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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Weiblichkeit aber kann im einen sowohl als im andern gewahrt bleiben.“

„Das bestreite ich,“ rief Hoffmann lebhaft, „das medizinische Studium mit Männern zusammen schließt die Weiblichkeit unbedingt aus.“

„Es kann und soll auf eigenen Frauenuniversitäten betrieben werden,“ entgegnete Emmy. „Die großen englischen Anstalten, von welchen man hier so wenig weiß, beruhen alle auf diesem Grundsatz. Und im übrigen: was für eine Zumuthung für die Weiblichkeit von unzähligen Frauen ist es doch, sich mit einem männlichen Arzte über Dinge besprechen zu müssen, die zu hören für die Studentinnen als unweiblich gilt! Viele von uns können sich in der That nicht dazu entschließen und verfallen so dem Siechthum und frühen Tode. Aus diesem Grunde schon müßte hier das weibliche Ohr, die weibliche Hand gefordert werden – können Sie das leugnen? Ein berühmter Frauenarzt, Geheimrath Winckel in München, hat dasselbe einmal öffentlich ausgesprochen.“

Bedeutende Kollegennamen thun stets ihre Wirkung. Emmy benutzte das augenblickliche Schweigen ihres Widersachers, um hinzuzufügen: „Weiblichkeit! Wie wechselnd und vieldeutig ist dieses Wortes Sinn! Was heute für Mädchen als unverfänglich gilt: schlittschuhlaufen, schwimmen, allein reisen, tanzend in den Armen eines Mannes sich drehen, das hätte vor hundert Jahren die größte Empörung erregt. Und beachten Sie nur das Widerspruchsvolle in unserem eigenen Verhalten: dort im Saale legt jeder den Arm um die Taille Ihres Töchterleins und Sie sehen ruhig zu; wagt einer dasselbe morgen in Ihrem Hause, so werfen Sie ihn sofort hinaus. Das ist nur ein Beispiel für unser konventionelles Denken in Betreff der Weiblichkeit. Was aber entspricht echter, wahrer Weiblichkeit mehr: mit freier Seele ruhig den schweren Kampf des Lebens auf sich nehmen oder auf dem großen Markte da drinnen mit Heucheln einen ungeliebten Mann erobern, wie es in hundert Fällen täglich geschieht? Ich würde für meine Tochter das erstere wählen, und tausend andere Mütter denken ebenso!“

„Das bezweifle ich noch,“ sagte der Medizinalrath, „aber gut, ich will Ihnen zugeben, daß man die Frauen in allerhand geschäftliche Berufe soll eintreten lassen, ich will sogar annehmen, daß einzelne besonders Begabte zu Frauenärzten tauglich wären, allein es graut mir, wenn ich an den Schwarm von leichtsinnigen sensationslüsternen Damen denke, die sich auf die geöffneten Universitätspforten stürzen werden, wenn das Studium einmal Mode wird.“

„Nun, da ließe sich wohl vorbeugen,“ sagte Doktor Seiler. „Eine strenge Maturitätsprüfung zur Annahme, strenge Examina hinterher würden die Leichtsinnigen schon abschrecken, und der Umstand, daß die ganze Fachbildung in völligen Frauenanstalten zu erwerben wäre, müßte von vorn herein die Möglichkeit eines unziemlichen Treibens mit männlichen Studenten ausschließen. Frau Walter bemerkte vorhin ganz richtig, daß wir in Deutschland zu wenig beachten, was auswärts schon geschehen ist. In England geben die mit weiblichen Lehrkräften besetzten ‚High schools‘, tüchtige gründliche Lehranstalten, den Mädchen gute Kenntnisse fürs Leben und zugleich die Vorbildung für das höhere Studium. Einsichtige Männer haben an der Gründung mitgeholfen, Frauen aber leiten das Ganze und genießen das größte Ansehen, weil sie dasselbe leisten wie gute männliche Lehrer. Die Zulassung zur Universität kostete einen harten Kampf, allein eine entschlossene Dame, Miß Emily Davies, führte ihn mit solcher Ausdauer, daß sie schon im Jahre 1869 das erste College eröffnen konnte; die kleine Schülerinnenzahl hat sich rasch gesteigert, gegenwärtig blühen zwei große Frauenanstalten bei Cambridge, deren Schülerinnen mit den Studenten zusammen unter gleichen Bedingungen geprüft werden und oft genug die erste Note davontragen. Die Universität London verleiht ihnen den Doktortitel ebenfalls, und thatsächlich praktiziert in England eine große Anzahl weiblicher Aerzte, selbst als Vorsteherinnen an Hospitälern. Es ist also nicht einzusehen, warum das, was dort vollständig eingeführt ist, nicht auch bei uns versucht werden könnte. Wir haben uns lange genug besonnen – von den großen europäischen Völkern sind im Rückstand nur noch Türken, Ungarn und – Deutsche. Alle anderen haben das Frauenstudinm erlaubt.“

„Und die Anstrengnngen dabei, den Ruin der Nerven und Organe für die, welche es nicht aushalten, die rechnen Sie nicht? Der weibliche Körper ist doch nicht dazu gemacht, zwischen dem sechzehnten und vierundzwanzigsten Jahre von morgens bis abends zu lernen!“

„Und die vielen nervösen leidenden Frauen,“ fuhr Fräulein Neube dazwischen, „die von der Vergnügungsjagd abgematteten Seelen, die gar keiner Arbeit mehr fähig sind, die haben ja das ‚naturgemäße‘ Leben geführt und sind doch kaput! Wie kommt das? Lassen Sie die anderen nur ihres Weges gehen – je mehr durch das Studium geschädigt werden, desto angenehmer kann es den Gegnern sein. Aber ich fürchte, diese erleben das Vergnügen nicht.“

„Nein,“ versetzte Emmy, „in dem Langeschen Buche wird genau geschildert, wie man es im Girton College macht, um den jungen Mädchen neben den geistigen Anstrengungen Gesundheit, frohe Laune und körperliche Frische zu erhalten. Das wollte ich Ihnen vorhin alles erzählen, allein mit Euch deutschen Männern muß man ja immer erst über die Grundlagen der Berechtigung streiten und kommt zu keiner sachlichen Ausführung. Morgen schicke ich Ihnen das Buch und ein anderes dazu: ‚Aerztinnen‘, von Mathilde Weber, das lesen Sie einmal durch, Sie werden überraschende Thatsachen finden, und dann sagen Sie mir, ob Sie noch das Herz haben, den Worten dieser klugen gemäßigten und durchaus weiblichen Frauen ein starres ‚Niemals!‘ entgegenzustellen.“

„Der Stein ist im Rollen,“ seufzte Hoffmann. „Worte helfen da nichts mehr. Aber wenn ich künftig mit weiblichen Kollegen zu einer Berathung zusammentreten muß, dann werde ich mich sehnsuchtsvoll erinnern an die guten hilfreichen Bäschen und Tanten, die man früher holen konnte, wenn es Kranke in der Familie gab –“

„Und die man wieder als verspottete alte Jungfern in den Winkel stellte, wenn man sie nicht mehr brauchte,“ rief Fräulein Neube. „Nein, Herr Geheimrath, immer wird sich das weibliche Geschlecht nicht auf dem Altar der männlichen Selbstsucht opfern lassen!“

„Wir werden pflegen und helfen und uns stets erinnern, daß dies der erste Frauenberuf ist,“ klang Emmys freundliche Stimme dazwischen. „Jedoch die Armen unter uns müssen bessern Lohn finden und die vielen unthätigen, in ihrer Familie entbehrlichen Mädchen, die mit dem größten Wunsche nach Thätigkeit im täglichen Kleinleben verkümmern und verbittern, sie sollen zur Arbeit und dadurch zum befriedigenden Menschendasein emanzipiert werden.“

Während dieser letzten Reden begann es von draußen her lebhaft hereinzuströmen – die Musik war verstummt, Mütter eilten durchs Zimmer, die verlorengegangenen Familienhäupter aufzusuchen, Töchter erschienen unter den Thüren, die Hände voller Bukette. Man hatte vom Kotillon verständnißvoll nur die einzige Sträußchen- und Ordentour getanzt, nun war für viele kein Grund mehr, weiter zu bleiben. Alles erhob sich. Doktor Seiler lief schleunigst, um noch ein paar Blumen für Fräulein Neube aufzutreiben, es fiel ihm zu spät ein, daß er den Tischwalzer völlig vergessen hatte. Der Medizinalrath ging seinen Damen entgegen; Frau Malchen sah erzürnt drein und das Töchterlein hielt trübselig ein einziges Sträußchen zwischen den Fingern.

„Komm,“ sagte die erstere halblaut zu ihrem Manne, „ich habe jetzt völlig genug. Wir hätten nicht hergehen sollen, das Kind hat sich gelangweilt. Freilich, wo solche Geschöpfe den Ton angeben –“ sie warf einen giftigen Blick auf Vilma, die drinnen unweit der Thür stand, vom Lichtglanz umflossen, und lachend und scherzend die Last der Blumen, die sie nicht alle selbst tragen konnte, ihren Verehrern zum Aufheben übergab.

Der Medizinalrath fühlte ein ganz neues Unbehagen in sich aufsteigen. Er sah auf sein blasses Töchterchen und bemerkte zum ersten Male, wie ausdruckslos ihre Augen über der kurzen Stumpfnase und den aufgeworfenen Lippen standen. Auch die Gestalt machte sich nicht besonders. „Hm!“ dachte er, „hübsch müßte ein Mädchen freilich sein, was soll man sonst mit ihm anfangen!“ Und laut sagte er zu der gleichfalls im Aufbruch begriffenen Emmy: „Sie haben ganz recht, es ist doch ein zweifelhaftes Vergnügen, so ein Ball; über unserem Gespräch habe ich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_155.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2020)