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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Der Zeitgeist im Hausstande.

Bilder aus dem Familienleben.
Von R. Artaria.
(5. Fortsetzung.)


Der Empfang in Eschenlohe entsprach den landesüblichen Verhältnissen. Trotz des schönen, Gäste verheißenden Sonntags hatte sich die Wirthin auf solche nicht eingerichtet und schoß nun, da sie in hellen Haufen einrückten, voll rathloser Verzweiflung in ihrer Küche herum. „Jesses, Jesses, wo kommen nur all’ die Leut’ her! Wann’s mer nur draußen blieben, i hab ja nix z’essen dersür!“ –

Emmy fand sich in Anbetracht dieser Verhältnisse veranlaßt, eine Schürze umzubinden und sofort in Thätigkeit zu treten. Ihrer geschäftigen Diplomatie gelang es denn auch in kurzer Zeit, die gänzlich Niedergeschlagene wiederaufzurichten und ein Mittagessen anzubahnen, das so ungefähr den Namen verdiente. Die jungen Mädchen kommandierte sie zur Unterstützung in die Küche, die jungen Herren mußten Bänke und Tische in den Grasgarten schleppen, und alles das ging unter großem Geschrei und Gelächter vor sich. Man stellte das Rechenexempel an, wie achtzehn Gabeln unter fünfundzwanzig Personen so zu vertheilen seien, daß jede eine bekomme; Frida bedeckte, schalkhaft den Tisch umhüpfend, jeden alten Sauceflecken des gebrauchten Tuches mit ein paar Blüthen, und solchen Anfängen entsprechend, ging dann das Mahl selbst vor sich. Der Braten, einem unbekannten Thiere entstammend, wie Frau von Düring seufzte, war zäh, auch das Salatöl sehr betrübend, allein der Berg goldgelber Pfannkuchen, von Emmys Meisterhänden bereitet, wurde mit Begeisterung aufgenommen, und das Eschenloher Bier erwies sich als bedeutend besser denn sein Ruf. Das Beste von allem aber war der Sitz auf dem Rasen unter dem Blüthengitter der Obstbäume in der herrlichen Luft, mit dem Ausblick auf den nahen Bergstrom und den junggrünen Wald. Eine steigende Heiterkeit bemächtigte sich der Gesellschaft, und am unteren Tischende ließ bereits ein unternehmender Fähnrich die Damen leben!

Frida wurde groß in gewagten Behauptungen, sogar das schüchterne Helenchen Hoffmann fing an, Schulerinnerungen zu erzählen, die anderen thaten ebenfalls das Ihrige zur Unterhaltung. Nur Paula saß still, die Augen niedergeschlagen oder über den Strom hinweg verloren ins Weite gerichtet. Thormann beobachtete längere Zeit diese eigenthümlich ernsten braunen Augen, er versuchte auch, über den Tisch hinüber ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen; sie gab eine ganz freundliche, aber kurze Antwort, so daß sich keine Fortsetzung finden wollte.

Das sah Vilma, die ihm gerade gegenüber saß, und das Teufelchen in ihr fing sofort an, sich zu rühren. Eigentlich hatte sie gedacht, heute die Stille und Sinnige zu spielen; wenn er sie zu Tische führte, wollte sie sich ganz ihm allein widmen. Da hatte er, obgleich sie im rechten Augenblick dicht bei ihm stand, der alten Malerin den Arm geboten, und nun brachte sie es, mit Francis ihm gegenüber sitzend, nicht fertig, ruhig ihre Zeit zu erwarten. Sie wurde aufgeregt lustig, suchte mit allerhand Paradoxen seine Aufmerksamkeit zu fesseln, blickte ihn dazwischen mit dem eigenthümlich fragenden, beziehungsreichen Augenaufschlag an, der zu ihren wirksamsten Mitteln gehörte, und suchte, wenn er mit Linchen sprach, durch fleißiges Kokettieren mit dem liebesseligen Francis seine Eifersucht zu reizen. Lachend und flüsternd bog sie sich zu diesem hin, dann bekam er einmal einen Fächerstreich auf die allzu kühn nach ihren Blumen greifenden Finger, und alles das stets mit dem fragenden Blicke nach dem Maler. Siehst du wohl? – und er sah! . . .

Aber auch andere waren nicht blind.

„Ist das ein empörendes Geschöpf!“ flüsterte Frau Hoffmann sehr vernehmlich Emmy beim Aufstehen zu. „So etwas von schamlosem Augenmachen habe ich doch noch nicht gesehen. Wie kommen Sie nur zu der Familie, beste Frau? Das ist doch kein Umgang für unsere Töchter!“

Paula, die hinter ihrem Rücken stand wurde blaß bis in die Lippen. Sie wandte sich schnell seitwärts, von der in Gruppen plaudernden Gesellschaft weg, einem nach dem Walde ansteigenden Wege zu, und war bald zwischen den Bäumen verschwunden. Bitter, bitter bereute sie ihr Mitgehen heute. Die Sehnsucht nach der Natur, nach dem Walde, den sie so lange nicht mehr gesehen, hatte sie verlockt, einmal ihrer Gewohnheit des Zurückbleibens untreu zu werden. Dafür war ihr das ganze gewohnte Elend nachgefolgt . . . Sie konnte es drunten nicht länger aushalten – dort oben winkten die stillen Wipfel; eine Stunde wenigstens wollte sie in ihrem Frieden allein sein, vermißt wurde sie ja wohl von niemand.

Und das war richtig; die Spiele, welche nach Tisch begannen, während die Mütter Siesta hielten, nahmen die einzelnen vollauf in Anspruch. Walter und Thormann saßen rauchend und zusehend in der schattigen Kegelbahn, bei ihnen Linchen, die das Laster des Mittagschlafs nicht kannte.

Auch Vilma kam heran; sie hatte sich nun hinlänglich als graziöse Läuferin gezeigt und wollte doch nicht allzu oft von Francis’ offenen Armen aufgefangen werden, sondern Thormann wieder in den Kreis ziehen. So unterstützte sie nach Kräften Fridas lebhafte Bitte, die Herrschaften möchten sich jetzt an einem hübschen „sitzenden“ Ratespiel betheiligen, und Linchen entgegnete resigniert:

„Thun wir ihnen den Gefallen! Wir haben uns nun einmal zu ihren Hütern hergegeben, also in Gottes Namen vorwärts!“

Aber es kam schlimmer, als sie geglaubt hatte. Unerhörte Dinge, die sich zur Zeit auf der Küste Koromandel, am Turban des Sultans von Marokko oder gar in den Gedanken der Anwesenden befanden, sollten errathen werden. Infolgedessen regnete es Pfänder, und trotz lebhaften Widerspruchs setzte die poetische Frida es durch, daß deren Auslosung vermittelst eines improvisierten Verses auf das Thema „Frühling und Liebe“ erfolgen sollte.

„O, ich kann sehr gut machen Verse in Deutsch,“ rief der zuerst vom Schicksal ereilte Francis und begann sofort mit einem Feuerblick auf Vilma:

„Der Frühling und die Liebe,
Ich alle beide liebe!“

Sein Erfolg war ein durchschlagender; angefeuert davon erhob sich der dicke Moritz:

„Der Frühling ist ein schönes Gedicht,
Aber Kirschen giebt’s noch nicht!“

Nach solchen Beispielen fanden dann die bisher Zaghaften das Versemachen nicht mehr so schwer, und bald strömten ebenbürtige Leistungen von allen Seiten. Ueber bescheidene Anleihen schloß man duldsam die Augen, nur als ein Unvorsichtiger begann:

„Da kommt der Lenz, der schöne Junge,
Den alles lieben muß –“

verfiel er dem Hohngelächter der Töchterschülerinnen. [Ein Unvor-] sichtiger aber, der tiefer griff:

„Süß ist, fröhlicher Lenz, deiner Begeisterung Hauch,
Wenn die Flur dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft
In der Jünglinge Herzen
Und die Herzen der Mädchen gießt –“

er erntete großen Beifall für sein dichterisches Können. [Abe]r Linchen, die altmodische Dichterfreundin, hatte das Gefühl, daß ihr das so merkwürdig bekannt sei! ...

Jetzt mußte Walter dran –

„Jährlich wieder kommt der Mai,
Doch mit dem Lieben ist’s bald vorbei –“

sprach er schnöde. Und die ehefeindliche Malerin überbot ihn noch und rief durch ihren Vers: apoem> „Der Frühling ist allein Genuß, Das Lieben ist vom Ueberfluß!“</poem> starke Entrüstung unter der männlichen Jugend hervor. Was aber wird Vilma sagen? Sie hob ihr eigenes Pfand, ein goldnes Herzchen in die Höhe, sah darunter weg mit einem Blicke unverhülltester Hingabe zu Thormann hinüber ud rezitierte dann lächelnd:

„Soll Dir ein Herz von Liebe sagen –
Mußt danach im Maien fragen!“

„Donnerwetter, das war deutlich!“ dachte Walter überrascht. „Was er jetzt nur sagen wird? Denn ich wette, die schlaue Hexe fischt sofort sein eignes Pfand.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_188.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2020)