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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

vernommen habe. Ich konnte es nicht glauben, und als ich Sie eben am Fenster erblickte, verklärt vom Zauber der Musik – oder war’s der Glanz der Morgensonne? – da glaubte ich, es erfülle sich mein schönster Traum … aber zerronnen – dahin!“ Er athmete tief auf und sah schweigend vor sich nieder.

Bettina fühlte, daß sie sprechen müsse, um das Gespräch über die leidenschaftlichen Tiefen hinweg in stillere Bahn zu lenken. Leise erwiderte sie:

„Das ist das Schicksal, das uralte Schicksal der Träume, daß sie verrauschen, wenn sie beginnen zu beglücken.“

„So haben auch Sie schwere Enttäuschungen erfahren?“

„Ich habe mein Kind verloren,“ entgegnete sie ablenkend und fragte dann, welcher Zufall Rott nach Massow geführt habe.

„Das will ich Ihnen draußen im Garten erzählen, wenn Sie mir als freundliche Wirthin eine Tasse Kaffee bescheren wollen. Ich habe in aller Frühe schon ein Bad genommen, das Meer war wunderbar erfrischend. Dann lief ich über den sonnigen Bergrand hierher zurück und – fand Sie. Nun liegt mir etwas wie Sonnentrunkenheit im Blute. Ich glaube, Ihr Lied hat es mir vollends angethan! O, noch hat Ihre Seele nicht verlernt, die Schwingen zu regen in brausenden Accorden ...“

„Sie phantasieren – aber das kommt von der Sonnentrunkenheit. Wollen Sie auf der Veranda oder im Garten Ihr Frühstück verzehren?“

„Am liebsteu da, wo man den weitesten Ausblick hat.“

„So treten Sie auf die Veranda!“

Bettina holte das für ihren Gast in der Küche bereitstehende Frühstück herbei, deckte den Tisch und ließ sich dem Künstler gegenüber plaudernd nieder. Rott erzählte, daß er sich während des letzten Winters auf einer Konzertreise durch Rußland übermäßig angestrengt habe und jetzt an einer leichten Lähmung des Armes leide. Man habe ihn mit Massage und Elektricität behandelt und ihm dann gerathen, sich womöglich am Meere noch eine Weile auszuruhen. Zufällig sei er während der letzten Tage seines Berliner Aufenthaltes im Salon eines ihm befreundeten Malers wieder mit der Gräfin Lindström zusammengetroffen, und diese habe die alte Einladung auf ihr Schloß dringend erneuert. So sei er wieder an Massow erinnert worden und habe nun beschlossen, sich hier für den Sommer einzunisten.

„Warum aber bereiteten Sie der Gräfin eine Enttäuschung?“

„Ich habe der Dame keine bestimmte Zusage gegeben und liebe es, frei zu sein. Die Gastfreundschaft würde mir nach der Seite der Musik Verbindlichkeiten auferlegen, die ich nur ungern erfülle. Die Gräfin ist nämlich eine Musikschwärmerin der gefährlichsten Sorte.“

„Hat Ihnen der Arzt das Musizieren streng verboten?“

„Das nicht, aber er hat mir gerathen, im Anfang noch vorsichtig zu sein. Wenn aber Sie jemals Lust verspüren sollten, mit mir Musik zu machen, so stehe ich gern zu Ihrer Verfügung.“

Bettina gestand erröthend, daß sie sein Anerbieten gleich jetzt annehmen möchte. Oft hatte sie sich gesehnt, mit einer gleichgestimmten Seele sich in die Welt der Töne zu versenken – den Monks war Musik stets nur ein aufdringliches Geräusch gewesen – nun sah sie ihren Wuusch erfüllt. Rott holte seine Geige aus der Mansarde herunter und Bettina suchte aus ihrem reichen Notenvorrath Stücke für Klavier und Violine heraus.

Als Rott sein Instrument mit fast zärtlichen Griffen enthüllt und gestimmt hatte, legte er es auf den Flügel und bat, Bettina möge ihm erst durch ein Lied die rechte Stimmung geben. Sie willfahrte gern seiner Bitte und sang in der Komposition von Schumann ein Lied aus dem Heineschen Cyklus „Dichterliebe“.

Franz lauschte mit Andacht. Zuerst überraschte ihn die edle Aussprache der Worte und der Wohllaut ihrer Stimme, dann fesselte ihn die Wärme der Empfindung, die Stärke des Gefühls. Das war mehr als ein Lied, das war zugleich die persönliche Offenbarung eines großen Schmerzes.

Als die Sängerin geendet hatte, ließ sie die Hände in den Schoß sinken. Nach einer Weile erhob sie schüchtern die Blicke zu Rott, welcher stumm und regungslos beim Kamin stand. Er sagte auch jetzt nichts, allein in seinen Augen war ein seltsames Leuchten – sie las Bewunderung darin und Mitgefühl. Schweigend verharrten sie so – endlich deutete Bettina auf die Geige, und Rott trat ans Klavier.

„Was können wir gemeinsam in Angriff nehmen? Da, diese Elegie ist mir zuerst in die Hand gefallen!“

„Sie paßt wenig zu der morgenhellen Stimmung der Natur,“ meinte Rott, indem er dennoch willig die Geige zur Schulter erhob.

„Aber ganz zu meiner Trauer,“ setzte Bettina in Gedanken hinzu und griff in die Tasten. Das Zusammenspiel mit dem Künstler gewährte ihr einen langentbehrten Genuß. So verträumt und verschüchtert ihr Wesen dem oberflächlichen Beschauer erschien, so lebte doch in ihrem Innern eine stete Lernbegierde, eine nachhaltige Energie. Nun fand sie in Rott den rechten Mann, ihrem musikalischen Können die Wege zu ebnen; er war nicht nur ein hervorragender Künstler, sondern auch ein ausgezeichneter Lehrer; während er mit Bettina die Elegie einübte, wies er in freundlichster Weise auf begangene Fehler hin, erklärte ihr manche Regel und zeigte, wie sich die Wirkung verstärken lasse. So gingen für Bettina die Morgenstunden im Fluge dahin, und als die alte Monk von einem längern Streifzug durchs Dorf, wo sie Neuigkeiten eingesammelt hatte, in die Klause zurückkehrte, um zu sehen, was ihre Schwiegertochter gekocht habe, da fand sie diese nicht in der Küche, sondern im Salon vor dem Flügel sitzen. Neben Bettina aber stand der Badegast, gegen dessen Aufnahme die junge Frau sich so heftig gesträubt hatte, und spielte die Geige. Als die Alte erfuhr, daß der Miether ein Musikant sei, sank er tief in ihrer Achtung, und sie ermahnte ihre Schwiegertochter, sich mit einem solchen Menschen ja nicht gemein zu machen, denn es könne ihrer Reputation schaden.

Bettina achtete nicht auf das Geschwätz der Alten, die ihre Neuigkeiten auskramte und erzählte, daß sich der Pastorssohn mit der reichen Witwe eines Gutsbesitzers verlobt habe. Sie blieb still und in sich gekehrt, solange ihre Schwiegermutter in der Klause herumwirthschaftete; erst als diese endlich zum Weststrand hinuntergüig, um mit den Fischern dort zu schwatzen, lief sie aufs neue ans Klavier und spielte noch einmal die Elegie durch. Dabei war es ihr, als höre sie den tiefen klagenden Ton der Geige über ihre Begleitung hinschweben, und unwillkürlich wandte sie den Kopf rückwärts, nachdem sie geendet, denn sie erwartete – sein Urtheil. Ein Seufzer hob ihre Brust, sie war ja allein.

In der Nacht, die diesem ersten Zusammentreffen folgte, schlief Bettina wenig. Sie mußte immer an zwei leuchtende Augen denken, sie hörte wieder und wieder die schwermüthigen Klänge der Elegie. Mit lähmendem Erschrecken erkannte sie, welchen Einfluß der Künstler auf sie gewonnen habe; endlich nahm sie sich vor, dem Gaste von nun an auszuweichen, bis sie ihre Ruhe zurückgewonnen hätte.

Am nächsten Tage erhielt Rott sein Frühstück durch die alte Monk, von Bettina war nichts zu erblicken. Ihn aber beherrschte die gleiche Unruhe wie die junge Frau, und je hartnäckiger sie ihm auswich, desto stärker wurde in ihm der Wunsch, sie zu sehen, einzudringen in die Tiefen ihrer Seele und dort die Wahrheit zu lesen.

Zehn Tage waren so hingegangen, ohne daß er mehr erreichte als eine einzige flüchtige Begegnung, bei der Bettina auf seine bittende Frage: „Werden wir nicht wieder zusammen musizieren?“ ihm mit einem hastigen: „Sie müssen Ihren Arm schonen“ ausgewichen war.

Auch der elfte Tag drohte nach qualvollen Stunden des Harrens für Rott mit einer neuen Enttäuschung zu enden, da sah er beim Beginn der Dämmerung die schlanke Gestalt durch den Garten schreiten. Die Rosenknospen hatten sich dem warmen Sonnenstrahl erschlossen, und von einem der Büsche senkten sich drei voll erblühte Purpurrosen nieder. Bettina brach den schwer belasteten Stiel und befestigte die Rosen an ihrer Brust. In Träumereien verloren, ging sie vom Garten aus zum Höwt hinan. Sie hatte den schmalen Pfad durch die Kornfelder genommen und dieser endete nicht beim „Utkiek“, sondern auf der gegenüberliegenden Kuppe, die mit Ginsterbüschen und wildem Gestrüpp bewachsen war. Auf einem bemoosten Steine ließ sie sich nieder und schaute in die Tiefe. Die Oberfläche des Meeres glänzte matt durch die Dämmerung, von Zeit zu Zeit sah man eine brechende Woge weiß aufschäumen und hörte dann das Gurgeln der durch die verstreuten Basaltblöcke zurückströmenden Wasser. Der Himmel war mit Wolkengebilden bedeckt, durch die sich der aufgehende Mond drängte …

„Eine solche Nacht war’s, als ich mit Lisa zum ersten Male

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 174. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_174.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2020)