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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Astronomen Hermann Fritz zu verdanken, wenn wir jetzt mit Bestimmtheit aussprechen können, daß auch diese irdische Erscheinung mit der Sonne in Verbindung steht, und daß ihre Perioden von 111/9, 555/9 und 222 Jahren mit ebensolangen Perioden der Sonnenflecken sich decken, insofern die höchsten Fleckenstände mit der größten Häufigkeit der Nordlichterscheinungen zusammenfallen.

Ueberhaupt spiegeln sich alle bedeutenderen Vorgänge auf dem Sonnenkörper untrüglich in unseren erdmagnetischen Erscheinungen ab. Das merkwürdigste Beispiel hierfür ist eine Beobachtung, welche die englischen Astronomen Carrington und Hodgson, unabhängig voneinander, am 1. September 1859 machten. Während nämlich Carrington mit seinen täglichen Messungen des Sonnenfleckenstandes beschäftigt war, wurde er durch das plötzliche Auftreten zweier Stellen von besonders starkem Lichte, sogenannten „Sonnenfackeln“, die sich häufig mitten in den Fleckengruppen zeigen, überrascht. Dieser starke Lichtausbruch dauerte nur fünf Minuten, legte aber in dieser Zeit auf der Sonnenscheibe einen Weg von ungefähr 7600 Meilen zurück, und zwar ohne in der Fleckengruppe irgend eine Veränderung hervorzurufen. Genau zur selben Minute zeigten alle erdmagnetischen Stationen einen gewaltigen magnetischen Sturm an, dessen Wirkungen bis zum 4. September dauerten. Der telegraphische Verkehr war überall unterbrochen, Funken gingen von den Drähten aus, Polarlichter zeigten sich auf beiden Erdhälften, und die Magnetnadeln konnten keine Ruhe mehr finden und schwankten hin und her, als wenn sie von einem unerklärlichen Schrecken ergriffen wären. Die Sonne war also hier, wie sich Balfour Stewart ausdrückte, bei der Hervorbringung irdischer Erregungen „auf frischer That ertappt“ worden. Worin der Grund zu dieser merkwürdigen Einwirkung der Sonne auf unsere irdischen Verhältnisse liegt, darüber haben wir bisher noch keine absolute Gewißheit, obwohl die in jüngster Zeit von Hertz gemachten großartigen Entdeckungen im Gebiete der elektrischen Wellentheorie die Wahrscheinlichkeit nahelegen, daß die Sonne auf unseren Weltkörper direkt elektrische Ströme induziert und durch diese magnetische Wirkungen verbreitet.

Nicht so glücklich war man bisher in der Auffindung eines untrüglichen Beweises für den unmittelbaren Einfluß der Zustände des Sonnenkörpers auf unsere irdischen Witterungsverhältnisse. Schon Wilhelm Herschel wurde durch verschiedene Ueberlegungen zu dem Versuche geleitet, die Abwesenheit der Sonnenflecken in manchen Jahrgängen mit den Kornpreisen und den Klagen über schlechte Ernten in Verbindung zu bringen, und sein Gedanke hat auch in neuerer Zeit wiederholt zu Untersuchungen über den Zusammenhang der Sonnenfleckenperioden mit den Handelskrisen Anlaß gegeben. So veröffentlichte W. Stanly Jevons 1879 in den „Times“ mehrere Artikel, in denen er aus einem Vergleich der Weizenpreise zu Delhi eine zehn- bis elfjährige Periode nachzuweisen suchte, welche mit der Periode der Sonnenflecken in der Weise zusammenstimme, daß den Jahren der geringsten Fleckenzahl die höchsten Weizenpreise entsprechen. Obgleich nun R. Wolf nachwies, daß Stanlys Zahlen, selbst wenn sie ausreichend waren, dennoch zu diesen Schlüssen keine Berechtigung geben, so wurden doch 1886 dieselben Untersuchungen von F. Chambers in England wiederum aufgenommen und in größerem Maßstabe weitergeführt. Nach seinen Tabellen, welche die Getreidepreise in zehn indischen Distrikten von 1783 bis auf die neueste Zeit verzeichnen, scheint allerdings eine Uebereinstimmung dieser Preisreihen mit den Sonnenfleckenperioden vorhanden zu sein, wenn man eine Verschiebung der Epochen zuläßt, welche Chambers zum Theil auf die Ansammlung von Vorräthen zurückführt. Doch ist diese Art der Untersuchung vom Standpunkt des Meteorologen entschieden zu verwerfen; denn die Güte der Ernten und die Bewegung der Getreidepreise hängt von den verschiedensten Einflüssen ab und gestattet niemals einen sicheren Rückschluß auf die größere oder geringere Trockenheit und Wärme der betreffenden Jahrgänge. Vielmehr gab es nur einen richtigen Weg, den die Meteorologen einschlagen konnten, nachdem sie einmal einen Einfluß der Vorgänge im Sonnenkörper auf unsern Planeten kannten; sie mußten ihr Hauptaugenmerk unmittelbar auf die Temperatur, die Regenmengen, den Luftdruck und die damit zusammenhängenden Erscheinungen richten.

Die Ergebnisse, die hierbei erzielt wurden, lassen sich in kurzem folgendermaßen schildern: Zunächst ist zu bemerken, daß, wie die größte Winterkälte meist erst nach dem tiefsten Stande der Sonne, die höchste Wärme nach der Sommersonnenwende eintritt, so auch die Einwirkungen der Sonnenfleckenperioden, wenn solche vorhanden sind, erst nach dem Eintritt der Maximal- und Minimalstände zu erwarten sind. Außerdem ergaben die Untersuchungen von Köppen in Hamburg 1873 die wichtige Thatsache, daß die von der Fleckenperiode mittelbar oder unmittelbar beeinflußten Schwankungen der Temperatur nicht gleichzeitig auf der ganzen Erde eintreten, sondern zuerst nur in den Tropen, dann, allmählich immer mehr abnehmend, nach den Polen zu fühlbar werden und in den kalten Zonen kaum mehr wahrnehmbar sind. Ferner zeigen die Beobachtungen von 1816 bis in die letzten Jahre, daß wenigstens in diesem Jahrhundert die höheren Temperaturen in den Zeitraum zwischen einem Sonnenfleckenmaximum und einem Minimum fallen, während die niedrigeren Temperaturen in die Zeit zwischen einem Minimum und dem darauffolgenden Maximum treffen und somit als die Wirkungen des vorhergehenden kleinsten Fleckenstandes anzusehen sein dürften. Die Uebereinstimmungen im Wechsel dieser Vorgänge sind so genau, daß man einen ursächlichen Zusammenhang für dieses Jahrhundert kaum mehr leugnen kann. Interessant ist es, nebenbei bemerkt, daß schon Riccioli zu Bologna im Jahre 1651 annahm, daß mit einer Abnahme der Sonnenflecken eine Steigerung der Temperatur zusammenfalle.

Schwieriger gelingt der Nachweis einer Verbindung beider für das Ende des vorigen und den Anfang des gegenwärtigen Jahrhunderts (1779 bis 1816), da hier merkwürdigerweise gerade die umgekehrten Erscheinungen zutreffen. Ob dieselben nun von dem gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eingetretenen Hauptmaximum, der großen 555/9jährigen Fleckenperiode, in noch unbekannter Weise bedingt wurden, oder ob andere Ursachen zugrunde lagen, die stark genug waren, jene Regelmäßigkeit für eine Reihe von Jahren ganz zu verdecken, das ist noch nicht zur Genüge aufgeklärt.

Was nun die Regenmengen anlangt, so sprechen sich Meldrum, Jelinek und Wolf dahin aus, daß die Niederschläge in den fleckenreichen Jahren im allgemeinen größer seien als in den fleckenarmen, und Hahn bemerkt, daß trockene Sommer in den Perioden vom Minimum zum Maximum der Sonnenflecken am häufigsten auftreten. Aehnliches gilt auch von dem Erscheinen der sogenannten „Cirrus-Wolken“, wie ein alter Mitarbeiter der „Gartenlaube“, der Astronom H. J. Klein in Köln, durch zahlreiche Beobachtungen mit Sicherheit nachgewiesen hat. Es sind dies bekanntlich jene feinen, weißen Wölkchen, welche bald flockig ausgebreitet sind, bald in zarten Verästelungen oder auch in langen Parallelstreifen den Himmel überziehen. Dieselben bestehen, wie man jetzt allgemein annimmt, aus Eisnadeln und treten in ihrer größten Häufigkeit nach einem Sonnenfleckenmaximum auf. Da nun diese Wolken, wie allgemein bekannt, die Vorläufer und Begleiter der Regen und Sturm bringenden „Depressionen“ sind, so müssen auch letztere am zahlreichsten in den Jahren mit vielen Sonnenflecken und am seltensten in den Jahren der Sonnenfleckenminima sein.

Im allgemeinen ist wohl zu beachten, daß unsere bisherigen Kenntnisse der besprochenen Erscheinungen noch kaum Schlüsse auf eine längere Zeitperiode und einen allgemeinen Durchschnittsstand der Witterung in größeren Länderstrecken, geschweige denn Schlüsse auf ein einzelnes Jahr und auf Landstriche von geringerer Ausdehnung, gestatten. Aehnliches gilt auch für andere Dinge, wie vulkanische Ausbrüche, zündende Blitze, Hagel, Veränderung der Gletscher und das Auftreten verheerender Heuschreckenschwärme, die in den letzten Jahrzehnten mit den Sonnenfleckenperioden in Verbindung gebracht wurden. Es fehlt eben noch an genügendem statistischen Beobachtungsmaterial – ist dies beschafft, so wird eine spätere Zeit sicher Aufklärung bringen.

So stünden wir denn mit unsrer Geschichte mitten in der neuesten Zeit, und es bleibt uns nur noch übrig, unsere gegenwärtigen Ansichten über das Wesen der Sonnenflecken und des Sonnenkörpers überhaupt in Kürze darzustellen.

Wie schon erwähnt, ist die Herschelsche Theorie von dem dunkeln Sonnenkern unhaltbar geworden, und zwar einerseits und hauptsächlich infolge der Forschungen, welche Kirchhoff durch Anwendung der Spektralanalyse über das Wesen der im Sonnenkörper enthaltenen Stoffe anstellte, andrerseits durch die zuerst von Carrington in den Jahren 1853 bis 1861 genauer untersuchte Eigenbewegung der Sonnenflecken. Obgleich nämlich schon Scheiner 1612 die bedeutsame Bemerkung gemacht hatte, daß diejenigen

Sonnenflecken, welche weiter vom Sonnenäquator entfernt sind,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_211.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)