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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Ihre Thatkraft, ich weiß auch ungefähr, mit welchen Schwierigkeiten Sie zu kämpfen haben – betrachten Sie mich als Ihren Freund! Darf ich Ihnen nicht eine Hilfe zur Erreichung Ihres Zieles bieten? Ich thäte es von Herzen gerne!“

Er bot ihr ein Almosen an! Sie fuhr empor wie von einem unerwarteten Schlage getroffen, rang nach Worten und stammelte endlich, heiße Röthe auf den Wangen, in völliger Fassungslosigkeit: „Um Gotteswillen – nein – wie können Sie so etwas denken! Was habe ich gethan, um das zu verdienen?“

„Ich bitte sehr um Entschuldigung, Fräulein,“ sagte er, über ihre Aufregung bestürzt, „meine Worte sollten Sie nicht verletzen. Ich hoffte Ihnen Vertrauen einzuflößen und wünschte –“

„Nichts – nichts!“ rief sie mit einer Schroffheit, die wie Entrüstung klang. „Ich bedarf keiner Hilfe, würde keine annehmen – am wenigsten von Ihnen. Lassen Sie mich!“ wehrte sie seine Erklärungsversuche ab, „es ist Zeit, ich muß jetzt wieder hinunter.“ Sie raffte ihre Sachen zusammen und enteilte mit kurzem Gruße, den völlig Verblüfften auf seiner Bank allein zurücklassend.

„Eine liebenswürdige Familie!“ brach er endlich in hellem Aerger los. „Unnatur und Scheinwesen auf allen Seiten! Aber nun habe ich’s genug, nun wollen wir ein gründliches Ende machen!“

Und er eilte mit wuchtigen Schritten den Abhang hinunter, um sich unter einem Vorwand jetzt schon bei der Gesellschaft zu verabschieden. Aber er traf diese selbst bereits in vollem Aufbruch; der Himmel hatte sich seit einer halben Stunde stark umzogen, es waren bedeutend mehr Köpfe als Regenschirme vorhanden, die besorgten Mütter drangen auf Heimkehr.

So bewegte sich denn bald schon die schmale bunte Menschenreihe aus Busch und Wiese heraus und auf dem kürzesten Wege der Station zu. Der Aerger über das dumme Wetter war allgemein, nur eine betrachtete, immer weiter zurückbleibend, mit geheimer Hoffnung den dunkler werdenden Wolkenvorhang – sie hatte einen Schirm! Was ihre Mutter da vorne ohne einen solchen anfing, kümmerte sie wenig; sie erwartete, von einem Busch gedeckt, den gleichfalls schirmlosen Thormann, der einzeln als Nachzügler kam. Als die ersten Tropfen fielen, stand sie vor ihm, sah ihn lächelnd an und sagte: „Wollen Sie mit mir darunter gehen?“

Er spannte schweigend den Schirm auf, sie nahm seinen Arm und stützte sich im Gehen leicht darauf. Ach, so als seine Braut in der nächsten Viertelstunde die Gesellschaft einholen und überraschen zu können – welcher Erfolg! Das Verlangen wurde übermächtig in ihr, und günstiger konnte der Augenblick wahrlich nicht kommen!

Sie knüpfte, als sei es ihr heiß, den Hut vom Kopfe, hing ihn an den Arm und sagte, das blüthenfrische Gesichtchen mit den tiefglänzenden Augen zu ihm emporhebend, in süßen Lauten:

„Welch’ ein wundervoller Tag war das heute! Ich habe mich so glücklich gefühlt, wie seit lange nicht. Sie auch, lieber Freund?“

„Man sah es Ihnen an,“ erwiderte er, ohne scheinbar die letzte Frage zu beachten, etwas sarkastisch.

„Sie sind mir böse! Nein – leugnen Sie es nicht, ich fühle es deutlich an Ihrem veränderten Wesen. Was habe ich denn verbrochen, um Ihren Zorn zu reizen?“

Sie hoffte auf Vorwürfe und nachfolgende Erörterungen, statt dessen sagte er kalt:

„Welches Recht hätte ich, Ihnen zu zürnen, gnädiges Fräulein?“

„O – sagen Sie das nicht! Sie haben ein Recht ... ich ... ich habe Ihnen unbesonnen genug gezeigt, welche Macht Sie über mich haben. Und auch andere haben es bemerkt“ – hier kamen die Thränen – „o Gott, ich fühle mich ja so furchtbar unglücklich ... und wenn ich dann, um sie zu täuschen, mit anderen Scherz mache, dann glauben Sie selbst, es sei Ernst und werden kalt gegen mich! Das ertrage ich nicht, denn – – ach! ich kann das Letzte nicht auch noch heraussagen!“

Sie wandte, wie gegen sich selbst Schutz suchend, das blonde duftige Haupt nach seiner Brust – es hätte von seiner Seite nur einer Bewegung bedurft und er hätte sie ganz in seinen Armen gehalten. Statt dessen löste er sich von ihr und trat, immer noch den Schirm über sie haltend, etwas zurück unter einen Baum, dessen breites Blätterdach den Regen völlig auffing.

„Nein,“ sagte er sehr ernsthaft, „Sie können es nicht aussprechen, das unwahre Wort, daß Sie mich lieben; so wird es Ihnen also auch nicht wehe thun, wenn ich Ihnen sage, daß Sie völlig im Irrthum sind. Ich bin ein ganz einfacher Mensch – ich brauche, wenn es überhaupt soweit kommt, ein Herz, das mich selbst liebt, nicht meine Stellung. Und diese allein ist es doch, die mich Ihnen begehrenswerth machte.“

„O, Sie haben mich getäuscht,“ rief sie mit heftigen Zornesthränen, „Sie ließen mich glauben, daß Sie mich liebten –“

„Ich war eine Zeit lang von Ihnen bezaubert und – doch, Fräulein Vilma, ich will Ihnen keine Vorwürfe machen. Nur das kann ich sagen: hätten Sie sich mir, mir allein aufrichtig zugewandt, es wäre wohl anders gekommen. Aber Ihr stetes doppeltes Spiel, das durchschaute ich bald, ich sah, daß kein wahres Gefühl, sondern ein kühl ausgerechneter Plan Ihre Handlungen regierte –“

„Das ist nicht wahr!" fuhr sie auf. „Ich bin nicht die Natur, die Pläne schmiedet. Ich war arglos, viel zu arglos in meiner Unbefangenheit, die nun so mißdeutet wird. O, es ist schändlich, schändlich!"

Er griff derweil ungläubig lächelnd in seinen Rock, holte eine Brieftasche hervor und entnahm ihrem tiefsten Grunde ein zusammengefaltetes Blatt. Dann sagte er, es ihr überreichend:

„Ich soll noch meinen Ring durch ein Gedicht auslösen. Gestatten Sie, daß ich es hier und mit diesem thue!“

Sie warf einen Blick auf das Papier, es war das Bazargedicht. „Abscheulich!“ schrie sie auf. „Es war ein Zufall, ein reiner Zufall, ich schwöre es Ihnen!“

„Daß Sie gleich verstehen, was ich meine, ist der beste Beweis für die Richtigkeit meiner Annahme. Darf ich jetzt um den Ring bitten?“

Sie riß ihn vom Finger und schleuderte ihn ihm zu. Ihr Gesicht war vom Zorne entstellt, wie es sonst nur ihre nächste Familie zu sehen bekam. „Gehen Sie!“ zischte sie außer sich. „Bis jetzt waren Sie mir gleichgültig – aber jetzt – jetzt hasse ich Sie!“

„Ich habe es nicht anders erwartet,“ erwiderte er ruhig. „Von meiner Gegenwart darf ich Sie befreien, weil dort vorn Mister Weston sichtbar wird, offenbar auf der Snche nach Ihnen. Ich werde ihm entgegengehen.“ Vilma stand abgewandt, ihre Augen hastig trocknend. Thormann schritt dem Amerikaner entgegen. „Holla, Herr Weston, dort ruht Fräulein von Düring etwas aus. Nehmen Sie die Dame unter Ihren Schirm, ich eile einstweilen mit diesem zu den anderen Damen.“

Als Francis herantrabte, sah er zwei heiter blickende Augen, und ein lächelnder Mund ries ihm zu:

„Aber Mister Francis, wie können Sie mich denn die ganze Zeit mit dem steifen Menschen allein lassen? Sie wissen doch, daß ich ihn nicht ausstehen kann!“




11.

„Höre, Emmy, langweilig ist Dein Dörfchen aber doch ganz gehörig,“ sagte, vom Buche aufsehend, der Gerichtsrath Walter in einer Laube, durch deren Blätter das Sonnengold spielte und die nahe Seefläche flimmernd hereinleuchtete.

Mein Dörfchen!“ erwiderte sie entrüstet und hielt im Ordnen des Kaffeegeschirres inne. „Habe ich es allein ausgesucht? Schien nicht auch Dir diese Billigkeit bei soviel Schönheit –“

„Ja, ja, ich weiß. Aber die Zeit steht hier förmlich still. Wir sind nun acht Tage da und sie kommen mir vor wie ein Jahrhundert.“

„Sei doch nicht so ungenügsam! Sieh dorthin“ – sie wies nach dem Grasgarten, wo Maja, berauscht vom Glücksgefühl des Barfußlaufens, mit der kleinen Fischerlisel über die Heuhaufen purzelte, während Elisabeth und Moritz auf der Hausbank im Schatten saßen und Seifenblasen machten. Ein tiefblauer Augusthimmel stand über dem friedlichen Häuschen mit den weißen Wänden und grünen Fensterläden, gesättigte Wärme durchströmte wie ein wohliges Bad den Baumschatten, in welchem die Laube stand.

„Was kann man mehr wünschen?“ fuhr Emmy fort.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 190. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_190.jpg&oldid=- (Version vom 3.2.2022)