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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

sich langsamer bewegen als die ihm näher gelegenen, so blieb doch diese Erscheinung zwei Jahrhunderte lang unbeachtet und mußte, wie es in der Wissenschaft so oft geht, erst wieder neu entdeckt werden. Man erkennt auf den ersten Blick, daß sich die sonderbare Erscheinung durch die Umdrehung der Sonne keineswegs erklären läßt, ja daß in der Eigenbewegung der Flecken vielmehr der Grund dafür lag, weshalb die Astronomen, von Galilei bis auf unsre Zeit, in Bezug auf die Umdrehungsdauer der Sonne zu so wenig übereinstimmenden Ergebnissen gelangten; schwanken doch die von ihnen angegebenen Zahlen zwischen 25 und 30 Tagen!

Carrington unternahm nun eine Reihe von Beobachtungen und fand, daß die Flecken, sobald sich ihr Stand dem Minimum nähert, nach dem Aequator hin zusammenrücken und dort schließlich ganz verschwinden; hierauf erscheinen, gleichsam durch einen frischen Anstoß, plötzlich wieder Flecken in höheren Breiten der Sonne, die sich mit dem Fortschreiten der neuen Thätigkeitszeit wieder gegen den Aequator hin ausbreiten. Wolf, der diese Angaben durch seine eigenen Beobachtungen bestätigt fand, vergleicht die Bewegung der Flecken mit Strömungen, welche von den beiden Polen nach dem Aequator hin gehen; je nach einem Fleckenminimum beginnen solche Strömungen, steigern sich bei gegenseitiger Annäherung in ihren uns als Flecken und Fackeln sichtbar werdenden Wirkungen, bis ein gewisser Höhepunkt erreicht ist und nun eine Ausgleichung beginnt, die zur Zeit des minimalen Fleckenstandes als beendigt betrachtet werden kann. Die Flecken vor dem Minimum sind die letzten Spuren der erlöschenden alten Strömung, die nach dem Minimum die ersten Wirkungen der neuen Strömung.

Aus dieser sogenannten Eigenbewegung der Sonnenflecken schloß nun Secchi 1864 nicht nur, daß die Photosphäre, das heißt die die Sonne umgebende leuchtende Gashülle, wie die Wolken unsrer Atmosphäre beständig in Bewegung ist, sondern auch, daß der sogenannte Sonnenkern kein fester Kern, sondern eine glühende Gasmasse von beträchtlicher Dichtigkeit sei, eine Ansicht, die, durch verschiedene gewichtige Gründe gestützt, jetzt allgemein Eingang gefunden hat. Diejenigen Theile der Masse, welche ihrem Mittelpunkt näher liegen, besitzen nach Secchis Ansicht eine größere Umdrehungsgeschwindigkeit als die Photosphäre. Steigen nun infolge einer gleich näher zu besprechenden Ursache Ströme von Gasmassen aus dem Innern der Sonne an die Oberfläche auf, so kommen sie daselbst mit dieser durch ihre frühere Lage bedingten größeren Geschwindigkeit an und werden deshalb in der Drehungsrichtung der Sonne vorwärts geschleudert, eine Erscheinung, die thatsächlich beobachtet werden kann, wenn man die Entstehung der Flecken aufmerksam verfolgt. Nach dieser Theorie sind also die Sonnenflecken einfach Brüche oder Löcher in den photosphärischen Wolken, welche durch die senkrecht vom Sonnenkern ansteigenden heißen Ströme verursacht werden, sie sind somit Gegenden, in denen eine erhöhte Hitze herrscht. Da die Photosphäre, in welche die Gasmassen durch die senkrecht aufwärts gerichteten Ströme gelangen, ihrem Eindringen infolge ihrer größeren Dichtigkeit einen beträchtlichen Widerstand entgegensetzt, so verlangsamt sich allmählich die Bewegung der emporgeschleuderten Massen, bis ein gewisses Gleichgewicht hergestellt ist, das heißt bis der Flecken dieselbe Geschwindigkeit besitzt wie das ihn umgebende Mittel. Der dunkle Kern, den die durch die hervorbrechenden Gasmassen entstehenden Höhlungen zu enthalten scheinen, rührt nach Secchis Anschauung theils von metallischen Dämpfen her, welche die Lichtstrahlen stärker absorbieren und deren Existenz durch die Spektralanalyse thatsächlich nachgewiesen ist – theils ist er auf eine Wirkung des Gegensatzes der ausgestoßenen helleren Massen gegen die tiefer liegenden Partien der entstehenden Krater zurückzuführen. In der That hat man sich auch bei Beobachtung der Venus- und Merkurdurchgänge überzeugt, daß die scheinbar schwarzen Sonnenfleckenkerne weit heller als diese ganz dunkeln Planeten sind, eine Bemerkung, die schon Galilei 1612 gemacht hatte.

Woher nun jenes Aufsteigen von heißen Gasmassen? Secchi sucht die Veranlassung darin, daß die Photosphäre sich durch fortgesetzte Ausstrahlung in den Weltraum abkühlt; die Gasmassen verdichten sich durch diese Abkühlung, nehmen folglich an Gewicht zu, sinken hinab und verdrängen die wärmeren Massen, welche dann infolge ihres geringeren Gewichtes emporsteigen und so als fleckenbildende Ströme erscheinen.

Der Sonnenkörper befindet sich sonach beständig im Zustand einer kolossalen Bewegung. Manche Flecken bilden sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit und verschwinden wieder ebenso schnell, als sie gekommen. Andere wieder besitzen eine beträchtliche Dauer und können nach Verlauf von drei oder vier Sonnenumdrehungen wenig verändert wieder aufgefunden werden. Diese gehören zu den größten und weisen die tiefsten Kraterbildungen auf, die man beobachten kann. Die Größe der Sonnenflecken ist eine sehr wechselnde, die umfangreichsten besitzen einen Durchmesser bis zu 30200 geographischen Meilen – einen von dieser Ausdehnung hatte z. B. Schwabe in Dessau 1850 beobachtet. Solche Flecken können mit freiem Auge wahrgenommen werden. Die kleinsten hingegen sind nur in den stärksten Fernrohren sichtbar.

Auch ihre Gestalt ist einer fortwährenden Veränderung unterworfen: sie erweitern sich und ziehen sich zusammen, ja sie theilen sich oft in mehrere kleinere, und umgekehrt vereinigen sich kleinere zu einem einzigen Flecken von beträchtlicherer Ausdehnung.

Man erkennt, wie sich alle diese Vorgänge leicht mit der Ansicht Secchis über das Wesen des Sonnenkörpers erklären lassen; nur die Eigenbewegung der Flecken sowie ihr periodisch wechselndes Auftreten bleibt in dieser Theorie unerklärt, und es ist bisher, trotz der verschiedensten Hypothesen, die von anderen Gelehrten wie Zöllner, Young, Faye und Lockyer (1886) aufgestellt worden sind, noch nicht gelungen, eine vollkommen befriedigende Lösung dieser wichtigen Fragen zu erreichen. Vielleicht hat dies seinen Grund darin, daß die Ursachen jener Erscheinungen gar nicht im Sonnenkörper selbst, sondern außerhalb desselben, etwa in der Massenanziehung der Planeten, zu suchen sind.

Schließen wir mit dem Wunsche, daß es auch hier dem nimmer rastenden Menschengeist gelingen möge, in ein Geheimniß der Natur völlig einzudringen, dessen Einwirkung auf die kosmischen Erscheinungen wir bis jetzt wohl theilweise erkennen, aber noch nicht in seiner ganzen Tiefe zu ergründen imstande sind!


Der Zeitgeist im Hausstande.

Bilder aus dem Familienleben.
Von R. Artaria.
 (Schluß.)

Im Frühroth des folgenden Tages rollten Walter und der Professor miteinander auf der Straße dahin und hatten bald den noch mit Schaubuden und Karussells geschmückten Marktplatz von Oberhausen erreicht. Hastige Umfragen in den wenigen Wirthshäusern führten zu keinem Ergebniß: es hatten sich viele Jungen tags zuvor darin herumgetrieben, über Nacht geblieben war keiner.

„Vorwärts!“ sagte der Professor. „Daß wir ihn nicht schon hier finden, war zu erwarten.“

Und das Wägelchen rollte weiter, und dem darin sitzenden Vater wurde das Herz schwer und schwerer. Wenn dem Jungen ein Unglück zugestoßen war! Er sah ihn deutlich vor sich mit den unentwickelten Gesichtszügen, dem ängstlichen Blicke und dann dachte er um Jahre weiter zurück, wo die Augen des Kindes voll Glückseligkeit dem heimkehrenden Papa entgegengeleuchtet hatten, wo dessen Knie sein liebster Platz war. Trug er wirklich schuld an der Aenderung? Hatte er seine Pflicht als Vater nicht voll gethan? Und – war dies die Strafe dafür?

… Es wurde ihm beklommen zu Muthe, ein leises Stöhnen entrang sich seiner Brust. Theilnehmend griff der alte Mann nach seiner Hand. „Wir werden ihn finden!“

„Es ist nicht allein diese Sorge!“ erwiderte Walter. Und nun sprach er, einem unwiderstehlichen Drange nachgebend, seine quälenden Gedanken aus. Der andere hörte ernsthaft zu.

„Erinnern Sie sich unseres gestrigen Gesprächs?“ sagte er endlich voll Milde. „Dies gehört auch dazu. Ist es denn die sogenannte Welt mit allen ihren rastlosen Interessen und

gesellschaftlichen Pflichten werth, daß man das Größte um sie aufgiebt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_212.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)