020)