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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Und richtig, schon hielt sie dasselbe hoch: einen Siegelring mit grünem Steine, den er vorhin unter lachendem Protest vom kleinen Finger gezogen hatte, während der schmale Reif am vierten unberührt blieb.

„Nun, Herr Thormann?“ Es klang lockend und verheißend.

Er nahm die Cigarre aus dem Munde. „Ich sagte Ihnen vorhin schon, daß ich in Gesellschaft keine Verse machen kann,“ erwiderte er langsam und behaglich. „Geben Sie nur so her!“

„Warum nicht gar! Einen Vers müssen Sie machen, und wenn das in Gesellschaft nicht geht, so denken Sie dort unter den Bäumen nach!“

„Unmöglich, ich brauche zu jedem Worte eine Stunde.“

„Dann schreiben Sie den Vers zu Hause auf!“

„Und wenn ich das auch nicht kann?“

„Und wenn ich dann Ihren Ring nicht herausgebe?“

„So müssen Sie ihn in Ewigkeit behalten!“ sagte er scherzend. Aber Vilma jubelte innerlich über das Wort – sie hielt den Stein vor Augen, ein Amor als Löwenbändiger war hineingeschnitten – günstiges Vorzeichen! Dann steckte sie ihn langsam an den Goldfinger und sagte mit feierlicher Verneigung:

„Also ohne Auslösung keine Wiedergabe. Sie haben es alle gehört.“

„Dazu hast Du gar kein Recht, Vilma,“ rief die geärgerte Frida mit ihrer grellen Stimme. „Der Ring darf nur hier ausgelöst werden. . .“

Allein Vilma beachtete sie nicht mehr, als wenn ein Heimchen gezirpt hätte, lächelnd rief sie das nächste Pfand aus, und Frida mußte wie schon so oft ihre gerechte Empörung in sich verwinden.

Ferne von dieser Erregung wandelte mittlerweile Paula droben am Waldrande dahin bis zu einer Aussichtsbank, wo sie sich niederließ und mit entzücktem Blicke das ernste Landschaftsbild umfaßte: den Strom, der zwischen den scharf eingerissenen Ufern eilig in grünen Wellen dahinschoß, die weiten Tannenwälder darüber, endlos ausgedehnt, bis wo die blaue Kette des Hochgebirgs den Horizont abschloß. Es ruhte sich gut hier in der tiefen Einsamkeit, wo nur die flüsternde Luft in den Zweigen oder ein ferner Vogelruf die Stille unterbrach. Die verwundete junge Seele entfaltete langsam wieder ihre Schwingen, und diese trugen sie bald weit weg in das Land ihrer Träume, wo die Gemeinheit ihr nichts mehr anhaben konnte, wo Wahrheit und Freiheit endlich die Grundlagen ihres Lebens sein durften! Ihr ernstes Gesicht verklärte sich mehr und mehr, ein Ausdruck freudiger Zuversicht trat darauf und verlieh den dunkeln Augen plötzlich eine ganz neue lebhafte Schönheit - sie hätten jetzt den Vergleich mit denen Vilmas nicht zu scheuen gehabt.

Anton Rubinstein.
Nach einer Silhouette von Elisabeth Bem.


Das sagte sich mit Verwunderung der stille Beobachter Thormann, der, von Paula unbemerkt, seitwärts unter den Bäumen stand. Er hatte sich unten vorsichtig entfernt, von demselben Wunsche nach Ruhe und Stille geleitet wie das junge Mädchen das er hier so unerwartet als eine ganz Verwandelte vor sich sah.

War es wohl der Gedanke an den jungen, blonden Lehrer, der ein so glückliches Lächeln auf ihre Lippen zauberte? Thormann fühlte sich plötzlich sehr versucht, dieser Sache, die ihn gar nichts anging, etwas auf den Grund zu kommen, er trat also unter den Bäumen hervor und sagte, als sie eine Bewegung zum hastigen Aufstehen machte:

„Wollen Sie mir erlauben, hier ein wenig bei Ihnen zu rasten, gnädiges Fräulein?“

„Ich habe hier weder zu erlauben, noch zu verbieten,“ sagte sie kühl. Der Glanz auf ihrem Gesicht war erloschen, es lag wieder die alte resignierte Stille darüber.

Diese Wahrnehmung dämpfte seinen Unternehmungsgeist, er brachte es nur zu einer Bemerkung über die schöne Aussicht, während er sich auf das andere Ende der Bank niederließ. Die Erwiderung fiel höflich, aber kurz aus, dann trat wieder Schweigen ein. Ein paarmal ruhte Thormanns Blick prüfend auf dem halb vom Hute verdeckten, feingezeichneten Profil, dann sagte er ganz unvermittelt in seiner gemüthsruhigen Offenherzigkeit:

„Das alte Gleichniß vom Leben als einer Reise ist doch ganz richtig! Es giebt auch hier Passagiere, die eine nähere Bekanntschaft mit ihren Mitreisenden ein für allemal ablehnen.“

Nun lächelte sie doch ein wenig. „Vielleicht im Bewußtsein,“ sagte sie, „der erwarteten Unterhaltung nicht genügen zu können!“

„Oder aus übermäßigem Stolze, der es verschmäht, sich zu geringeren Geistern herabzulassen!“

Das traf. Sie fuhr rasch herum und wandte ihm ein Paar flehender Augen zu. „O sagen Sie das nicht,“ rief sie lebhaft, „Sie ahnen nicht, wie wehe Sie mir damit thun! Niemand kann von seinem Geiste bescheidener denken als ich – ich habe ja alle Ursache dazu. Es ist nur ...“ sie hielt einen Augenblick inne ... „nur eine schlechte Angewohnheit von mir, gern still und allein zu sein.“ Ihre Hände schlossen sich fest, krampfhaft in einander – nur diesem gegenüber schweigen, nur nicht auch nach seiner persönlichen Theilnahme zu haschen scheinen! Der bloße Gedanke daran war ihr schon unerträglich.

„Hm,“ sagte er mittlerweile und blickte sie mit seinen hellen Augen freundlich an, „eine schlechte Gewohnheit ist das nicht, aber wohl eine befremdliche für ein so junges Mädchen.“ Und nach einer Pause setzte er, einem aufsteigenden Gedanken nachgebend, hinzu: „Darf ich einmal offen reden, mein liebes Fräulein? Ich bin so ein Mensch, der keine langen Umschweife machen kann, das müssen Sie mir zu gute halten. Sie sind gern einsam, weil Sie sich nicht glücklich fühlen, das ist nicht schwer zu sehen. Sie möchten ein Ziel erreichen, vielleicht mehr

als eins ... gut. Ich habe Sympathie für Ihren Muth und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_189.jpg&oldid=- (Version vom 29.10.2019)