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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Bettina athmete auf, das war Erlösung wenigstens auf einige Zeit. Kein Wort des Bedauerns wegen seiner Abreise kam über ihre Lippen.

„Und wie sich das manchmal glücklich trifft,“ fuhr er lächelnd, aber mit einem scheuen Seitenblick fort, „denk’ Dir, die Mansarde, um derentwillen wir uns heute morgen ein wenig gezankt haben, ist schon vermietet. Was meinst Du wohl, wieviel ich dafür bekommen habe?“

„Das ist mir gleichgültig,“ antwortete sie tonlos.

„Vierzig Mark monatlich. Ein Herr aus Berlin hat sie gemiethet und gleich im voraus bezahlt. Das ging so zu! Ich hatte eben im Gasthaus meinen Brief gelesen und wollte heim gehen, da tritt ein Fremder in den Vorgarten, der deutet nach unserer Klause und fragt den Wirth: ‚Wem gehört die kleine Villa dort oben?‘ Der Wirth weist auf mich und sagt: ‚Meinem Freunde Monk.‘ Der Fremde lüftet den Hut gegen mich. ‚Ihr Haus ist hübsch gelegen,‘ sagt er, ‚dort möchte ich wohl ein paar Wochen – vielleicht auch den ganzen Sommer über wohnen. Sie haben wohl kein Zimmer zu vermiethen?‘ Auf diese Anfrage hin wurde ich neugierig, was wohl unsere Mansarde einbringen könne, und antwortete, wir machten zwar aus dem Vermiethen kein Geschäft, indessen hätten wir just zwei Stuben leer stehen. Der Fremde ging mit mir herauf, sah sich die Wohnung an und bat mich, ihm einen Preis zu nennen. Mehr zum Spaße als im Ernste forderte ich vierzig Mark. Ohne weiteres griff er in die Tasche und legte mir das Geld auf den Tisch. Eben hat er seinen Koffer und einen Kasten heraufschaffen lassen. Nun bist Du in meiner Abwesenheit doch nicht gar so einsam, Betty.“

Sie lächelte bitter, denn sie hatte seine Absicht, durch das rasche Vermiethen der Mansarde den Besuch Lisas unmöglich zu machen, wohl durchschaut. Als sie ins Haus getreten war, fand sie auf dem Tische des Salons eine Visitenkarte; gleichgültig nahm sie dieselbe, um sie in eine Bronzeschale zu werfen. Dabei streifte ihr Blick die Aufschrift und ein leiser Schrei der Ueberraschung entfuhr ihren Lippen. „Franz Rott“ stand auf der Karte.

Eine Weile starrte sie wie gebannt auf den Namen, dann lief sie dem eintretenden Ewald entgegen und fragte hastig. „Wie kommt diese Karte in unser Haus?“

„Die hat mir unser neuer Miether gegeben, damit ich ihn als Gast anmelde.“

„Das Geschäft – diese Vermiethung muß rückgängig gemacht werden, gieb dem Fremden das Geld zurück und sage – sage ihm irgend etwas zur Entschuldigung!“

Ewald erblickte in ihren Worten nichts anderes als den Versuch, die Zimmer für ihre Freundin freizuhalten, und beschloß, in dieser Sache seinen Willen durchzusetzen und seine Herrschaft zu bekunden. Er fragte daher barsch, welchen vernünftigen Grund sie gegen die Aufnahme des Fremden haben könne; Bettina erwiderte in hastiger Weise, daß es für sie nicht schicklich sei, mit einem Herrn allein in dem einsamen Hause zu leben, daß dieser der Bedienung benöthige und daß man recht gut warten könne, bis ein weiblicher Badegast Wohnung suche.

Diese Bedenken schlug Ewald mit der Bemerkung nieder, seine Mutter habe sich schon erboten, dem Gaste jeden Morgen die Kleider zu reinigen und das Frühstück zu besorgen und eine zweite Gelegenheit, die beiden Stuben zu so hohem Preise zu vermiethen, werde wohl nicht wieder kommen.

Nun wandte Bettina ein, daß der neue Miether in ihres Vaters Hause verkehrt habe und daß es ihr peinlich sei, ihm so wieder zu begegnen.

„Wie?“ rief Ewald in ausbrechendem Zorne, „hast Du etwa einen Grund, Dich Deines Mannes oder Deines Hauses zu schämen? Die Sache ist und bleibt abgemacht. Der Gast hat bezahlt und wird in unserm Hause wohnen – für das weitere laß die Mutter sorgen. Wenn Dir der Fremde nicht gefällt, dann kannst Du ihm aus dem Wege gehen. In Haus und Garten ist Raum genug für zwei Menschen, die sich nicht begegnen wollen. Abgemacht!“

Ohne Bettina noch einmal anzusehen, verließ er mit dröhnenden Schritten das Zimmer.

Am nächsten Morgen nahm Ewald einige Hundertmarkscheine aus Bettinas Schreibtisch, sagte ihr flüchtig Lebewohl und segelte dann mit seinem Vater über die Bucht. Als Bettina in die Küche trat, um sich das Frühstück zu bereiten, fand sie ihre Schwiegermutter schon bei der Arbeit. Diese eröffnete ihr, daß der alte Monk sich entschlossen habe, Ewald bei der Bedienung der Barke zur Hand zu gehen und den Sommer über auf See zu bleiben. Da es sich nun für sie selber nicht lohne, eine besondere Wirthschaft zu führen, so habe sie ihr Häuschen zugeschlossen und werde, auf Ewalds Anordnung, in dessen Zimmer schlafen und Bettina in der Wirthschaft helfen.

Die halb unterwürfige, halb spöttische Art, mit welcher die Alte von Ewalds Anordnung sprach, hätte die junge Frau früher zu heftigem Widerspruch gereizt, jetzt war ihre Willenskraft gelähmt, und sie ließ auch diese neue Bevormundung schweigend über sich ergehen. Sie begab sich in ihr Zimmer zurück und trat ans Fenster. Müde schweifte ihr Blick über die von der Morgensonne bestrahlte Bucht. In weiter Ferne zog ein Segel vorüber, gleich einem Schwanenflügel hob es sich ab vom tiefen Blau der See. Das zog hinaus in die weite Welt, frei vom Zwange, nur dem eigenen Steuer gehorchend – o könnte auch sie ihm folgen, in die Ferne ziehen, weit fort von hier! Die bange Sehnsucht übermannte sie, ein Drang überkam sie, ihre Gefühle in Tönen auszuströmen. Rasch ging sie zum Flügel und begann Rubinsteins schwungvolles Lied: „Gebt mir gold’ne Tageshelle –“

War es der strahlenfrohe Tag oder die würzige, durchs offene Fenster strömende Morgenluft oder der Zauber der Musik, welcher ihre Seele aus der langen Gebundenheit erlöste – sie wußte es nicht. Aber mit einem Male kam es über sie wie Befreiung, ihre Stimme schwoll mächtig an, und das Lied wurde zu einem aus tiefster Brust hervorquellenden Rufe der Sehnsucht, zu einem brausenden Aufschäumen innerer Kraft.

Und das Lied fand ein Echo.

Als die letzten Töne verklungen waren, ertönte vom Garten her ein lautes Bravo. Sie glaubte erst an ein Spiel ihrer erregten Einbildungskraft und ging arglos ans Fenster. Hier aber wurde ihr ein überraschender Anblick zu theil. Vor der grünen Wand der Schlehdornhecke stand Franz Rott und schaute mit freudigem Staunen zum Fenster auf. Er trug den Hut in der Hand und die Sonne umleuchtete seinen edel geformten Kopf. Erglühend und verschämt wollte Bettina zurücktreten, da blitzte über sein Gesicht der Ausdruck des Erkennens, und „Fräulein Bettina!“ kam es freudig über seine Lippen.

Im nächsten Augenblick sah die junge Frau, wie der Künstler mit einigen Sprüngen zur Treppe eilte. Sie wollte rasch das Zimmer verlassen, allein es lag wie Blei in ihren Füßen, eine seltsame Beklemmung schnürte ihr die Brust zusammen und raubte ihr den Athem. Sie hatte ein Grauen vor dieser Begegnung, und doch fehlte ihr die Kraft zur Flucht. Jetzt vernahm sie eilige Schritte, gleich darauf eine wallende Bewegung der Portiere – und Franz Rott stand ihr gegenüber. Sie vermochte sich nicht zu rühren, geschweige denn zu sprechen, es war ihr, als töne eine Stimme durch den Raum und spreche: „Nun erfüllt sich Dein Schicksal, Bettina!“




14.

Der Bann, den das Wiedersehen auf Bettina übte, währte nur wenige Sekunden, er schwand bei Rotts Begrüßung.

„Hier also finde ich Sie wieder? So hat mich meine Ahnung doch nicht irre geführt! Auf dieser einsamen Halbinsel hielten Sie sich versteckt, Sie Weltflüchtige?“ Er streckte ihr in herzlicher Bewegung die Hand entgegen, und sie legte zögernd die ihrige hinein, doch nur, um sie hastig wieder zurückzuziehen.

„Diese Begegnung, Herr Rott, überrascht mich nicht weniger als Sie –“

„Aber gewiß nicht so freudig wie mich,“ unterbrach er sie. „Seit unserm letzten kurzen Zusammensein vor zwei Jahren hab’ ich oft an Sie denken müssen, und ich sagte mir jedesmal: Hättest Du damals frisch und unverzagt gesprochen, wie Dir’s ums Herz war, dann –“

„Dann hätten Sie wahrscheinlich das doch nicht hindern können, was sich unterdessen ereignet hat.“ Sie schlug bei diesen Worten die gesenkten Augen auf, und ihre Stimme klang umflort, als sie fortfuhr. „Sie finden Bettina Wesdonk nicht mehr, Herr Rott. Ich bin die Frau eines Schiffers und heiße Monk.“

Ein düsterer Schatten legte sich auf sein Gesicht, und erst nach einer Weile raffte er sich zu der Bemerkung auf: „So ist

es also doch wahr, was ich vor Jahr und Tag als Gerücht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 172. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_172.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2020)