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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

darüber verrückt werden möchte. Ich würde es ganz gut begreifen, wenn ihretwegen fortwährend Mord und Totschlag unter den jungen Leuten wäre.“

„Davon hört man bis jetzt nichts,“ lachte Emmy, „nicht einmal von Verlobung, was immerhin mit weniger Lebensgefahr verknüpft wäre!“

„Ja, ’s ist unbegreiflich. Manchmal ist sie plötzlich ganz verwandelt, und ich habe nur eine Erklärung dafür. Vilma kann sich offenbar nicht wirklich für einen erwärmen, sie ist eine so seltsame Natur, ihrer ungeheuren Anziehungskraft gar nicht bewußt; wenn sie dann ernsthafte Absichten merkt, schreckt sie zurück.“

Emmy lachte laut. „O Linchen, Linchen! Die schöne Vilma erwärmt sich für zu viele, da steckt der Haken, glaube mir! Diese räthselhafte Natur ist eine ganz gewöhnliche Kokette, die nach einer möglichst guten Partie fischt. Unser Francis zappelt auch bereits an der Angel, ich kann aus genauer Beobachtung reden.“

„Der grüne Bursche!“ fuhr Linchen entrüstet auf. „Was kann Vilma dafür, wenn er sich in sie vernarrt! Der kann ja doch wahrhaftig als Partie nicht in Betracht kommen! Da siehst Du, wie ungerecht Du bist!“

„Nun,“ meinte Walter, „als Reserve ist er doch nicht zu verachten! Es haben Jüngere geheirathet, und seine Eltern sind sehr reich.“

„Jetzt fangen Sie auch noch an!“ rief die Malerin bitterböse. „Schämen Sie sich, so Ihrer Frau nachzureden! Früher sahen Sie doch Vilma mit günstigen Augen an!“

„O, das thut er noch!“ versetzte Emmy. „Sogar sehr!“

„Versteht sich,“ ergänzte er. „Sie ist ein reizendes Geschöpf. Wissen Sie was, Linchen? Bereden Sie Vilma, mit uns zu gehen, dann bringen wir in Nürnberg die Partie zustande und kehren triumphierend mit dem Brautpaar heim.“

„Sie sind mir ein schöner Diplomat! Thormann und beeinflussen – der würde uns auf dem Bahnhof umkehren, wenn er so was merkte! Nein, da ist nichts zu machen, das muß man rein gehen lassen und abwarten was daraus wird.“

„Trösten Sie sich, Verehrteste, das machen Größere als wir ebenso, und das nennt man dann die feinste Kunst der Diplomatie,“ sagte Walter gutgelaunt. Emmy war glücklich, ihn wieder so heiter zu sehen, sie hatte ja immer das Bestreben, ihm Aerger zu ersparen. So wandte sie denn jetzt auch nichts ein, als er darauf bestand, sie müsse als kleine Entschädigung für Nürnberg heute mit ihm ins Theater, die neue Schauspielerin sehen, welche die ganze Stadt entzückte.

Von Fritz war an diesem Nachmittag nicht weiter die Rede.




10.

Ostern war vorüber, auch die am längsten hinausgeschobenen Bälle waren abgetanzt. Die stille Saison, wo fleißige Hausmütter aufräumen, Töchter verdrießlich über die Leere des Lebens nachdenken und die Hausväter schweigend damit beschäftigt sind, die Karnevalsbilanz zu verwinden, diese für Stadtmenschen so uninteressante Zeit war auf ihrem Höhepunkt angelangt. Draußen indessen blaute der Himmel mit jedem Tage lachender, die milde Luft wehte über junges Saatengrün und allmählich brach ein Frühling herein so golden und herzerfreuend, als wolle er den Menschen zurufen: „Kommt heraus, werft euren Kram und Sorgenpack hinter euch und athmet einmal wieder meine Luft!“

Emmy glaubte eines Morgens, als das Himmelsblau so verlockend über den Dächern stand, den Ruf deutlich zu hören, und eine große Sehnsucht nach jungem Grün und selbstgepflückten Blumen erfaßte sie. Sie sprach also mit ihrem Manne, lief zu Linchen Wiesner und schickte dann in der Bekanntschaft herum, einen großen Ausflug nach Eschenlohe auf den folgenden Morgen anzusagen. Großes Entzücken der jungen Damen belohnte diese That, freilich etwas getrübt durch die Ueberlegung, daß die neuen Frühlingstoiletten allerseits noch nicht fertig waren. Aber das Vergnügen überwog, trotz der vorjährigen Kleider, und so stand denn am Sonntag Morgen ein stattliches Häuflein von Müttern, Töchtern und begleitenden Jünglingen erwartungsvoll am Endpunkt der Pferdebahn. Väter waren nicht zu sehen, das Frühlingsgrün schien für sie wenig Verlockendes zu bieten, selbst der Medizinalrath hatte die Theilnahme mit einer schnöden Bemerkung über das Eschenloher Bier abgelehnt.

Um so größer stand Walter da, der zweifellose Damenfreund, er erntete auch soviel Lobeserhebungen von älteren und jüngeren Lippen, daß er sich bald mit dem Gedanken aussöhnte, als Anführer dieser versammelten Weiblichkeit voranschreiten zu müssen. Und als nun vollends dem eben heranrollenden Wagen der Pferdebahn noch Thormann entstieg, da hatte Walter augenblicklich sein ganzes Gleichgewicht wieder und gab vergnügt das Zeichen zum Abmarsch. Auf jenem hübschen Nürnberger Ausflug vor einigen Wochen hatten sich die beiden ungleichartigen Männer merkwürdig gefunden: auf den stets etwas anerkennungsbedürftigen Walter machte Thormanns gelassenes In-sich-beruhen großen Eindruck, dieser dagegen sah voll Wohlgefallen die lebhafte noch jugendliche Art des andern und sein hübsches Gesicht. Daß Walter ein paar Jahre mehr zählte als er selbst, machte die Empfindung nur angenehmer. Man war also mit Vierzig doch noch nicht so alt, wie er sich selbst manchmal vorkam!

Nachdem die Vorstellung und ein allseitiges Händeschütteln vorüber war, wanderte die Gesellschaft, in kleine Trupps getheilt, an dem Flußufer einen Wiesenpfad entlang, der bald in den Wald einmündete. Emmy ging mit Elisabeth und Moritz voran, ihr hatte sich Paula von Düring angeschlossen, dann kam die Hauptgruppe. Vilma in einem allerliebsten röthlich gefütterten Sommerhut, der ihr Gesichtchen wie mit einem Glorienschein umrahmte, in reizender heller Toilette, umgeben von dem Schwarme ihrer Getreuen und ein paar jungen Mädchen, welche es rathsam fanden, sich stets der Gefeierten nahe zu halten. Hinter ihnen, auf Hörweite, gingen Walter und Thormann.

Vilma fühlte eine lebhafte Erregung. Also doch noch, trotz der Kühle der letzten Wochen zog es ihn wieder in ihre Nähe! Nun, der heutige Tag sollte nicht verloren gehen ... Es war wohl ein Fehler gewesen, auf jenem Ball zu bestehen sie sah das hinterher ein, vermuthlich hielt er sie für allzu vergnügungssüchtig, der schwerfällige Pedant! Er war ja seitdem wie verwandelt, fremd und wortkarg, und ließ sich wochenlang nicht mehr blicken; sie hatte ihre Ungnade nicht einmal anbringen können. Allein jetzt, da er doch wieder kam, fühlte sie neue Zuversicht. Heute, hier in der Waldstimmung, im Zusammensein für einen ganzen Tag, heute mußte es glücken. Er sollte nur anfangs sehen, daß andere sich um sie bemühten: ein wenig Eifersucht ist solch einem schwierigen Herrn sehr gesund. Dann aber – – Vilma öffnete die großen Augen weit und spann den Gedankenfaden im stillen fort. Sie hörte nur mit halbem Ohr auf das Geplauder ihrer Umgebung und den enthusiastischen Ruf von Francis: „O sehen Sie doch, wie wundervoll diese grüne Färberei auf den Wald und die Wiesen!“

Weiter rückwärts wandelte eine Gruppe der Unzufriedenen: Frida Gersdorff, Helene Hoffmann nebst ein paar anderen, unter fühlbarem Mangel an Kavalieren. Die erstere ärgerte sich wieder einmal namenlos über Vilma, aber sie hielt sich einstweilen in gesetztem Gespräch zu Karoline Wiesner; im stillen hoffte sie, der wechselnde Weg werde bald eine andere Vertheilung und den Künstler, für den sie schwärmte, an ihre Seite bringen.

Als Nachhut kamen dann noch verschiedene Mütter, unter ihnen Frau von Düring und Frau Hoffmann, deren hoffnungsvolle Söhne sich um Hedy und einige andere Backfischchen scharten. Auch Fritz bewegte sich hier in großer Unbefangenheit. Der Zorn seines Papas war freilich angesichts des elenden Osterzeugnisses noch einmal hoch aufgeflammt und hatte eine Aera großer Strenge erzeugt, in welcher die abendliche Nachhilfe meistens mit Ohrfeigen und Geheul zu endigen pflegte. Dann kamen ein paar Gelegenheiten, wo der Vater, ohne sich lächerlich zu machen, nicht am Stammtisch fehlen konnte, und siehe da! gerade an diesen stillen Abenden arbeitete Fritz sehr gut. Nun war es klar: er konnte, wenn er wollte, der leichtsinnige Bengel! Man mußte ihn also nur in der Furcht des Herrn erhalten und das besorgte die väterliche Gewissenhaftigkeit mit reichlichen Drohungen bei jedem Anlaß. Im übrigen kehrte allmählich alles ins frühere Geleise zurück. Gegen die beschämenden Freiheitsstrafen hatte

das besorgte Mutterherz, als gegen eine Schädigung von Fritzens

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_159.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2020)