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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

indischen Inseln des Kolumbus erschienen ziemlich werthlos, alle Kaufleute drängten nach Lissabon, um durch Vermittlung der Portugiesen mit dem wirklichen Indien Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Und doch konnte jenes portugiesische Indien nicht mehr weit von Haiti, der Goldinsel Cipangu, liegen! Kolumbus raffte sich zu seiner vierten, letzten Fahrt auf, um eine Durchfahrt nach dem „Meere jenseit des Ganges“ zu finden. Aber sein sinkender Stern sollte nicht mehr steigen. Er erreichte die Küste von Centralamerika, allein weder die gesuchte Durchfahrt, noch volkreiche Länder, noch die Gewürze Indiens wollten sich zeigen. Er erfuhr nur Demüthigungen und Enttäuschungen, und gebrochen an Leib und Seele kehrte er nach Spanien zurück.

Er stritt mit der Regierung um seine ihm früher verbürgten Rechte, aber die Sonne der königlichen Huld schien ihm nicht mehr. Die Meere wurden von anderen weniger anspruchsvollen Entdeckern befahren. Man brauchte Kolumbus nicht mehr – er war ein vergessener, verschollener Mann. Am 21. Mai 1506 erreichte ihn zu Valladolid der Tod, umgeben von seinen treuen Freunden, den Franziskanern, hauchte er seinen Geist aus. Seine Leiche wurde zuerst in dem Franziskanerkloster zu Valladolid beigesetzt, erst später führte man den Sarg nach Sevilla über und hier erhielt er die Inschrift:

„A Castilla y à Leon
Nuevo mundo diò Colon.“

(Für Kastilien und Leon fand eine neue Welt Colon.)

Dies geschah später, denn unmittelbar nach dem Tode des Weltentdeckers war sein Name fast völlig verschollen. Die Zeitung von Valladolid erwähnte mit keiner Silbe das traurige Ereigniß, das sich in den Mauern der Stadt vollzog, und Geographen, welche Bücher über „Unbekannte landte“ herausgaben, meinten noch im Jahre 1508, daß Kolumbus „noch auf die gegenwertigen Tage“ am spanischen Hofe lebe.

„Durch seinen Tod,“ schreibt Peschel, „entging Kolumbus wenigstens einem Schicksalsschlage, den er vielleicht schwerer getragen hätte als die Handschellen Bobadillas. Es war ihm vergönnt, den glorreichen Wahn ins Grab zu nehmen, daß Cuba eine Provinz des chinesischen Reiches, Hispaniola die Insel Cipangu sei, und daß zwischen dem karibischen und bengalischen Golfe keine wasserbedeckte Halbkugel, sondern nur eine Landenge liege. Der Entdecker Amerikas ist ohne eine Ahnung gestorben, daß er einen neuen Welttheil gefunden habe. Er hielt den Abstand Jamaikas von Spanien für den dritten Theil eines irdischen Breitenkreises und rief deshalb aus: ‚Die Erde ist lange nicht so groß, als der Pöbel glaubt!‘ Die Verdoppelung der Welt um ein neues Festland lag nicht in Colons Sinn, und tief hätte seine That erniedrigt geschienen, wenn er hinter dem bezwungenen Ocean ein neues Weltmeer entmuthigt hätte gewahren müssen, denn seine Aufgabe, den Westen mit den morgenländischen Kulturreichen zu verknüpfen, hinterließ er nur halberfüllt.“

Die Nachfolger des Kolumbus mußten seine Irrthümer widerlegen und nach und nach der Welt Beweise beibringen, daß man auf der Fahrt nach Westen nicht den Ostrand Asiens, sondern einen neuen Erdtheil erreicht habe. Eine unmittelbare Bedeutung, welche der Indiens hätte gleichkommen können, zeigte aber dieser neue Erdtheil auch im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts nicht; denn was man zuerst entschleierte und mit dem Namen „Amerika“ bezeichnete, das waren die mit Urwäldern bedeckten, von Wilden bewohnten Küsten Brasiliens. Von der wirklichen Größe Amerikas hatte auch Waldseemüller, welcher dem neu entdeckten Lande nach dem Florentiner Forschungsreisenden Amerigo Vespucci seinen Namen gab, keine Ahnung.

Erst als Cortez und Pizarro ihre Eroberungszüge antraten, als Spanien mit dem Golde Amerikas überfluthet wurde, erkannte man die Tragweite der Entdeckung des Genuesen. Erst dann besann man sich auf den vergessenen Seefahrer, erwies dem Toten Ehren und schrieb seine Lebensgeschichte, die man mit Legenden schmückte. Erst zwischen 1540 und 1559 erfüllte man seinen Wunsch und setzte seine sterblichen Ueberreste in der Kirche von San Domingo bei. Spanien war stolz auf den Fremdling, und als es im Jahre 1795 die Insel Haiti an Frankreich abtreten mußte, wurde der Bleisarg mit den Gebeinen des Weltentdeckers nach Habana gebracht und am 19. Januar 1796 feierlich im Dome dort beigesetzt. In späterer Zeit suchte man auch ein Bildniß von Kolumbus ausfindig zu machen; verschiedene Schriftsteller gaben verschiedene Porträts, seien es Oelgemälde oder Holzschnitte, für echt aus, aber keiner vermochte bisher einen überzeugenden Beweis für die Echtheit eines derselben beizubringen. Unser Bild auf S. 165 giebt ein Gemälde aus dem Marinemuseum zu Madrid wieder, welches dort als Porträt des Kolumbus betrachtet wird. Im übrigen müssen wir uns die äußere Erscheinung des Weltentdeckers nach den Berichten der Zeitgenossen im Geiste zusammenzustellen suchen. Laut denselben war Kolumbus von hoher kräftiger Gestalt, aber nach der Eigenthümlichkeit seines Kopfes hätte man ihn eher für einen Nordländer als für einen Italiener halten sollen. In dem länglichen, gerötheten, mit Sommersprossen bedeckten Gesicht leuchtete ein Paar hellblauer Augen; auch sein Kopfhaar war röthlich, ergraute aber frühzeitig, weshalb man ihn in der Regel für älter hielt, als er wirklich war. Vielfach wurden dem großen Seefahrer Denkmäler errichtet, in Mexiko, auf Cuba, in Barcelona. Unsere Abbildung (S. 185) zeigt uns das schöne Denkmal zu Genua. Die Marmorstatue stützt sich auf einen Anker und weist auf die zu ihren Füßen knieende Gestalt von Amerika. Die runde Säule ist mit Schiffsschnäbeln geziert. Rings um dieselbe sitzen vier allegorische Gestalten: Religion, Wissenschaft, Stärke und Klugheit. Weiter unten sind Ereignisse aus dem Leben des Kolumbus als Reliefdarstelluugen angebracht. Vorn am Sockel befindet sich die Inschrift: „A Christoforo Colombo la Patria“(dem Christoph Kolumbus das Vaterland). Das Denkmal, ein Werk M. Lanzios, wurde im Jahre 1862 auf der Piazza Acquaverde errichtet. Wie viel hatte sich inzwischen seit Kolumbus’ Tode verändert!

Von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, von Jahrhundert zu Jahrhundert wuchs die Bedeutung der neuen Welt für die alte. Die Goldschätze Mexikos und Perus waren erschöpft, aber im Norden entrissen Spaten und Pflug dem Boden Amerikas kostbarere Schätze, den goldenen Weizen. Millionen Europäer fanden in der Neuen Welt eine neue Heimath, und es erblühte dort ein neuer Staat, der in den Künsten des Friedens, in den Werken der Kultur mit dem Mutterland wetteifert. Die Gewürze Indiens wurden in Amerika nicht gefunden, aber Amerika schenkte uns den Tabak, dessen Bau und Handel heute die Bedeutung der Gewürze bei weitem übertrifft, es gab uns die Volksernährerin, die Kartoffel – und siehe da, während auf den alten Gewürzinseln die Kultur von Nelken- und Muskatbäumen im Niedergang begriffen ist, sind auf den Antillen, die einst Kolumbus besiedelt hatte, neue Gewürzinseln entstanden, auf denen die Wohlgerüche Indiens geerntet werden. Amerika hat uns die duftende Vanille und das einzige Heilmittel gegen den winzigen Erzeuger der furchtbaren Malaria, das Chinin, geschenkt. Im Laufe der Jahrhunderte haben die alte und die neue Welt ihre Güter tausendfach ausgetauscht. Spanische und deutsche Reben reifen auf amerikanischen Weinbergen und der wilde Wein Kanadiens rankt heute um unsere Lauben.

Im Laufe der Jahrhunderte erkannte die Menschheit, daß die Entdeckung Amerikas das folgenreichste weltgeschichtliche Ereigniß sei, und unsterblich erschien die That des Mannes, der zuerst über den Ocean nach der Neuen Welt steuerte. Unsterblich ist auch darum der Ruhm des genuesischen Seefahrers – er wird alle Denkmäler überdauern, die dem großen Entdecker nachträglich errichtet wurden.

Die Geschichtsforscher machen ihm allerdings seinen Ruhmestitel streitig und belehren uns, daß schon vor Kolumbus Amerika entdeckt wurde. In der That drang das kühne Volk der Normannen auf seinen Fahrten nach Island und Grönland auch weiter westwärts vor und erreichte um das Jahr 1000 n. Chr. das Gestade von Nordamerika. Leif Erikson, d. h. Leif, dem Sohne Eriks des Rothen, gebührt dieses Verdienst, und die Normänner hatten jenes Gestade nicht nur gesehen und betreten, sondern auch besiedelt. Diese Verbindung Europas mit Amerika blieb aber nicht von Bestand. Im fünfzehnten Jahrhundert hatte man bereits den Seeweg nach jenem Lande vergessen. Im Jahre 1476 sandte König Christian I. von Dänemark einen polnischen Seefahrer, Johann von Kolno, in jene nordwestlichen Gewässer aus, und diesem gelang es in der That, Labrador und den Eingang in die Hudsonstraße zu erreichen und somit Amerika zum zweiten Male zu entdecken. Kolumbus wäre also erst der dritte Entdecker von Amerika in geschichtlicher Zeit! Aber die Größe einer Kulturthat muß nach deren Folgen beurtheilt werden, und wenn wir diesen Maßstab anlegen, so bleibt Kolumbus der wirkliche Bahnbrecher auf den unendlichen Fluthen des Atlantischen Oceans.




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