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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Der Zeitgeist im Hausstande.
Bilder aus dem Familienleben.
Von R. Artaria.
(4. Fortsetzung.)


„Ich will Ihnen den Beruf nennen, der eine sehr schlagende Illustration zu unserm Streite liefert,“ rief der Medizinalrath. „Warum giebt es beim Theater keine ‚Frauenfrage‘? Einfach deshalb, weil hier allein die Fähigkeiten und Leistungen ganz gleich sind. Die Primadonnen bekommen dieselben riesigen Gagen, feiern dieselben Triumphe, und keine Kritik der Welt könnte dem Publikum einreden, daß sie ihren männlichen Kollegen nachstehen,“

„Und doch haben sie sich auch dieses Feld erst vor zwei Jahrhunderten erobert.“

„Um sofort ihre Gleichbefähigung siegreich darzuthun. Das sollen die heutigen Damen nur nachmachen, dann kann man ihnen die geistigen Berufsarten dauernd nicht verschließen.“

„Ich denke besser von ihrer Befähigung als Sie stachliger Frauenfeind,“ brach nun Doktor Seiler sein bisheriges Schweigen, „ich glaube, daß sie in der That eine Anzahl von Berufen erobern werden, aber,“ dämpfte er sofort die aufleuchtende Augensprache seiner Freundin, „ich möchte eines dazu bemerken, was die Streiterinnen für Emanzipation stets außer Augen lassen: wir erfüllen allein die Wehrpflicht und haben ein Recht, für diese größere Last größere Begünstigung zu verlangen. Wenn die Frau auf jedem Felde mit uns wetteifern will, dann muß sie nothwendig ebenfalls Waffendienst oder eine gleichwerthige anstrengende Leistung zum Nutzen der Allgemeinheit übernehmen.“

„Wir lassen Ihnen ja dafür die Wahlfreiheit,“ sagte Emma lächelnd.

„Im Gegentheil, Ihr bestreitet sie uns, wo Ihr könnt,“ fiel ihr Gatte ein.

„Nein,“ erwiderte Fräulein Neube mit unendlicher Herablassung, „nein, ich bestreite sie nicht, weil es ja doch nichts hilft. Aber ich fühle mich nie mehr von der Ueberlegenheit des männlichen Geistes durchdrungen, als wenn ich am Wahltag meinen betrunkenen glotzäugigen Hausmeister, der für gewöhnlich in unverständlichen Lauten grunzt, zur Wahlurne ausrücken sehe. Ich sage mir dann: siehe da den geborenen Vertreter der Intelligenz! Du aber und deinesgleichen geht hin und kocht bis an euer Ende!“

Dies war dem Medizinalrath, der ohnedies einen bedeutenden Abscheu vor dem „geistreichen Frauenzimmer“ im allgemeinen hatte, zu viel. „Erlauben Sie, mein Fräulein,“ sprach er nachdrücklich, „das Kochen, ich meine das gute Kochen, ist eine der edelsten menschlichen Beschäftigungen; ich kann deren Herabsetzung durchaus nicht dulden. Freilich glänzen darin auch bloß die Männer, keine weibliche Leistung reicht an die der berühmten Köche hinan, Aber alle Ehre, tiefe Hochachtung den Frauen, die sich ernsthaft eines guten Kochens befleißigen! Sie thun größeres, als wenn sie Bände voll mittelmäßiger Novellen schrieben, Säle voll schlechter Bilder malten – von der Klavierqual ganz zu schweigen.“

Fräulein Neube war sonst um Erwiderungen nicht verlegen, allein ein so unmittelbarer Angriff auf die Reihe ihrer eigenen Novellenbände, welche dieser unverschämte Mensch zu den mittelmäßigen zu rechnen schien, machte sie sprachlos. Sie suchte noch nach einem möglichst vernichtenden Brandgeschoß, als Emmy, die bis dahin mit lebhaftem Antheil zugehört hatte, ihr zuvorkam.

„Lieber Freund,“ sägte sie mit dem ihr eigenen warmen Tone, „die meisten Mädchen würden glücklich sein, an ihrem eigenen Herde zu kochen. Ich habe noch nie eine gekannt, die das nicht selbstverständlich fand. Aber Sie hören es ja, viele Tausende müssen nothgedrungen andere Beschäftigungen suchen, sie genießen nicht den Schutz des Mannes, sollen als Mündige selbst für sich sorgen und werden fortwährend als unmündig und unfähig zurückgestoßen. Darin liegt ein so großer, trauriger Widerspruch, daß es kein Wunder ist, wenn die Begabten unter ihnen laut nach Gerechtigkeit, nach freier Bahn für ihre Kraft und Begabung verlangen. Es ist einfach grausam, sie alle, die keinen häuslichen Herd finden können, immer wieder auf denselben zu verweisen!“

„Also Sie sind auch für weibliche Aerzte, Richter, Prediger und Advokaten? Da machen wir ja ganz neue Entdeckungen, Walter!“

Aber dieser betrachtete vergnügt seine schöne, vor Erregung erröthende Frau und nickte ihr beifällig zu: „Nur los, Emmy, zeige einmal, was Du als Advokat leisten kannst!“

„Ich werde mich hüten,“ entgegnete sie lächelnd, „diesem schlimmen Feinde in die Fußangeln zu gehen. Ich vertrete nichts, was mir für unweiblich gilt, weder die Richterin noch die Parlamentsrednerin noch sonstige öffentliche Aemter der Frauen. Aber aus voller Ueberzeugung stimme ich denen bei, welche für unser Geschlecht die unserer Anlage entsprechenden Berufsarten verlangen, also neben den bisher üblichen den ärztlichen und den Lehrberuf in vollem Umfang. Ich habe eine Eingabe an den Reichstag mit unterschrieben, worin die Forderung ernsten Studiums, strenger Prüfungen, dann aber Ueberweisung des gesammten niederen und höheren weiblichen Unterrichts, an akademisch gebildete Lehrerinnen begründet wird. Kein Mensch kann begabten Mädchen die Fähigkeit bestreiten, nach mehreren Jahren ernster Arbeit zu ganz tüchtigen Geschichts-, Geographie- und Litteraturlehrerinnen zu werden, ganz abgesehen von ihren erzieherischen Eigenschaften. Also soll man auch den Frauen den Unterricht ihres eigenen Geschlechtes voll übertragen und damit zugleich das größere Gehalt, das bisher nur die Männer bekamen.“

„Sehr ungerechtfertigter Weise,“ schaltete Fräulein Neube ein.

„Gut, das will ich Ihnen zugestehen,“ sagte Hoffmann zu Emmy. „Für Töchterschulen mag’s reichen. Außerdem fiele dann auch die Anbetung der Oberklasse für den Litteraturlehrer weg, das wäre immerhin etwas. Aber gehen Sie mir mit dem ärztlichen Beruf! Wir brauchen nicht noch mehr unbedeutende Praktiker, als wir heute schon haben, und däs wäre alles, was man im besten Falle von den Frauen zu erwarten hätte!“

„Auf diesen Einwand giebt ein Buch Antwort, das mir neulich in die Hände fiel, und dem ich, ehrlich gestanden, meine neue Begeisterung für die Sache verdanke. Es heißt ‚Frauenbildung‘ von Helene Lange. Lesen Sie es einmal, Herr Medizinalrath, Sie werden über die sehr guten Gründe der Verfasserin erstaunen. Dort heißt es, wenn man die Grenze für den gelehrten Beruf da ziehen wolle, wo die selbständige Schöpferkraft aufhört, so wären mindestens neunzig Prozent aller Männer zugleich mit den Frauen ausgeschlossen – –“

„Neunundneunzig!“ warf Doktor Seiler dazwischen.

„Während die Frauen gerade durch ihre besonderen Fähigkeiten des Verständnisses, der Geduld und Hingabe vorzügliche Praktiker werden könnten, ja es heute in anderen Ländern schon vielfach seien. Ihnen dies bei uns hartnäckig verweigern, heißt doch den Verdacht erwecken, daß der Beweggrund viel weniger die Sorge für das Wohl der Frau als die Furcht vor ihrem Wettbewerb ist.“

„Nun natürlich!“ rief Fräulein Neube. „Die dummen faulen Jungen, die mit Nachhilfslehrern durch alle Gymnasialklassen gedrückt werden müssen, sie dürfen nicht durch fähige, leicht lernende Mädchen benachtheiligt werden. Denn wenn diese im Schlußexamen siegen würden, so müßte man ihnen ja das Studium erlauben und dadurch die Dummköpfe unter den Jungen zur Handarbeit verweisen. Also nur immer Einsprache erhoben im Namen der Weiblichkeit! Das klingt gut und hat außerdem noch die sämmtlichen beschränkten Frauen hinter sich!“

Emmy ärgerte sich im stillen über die unerwünschte Bundesgenossin, sie sagte daher kühl:

„Schon deshalb sollte das Frauenstudium durchgehen, damit endlich einmal die Ausnahmsansprüche der damit Beschäftigten aufhörten. Was ist’s denn so Großes? Wer Neigung und Talent hat, lernt ebenso selbstverständlich weiter, als eine andere ihren Haushalt führt. Das Verdienst ist in beiden Fällen sicherlich gleich, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_154.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2020)