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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

sonnigen Gefilden der Kunst etwas Glanz und Licht ins dunkle Leben hineinzutragen, weil ich – dankbar bin. Schau, mein Herz, mich hat in früher Jugend das Leben rauh angefaßt, und ich mußte mir’s sauer werden lassen, bis ich meinen Weg sicher hatte. Damals habe ich gelernt, immer des Erreichbaren mich zu freuen, aus meiner Kunst die Kraft zu nehmen, die mich aufrecht hält, auch wenn Wolken den heiteren Himmel verdunkeln.“

Sie standen während dieses Gesprächs am offenen Fenster; die Sonne strahlte aus lichtblauem Himmel, sie ließ das Meer aufleuchten und flimmern, sie gab den Blumen und Büschen im Garten so heiterbunte Farben wie jenen Faltern welche um die Blüthen gaukelten. Die Sonne verlieh auch Rotts Augen einen seltsamen Glanz. Bettina, welche hineinschaute, war es, als spiegle sich alle Herrlichkeit des Himmels und der Erde in ihnen, und seine Stimme rührte alle guten Gefühle ihres Herzens auf. „Ich werde mich Deiner Worte erinnern,“ sagte sie sanft, „sobald der Unmuth in mir aufsteigt, und will gleich Dir fortan dankbarer sein.“

Er zog sie an sich und küßte ihre Stirne.

Von dieser Stunde an waren sie oft beisammen; besonders häufig unternahmen sie weite Segelfahrten zu den umliegenden Inseln und Küstenorten, und Bettina lehrte Rott, wie man das Segel handhabe.

Auf einem Streifzug durch die Lindströmschen Forsten begegneten sie eines Tages der Schloßherrin, welche in Begleitung einiger Gäste das Wild im Parke bei den Futtertrögen beobachtete. Die Liebenden befanden sich in so eifriger Unterhaltung, daß sie die Gräfin erst bemerkten, als jedes Ausweichen unmöglich geworden war. Diese, eine Blondine von zierlicher Gestalt und lebhaften Bewegungen, redete Rott an und überhäufte ihn mit Vorwürfen, daß er nicht im Schlosse abgestiegen sei. Sie sprach in nervöser Hast, stellte Fragen, ohne die Antwort abzuwarten und sprang von einem Thema zum andern. Die Freunde ihres Hauses behaupteten, nur das unzerstörbare Phlegma ihres verstorbenen Gatten habe diese Unruhe in ihr hervorgerufen. Begabt mit einem lebhaften feurigen Wesen sei die Gräfin fünfzehn Jahre lang an einen schwerfälligen Mann gekettet gewesen, der keine andere Lebensaufgabe gekannt habe, als seine Einkünfte in Werthpapieren und Grundbesitz anzulegen oder auf Tafelgenüsse zu verwenden. Das vergebliche Bemühen, diesen Gatten aus dem Schlaraffenleben aufzurütteln, habe ihre Nerven zerrüttet. Sie war die Tochter eines deutschen Musikers und hatte sich in ihrer Jugend der Künstlerlaufbahn zugewendet. Man erzählte sich, daß sie als junge Opernsängerin nach Stockholm gekommen sei und von der Bühne aus den Grafett bezaubert habe. Die fünfzehnjährige Trennung von der Kunst hatte jedenfalls ihr Interesse daran noch gesteigert, sie behauptete, gute Musik beruhige und erquicke sie mehr als jede Arznei.

Rott stellte seine Begleiterin der Gräfin vor, welche die erröthende und befangene Bettina mit dem Ausdruck der Ueberraschung und Neugierde betrachtete.

„Man beschäftigt sich hier zu Lande viel mit Ihnen,“ sagte sie lächelnd, „und die verschiedenartige Beurtheilung, welche Ihre Weltabgeschiedessheit erfährt, hat mich neugierig gemacht, Sie kenenzulernen. Leute, welche den Muth besitzen, ihren eigenen Weg zu gehen, sind mir stets sympathisch; der Herdentrieb, der in der sogenannten guten Gesellschaft besonders stark ausgebildet ist, widert mich an. Ich heiße Sie auf meinem Grund und Boden willkommen, Frau –?“

„Monk.“

„Darf ich Sie mit meinen Gästen bekannt machen? Ah, da ist gleich Herr Lieutenant von Ellernbrück, der vor wenigen Tagen die Ansicht aussprach, Sie müßten eine begeisterte Anhängerin von Rousseau sein, denn Sie hätten die ‚Rückkehr zur Natur‘ praktisch ausgeführt.“

„Ihre Offenheit, meine Gnädige, streift fast die Grenzen der Bosheit,“ versetzte der Schwager des Lotsenkommandanten scherzend und begrüßte Bettina mit großer Artigkeit als eine alte Bekannte und doch mit einer Zurückhaltung, die deutlich sagte: zwischen mir und dir gähnt eine tiefe gesellschaftliche Kluft. Auch die Töchter eines grimmig aussehenden adligen Gutsnachbars der Gräfin begegneten Bettina mit jener herablassenden Höflichkeit, welche als Demüthigung empfunden wird. Die Gräfin hatte noch einen schwedischen Landschaftsmaler und einen Berliner Cellisten in ihrem Gefolge. Der letztere war wiederholt Gast in Bettinas Vaterhaus gewesen und begrüßte sie nun mit der Freudigkeit eines Mannes, der unerwartet eine interessante Entdeckung gemacht hat. Er stürmte derart mit Fragen auf sie ein, daß Rott sich mit der abwehrenden Bemerkung ins Mittel legte: „Sie wollen dies Interview doch nicht heute noch der Berliner Presse telegraphisch mittheilen, Herr Kollege?“

Die Schloßherrin lud Rott und Bettina so dringend zum Bleiben ein, daß diese, wollten sie nicht unhöflich erscheinen, ihr aufs Schloß folgen mußten. Dieses lag auf einer Anhöhe und gewährte eine weite Rundsicht übers Meer^ der schöne Batt, im Stile der Frührenaiffanee gehalten bot einen stolzen Anblick. In einer offenen Säulenhalle war bereits die Mittagstafel für die Gäste gedeckt. Die Gräfin nahm ihren Platz neben Rott und wußte die Unterhaaung bei Tisch mit so viel Munterkeit und Geschick einzu.eiten, daß bald die ganze Tafelrttude in die fröhlichste Stimmung kam. Selbst Bettina, welche nur mit innerem Widerstreben und in peinlicher Verlegenheit gefolgt war, athmete allmählich freier auf; ihr schien es mit einem Male, als sei sie durch eine wunderbare Fügung des Schicksals in die Lebenssphäre ihrer Jugend zurückversetzt worden.

Der Cellist, ein witziger Gesellschafter, zeigte seine Gaben im hellsten Lichte und forderte zuletzt Rott heraus, Abenteuer aus seinen Künstlerfahrten zu erzählen. Bettina lernte dabei den geliebten Mann von einer neuen Seite kennen. Seine Sprache war knapp und klar, er verstand es meisterlich, in seinen Schilderungen das Charakteristische fremdartiger Erscheinungen herauszuheben und die heiteren Erlebnisse mit köstlicher Laune wiederzugeben. Das Lachen der Zuschauer steigerte seinen Humor. Bettina vermochte kaum die Blicke abzuwenden von seinem glücklichen Gesicht, seinen leuchtenden Augen – wie freute sie sich, daß man ihn so unverhohlen bewunderte!

Die Gesellschaft saß bei Tisch, bis die Sonne sank. Bettina genoß den Ausblick aufs Meer, das ganz in Gluth getaucht war, und mit dem herrlichen Naturbilde, mit dem süßen Duft der Rosen, den der Abendwind aus dem Garten herauftrug, mit dem fröhlichen Lachen der Nachbarn verschmolz sich das innere Glücksgefühl, das ihr die Liebe gab, zu einer Lebensfluth, die ihr so wohlig und wonnig einging wie der goldklare Wein, den sie schlürfte. Es war doch eine Lust, an des Lebens festlicher Tafel zu sitzen, wo sich die Seele aus der Gebundenheit zur Freiheit erhob. Sie fühlte sich als Gleichberechtigte in diesem Kreise, nahm lebhaften Antheil an der Unterhaltung und bewies der Gesellschaft durch ihre treffenden Bemerkungen über die neuen Strömungen auf künstlerischem und litterarischem Gebiete, daß sie an Bildung und Urtheilskraft den anderen Damen zum mindesten gleich stehe.

Als man sich endlich vom Tische erhob und Rott Miene machte, sich zu verabschieden, erfaßte die Gräfin seinen Arm und rief scherzend: „Sie wissen, daß meinem Hause kein Musiker ohne Tribut entschlüpft. Bitte, bitte, lassen Sie uns etwas hören!“

Rott erwiderte ablehnend, daß er seine Geige nicht zur Hand habe, allein die Gräfin schnitt seinen Widerstand durch die Entgegnung ab: „Sie finden im Musiksaal drei Cremoneser Geigen, die Ihnen sicher gefallen werden.“

So begab man sich denn in den Musiksaal, dessen Wände mit farbigen Mosaikbildern und dessen Nischen mit Büsten geschmückt waren. Ein herrlicher Flügel stand auf einer Erhöhung im Hintergrund des Saals. In mehreren schön geschnitzten Schränken befand sich eine ganze Bibliothek von Musikwerken und daneben eine reiche Auswahl von Instrumenten. Rott wählte sich eine der Geigen aus und bat Bettina, die Klavierbegleitung zu einem Stücke zu übernehmen, das sie miteinander eingeübt hatten. So war der Vortrag desselben wie aus einem Gusse und rief bei allen in dem kleinen Kreise Bewunderung hervor. Als Rott die Geige aus der Hand legte, wurde er mit Bitten um weitere Gaben bestürmt, er aber wies auf den Cellisten, der sich auch bereit finden ließ. Nun war die Gesellschaft im Zuge, und die Lust, ihr musikalisches Können zu offenbaren, erfaßte auch die Damen. Die Gräfin bestimmte die Töchter ihres Gutsnachbars, ein Duett zu singen, dann gab sie selbst eine Arie aus dem „Figaro“ zum besten. Wieder hatte Bettina die Begleitung übernommen und führte sie mit soviel Geschmack und Sicherheit durch, daß die Gräfin ihr in überschwänglicher Weise dankte.

„Was ist aus Ihrer Stimme geworden, Frau Monk?“ fragte der Cellist. „Ich erinnere mich noch mit Vergnügen an die Abende, da ich Sie in Berlin singen hörte.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_199.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2020)