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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

es sicher verbessern, namentlich im Hinblick auf diejenigen Kreise, welche mit dem Ankauf des theuren Fleisches sparen müssen.

Die chemische Untersuchung der vollen ungeschälten Getreidefrucht ergiebt nun, daß in derselben sich viel mehr Eiweiß befindet als im Brote, das aus dem ihr entstammenden Mehle gebacken wurde. Unter der Kornschale liegen nämlich eiweißreiche Schichten, welche bei der gewöhnlichen Mahlweise entfernt werden und in die Kleie wandern. Man hat darum schon seit langer Zeit die Kleie mit verbacken und verschiedene Sorten von Kleienbrot hergestellt, wie z. B. Grahambrot, Pumpernickel etc. Ein solches Brot enthält in der That bedeutend mehr Eiweiß als das gewöhnliche feine Brot. Daraus hat man gefolgert, daß es auch nahrhafter sei, und es giebt eine Menge von Fabrikanten, die mit darauf gegründeten Empfehlungen in gutem Glauben vor das Publikum treten.

Die Sache liegt jedoch durchaus nicht so einfach. Es kommt nicht nur darauf an, ob das Brot mehr Eiweiß enthält, sondern auch, wie es im Körper ausgenutzt wird. In dieser Hinsicht ist nun folgendes zu bemerken.

Die Schale der Getreidekörner enthält Cellulose, die Holzfaser, welche völlig unverdaulich ist, aber einen starken Reiz auf den Darm ausübt. Kleienbrot wandert darum rascher durch den Körper und kann nicht vollständig ausgenutzt werden. Je feiner ein Gebäck ist, desto besser wird es im Körper verdaut. Vom Biskuit gehen z. B. nur 5 bis 6 Prozent unverdaut ab, von den gröberen Brotsorten dagegen 15 bis 17 Prozent! Das Kleienbrot erscheint unter diesen Umständen als eine ziemlich fragliche Verbesserung. Jedenfalls sind die Untersuchungen über dessen Nährwerth im Vergleich zu den anderen Sorten nicht völlig abgeschlossen. Trotzdem kann es vielen Menschen aus gesundheitlichen Rücksichten empfohlen werden, während andere wieder es nicht vertragen können.

Man hat darum ein besonderes Mahlverfahren erdacht, welches die Vorzüge des Kleienbrotes erhalten und dessen Nachtheile beseitigen soll. Das Getreide wird vermittelst eigens dazu hergestellter Maschinen in feinster Weise enthülst, so daß die Holzfaser entfernt, aber die unmittelbar darunter liegende Schicht des Kornes sowie dessen Keim erhalten bleibt; ein aus derart enthülstem Korne bereitetes Mehl ist wie das daraus gebackene Brot entschieden eiweißreicher; außerdem aber ist die Ausbeute bei diesem Mahlverfahren eine viel größere, denn während sonst bis 15 Prozent nahrhafter Bestandtheile des Kornes in die Kleie wandern, beträgt bei dem neuen Enthülsungsverfahren der Verlust nur bis zu 5 Prozent.

Wenn wir die Frage der Volksernährung verfolgen, so finden wir, daß in gewöhnlichen Zeitläuften Kohlehydrate und Fette in genügenden Mengen vorhanden sind; das Eiweiß ist der seltenere und theuerste Nahrungsstoff. Es sind somit Bestrebungen wie die letztgenannten, die auf eine bessere Ausnützung des im Getreide, dem Haupternährer der Menschheit, enthaltenen Eiweißes abzielen, gewiß gutzuheißen, und es ist ihnen ein glücklicher Erfolg zu wünschen. Allerdings steht einem rascheren Fortschritt nach dieser Richtung hin der Geschmack und das Vorurtheil des Publikums im Wege, das von den Bäckern Brot aus möglichst feinem Mehle verlangt, ohne zu beachten, daß das Mehl, je feiner es ist, desto mehr Stärke und desto weniger Eiweiß enthalten muß.

Außer diesem fand man auf der Ausstellung noch andere Vorschläge zur Aufbesserung des Brotes. Wir wollen namentlich das Aleuronat, patentiertes Pflanzeneiweiß, hervorheben. Bei der Fabrikation von Weizenstärke müssen nämlich von dieser die eiweißhaltigen Stoffe des Weizenmehles ausgeschieden werden. Sie bleiben als der sogenannte „Kleber“, eine zähe, leicht in Zersetzung übergehende Masse, zurück. Man hatte für diesen Rückstand wenig Verwendung, man bereitete aus ihm Kleister und Viehfutter, obwohl er gerade die werthvollsten Nahrungsstoffe in sich barg. Vor einigen Jahren ist es nun Dr. Hundhausen zu Hamm in Westfalen gelungen, aus diesem Nebenerzeugniß ein haltbares Mehl herzustellen, das sehr viel, bis über 80 Prozent, Eiweiß enthält und unter dem Namen „Aleuronatmehl“ in den Handel gebracht wird. Es ist verhältnißmäßig sehr billig, ja anscheinend das billigste Eiweiß und kann, unter gewöhnliches Weizenmehl gemischt, zu einem sehr nahrhaften Brote verbacken werden, welches 20 bis 25 Prozent Eiweiß enthält und nach Versuchen, die in physiologischen Laboratorien angestellt worden sind, sehr gut verdaut und ausgenützt wird. Das Aleuronatbrot scheint in der Schweiz die meisten Liebhaber gefunden zu haben. Als Nebenerzeugniß eines Fabrikationszweiges wird indessen das Aleuronat nur in einem beschränkteren Kreise das Brot aufbessern können: wenn alle Brotbäcker Aleuronat verwenden wollten, so würde die Nachfrage voraussichtlich nicht mehr befriedigt werden können. Trotzdem behält es seinen Werth und bleibt ein nachahmenswerthes Beispiel, wie man durch kluge Umsicht den Menschen gute neue Nahrungsquellen eröffnen kann.

Wir haben bisher die Frage nach der Art des Getreides, das wir zur Brotbereitung verwenden, unbeachtet gelassen. Und doch verdient sie eine besondere Betrachtung, denn für Deutschland, das seinen gesammten Bedarf an Korn nicht selbst bauen kann, ist sie die wichtigste und eine geradezu brennende.

Der alte Roßmäßler hat Weizen, Roggen, Hafer und Gerste „die vier Haupternährer der Menschheit“ genannt; es schwebte ihm dabei nur die europäische Menschheit vor; wenn wir weiter blicken und die gesammte Erde in Betracht ziehen, so gesellen sich zu den genannten Getreidearten noch der Mais und der Reis. Prüfen wir den Gehalt derselben an Eiweißstoffen, so bleibt der Reis am tiefsten stehen, und wir können ihn außer Betracht lassen, da er bei uns für die Brotbereitung nicht in Frage kommt. Die übrigen fünf stehen sich im Nährwerth ziemlich gleich, nur die Gerste tritt gegen die anderen merklich zurück. Und doch war sie, wenn wir den Ueberlieferungen der alten Aegypter Glauben schenken dürfen, die erste Körnerfrucht, welche von den Menschen zur Nahrung benutzt wurde. Die Gerste und neben ihr der Hafer sind auch die ältesten Ernährer der nordischen Völker, während der Roggen erst nach den Völkerwanderungen in Mitteleuropa Verbreitung fand. Der Weizen war damals sehr theuer und wurde nur von reicheren Leuten genossen; aber nach und nach drängte er die anderen Getreidearten in den Hintergrund. Heute ist er die vornehmste Brotfrucht der Welt; das jährliche Erzeugniß an Weizen beträgt beinahe das Doppelte von demjenigen des Roggens, und während die Anbaufläche des Weizens im Wachsen begriffen ist, geht diejenige des Roggens bedeutend zurück. Zwischen die beiden drängt sich als kecker Rivale der amerikanische Mais, dessen Anbau in den letzten zwanzig Jahren auf das Doppelte gestiegen ist. Diese Verschiebung ist für Deutschland von der höchsten Bedeutung, denn während die anderen europäischen Länder längst den Weizen als die Hauptbrotfrucht angenommen haben, ist in Deutschland und in den skandinavischen Ländern das Roggenbrot im alten Ansehen geblieben. Aber wir erzeugen nicht allen Roggen selbst, den wir brauchen; wir beziehen den Fehlbedarf zumeist von Rußland; eine Mißernte in Rußland muß uns darum aufs empfindlichste berühren – eine Erfahrung, die wir im vergangenen Jahre gemacht haben.

Der Roggen tritt ab von der Weltbühne, die er lange beherrscht hat; wir können nicht mehr auf ihn hauptsächlich unsere Volksernährung gründen. Wir müssen uns nach Ersatzmitteln umsehen. Die Gerste erscheint in diesem Wettbewerb der Getreidearten minderwerthig, die Bedeutung des Hafers liegt auf andrem Gebiet als auf dem der Brotbereitung, also müssen wir uns den zwei aufgehenden Gestirnen, dem Weizen und dem Mais, zuwenden.

Das Brot aus einer Mischung von Weizen und Roggenmehl findet bereits nach dem Vorgange der Armeeverwaltung Eingang in Deutschland. Von dem Maisbrot liest man viel, bekommt es aber nicht zu sehen. Das hat seinen Grund darin, daß der Uebergang vom Roggen zum Mais schon eine Revolution in der Brotbereitung bedeutet. Was wir als Maizena im Handel finden und zu Backwaaren verwerthen, das ist gereinigte Maisstärke, das gewöhnliche Maismehl ist wegen seines hohen Gehaltes an Fett und Kleber zum Brotbacken weniger geeignet. Darum wurde auch der Mais von Menschen ursprünglich in Gestalt eines ungesäuerten Brotes verzehrt, und noch heute bildet eine Art Maisbrei die „Polenta“ und die „Mamaliga“, das Hauptnahrungsmittel in weiten Volkskreisen Italiens und der Donauländer. Man kann aber das Maismehl backfähiger machen, indem man es mit Weizen- oder Roggenmehl vermischt, und ein aus diesem Gemisch bereitetes Brot vertritt in Portugal und in Spanien schon seit geraumer Zeit die Stelle unseres gewöhnlichen Schwarzbrotes.

Die Vereinigten Staaten von Nordamerika sind die Haupterzeuger von Mais, und dort hat auch die Verwerthung dieser Frucht als Nahrungsmittel für den Menschen die größte Verbreitung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_176.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)