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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

seine Verwandten, die ihn die ganze Zeit über gereizt und in seinem tollen Treiben bestärkt hatten.

„Ah,“ bemerkte jetzt der Viehhändler, dessen Blick gleichfalls auf das offene Fenster gefallen war, „die rothe Tine is durchbrennt. Ja, min Sähn, rothes Hoor un Ellernholt wachsen up keinen gauden Boden.“

Bei dieser höhnischen Bemerkung flammte Ewalds Zorn vollends auf. Mit festem Griffe packte er den Schwager an der Brust und schrie ihm zu: „Von wem sprichst Du, Halunke? Von meiner Frau? Da hast Du die Antwort!“

Von seinem kräftigen Arme geschleudert, flog der Viehhändler gegen die Thüreinfassung. Der Beleidigte stieß einen Wuthschrei aus und stürzte sich mit der geballten Faust auf seinen Gegner. In der nächsten Minute bewirkte dieser persönliche Zusammenstoß der beiden Schwäger einen allgemeinen Kampf unter den bis zum Uebermaß erhitzten Männern, die gar nicht recht wußten, um was es sich handle, und aus dem wilden Knäuel tönte das Krachen der Stühle, das Klirren niederfallender Tafelgeschirre, das Geheul der Kinder und Frauen, das Stampfen und Fluchen der Streitenden.

Zehn Minuten etwa wogte der Streit unentschieden durch die Klause, dann flogen beide Schwäger Ewalds durch die Thür und ihnen folgte mit blutigen Köpfen die kleine Schar derer, die für sie Partei genommen hatten.

Ewald war Herr geblieben in seinem Hause, aber um welchen Preis! Sein bleiches Gesicht war blutüberströmt, sein Anzug zerrissen und der Kampfplatz übersät mit Trümmern und Scherben. Nun trat bei dem jungen Ehemann die völlige Ernüchterung ein. Seine Mutter rang die Hände, keifte, jammerte und schob die Schuld an dem ganzen Streite „der rothen Tine“ in die Schuhe. Unwirsch unterbrach Ewald ihr Geschwätz mit der schroffen Bemerkung, er gestatte niemand, über seine Frau zu schimpfen, auch der Mutter nicht. Die Gäste, auch seine Eltern sollten heimgehen und ihn allein lassen.

Hundriesers zweiter Entwurf zum Reiterstandbild Kaiser Wilhelms
auf dem Kyffhäuser.


Nun führte der alte Monk sein Weib mit einem kurzen „Gut’ Nacht ooch, min Jung’!“ hinaus. Als auf dem Heimweg Frau Monk sich nicht beruhigen wollte, schnitt der hinkende Gatte ihr Schelten durch einen Kernfluch ab und knüpfte an diesen die philosophische Bemerkung: „Is et up Din Hochtied anners west? Ohne Slägerei geiht so ’n Vergneugen nich af.“




11.

Bettina hatte im Schulhaus nur kurze Zeit und sehr unruhig geschlafen. Sie erhob sich, sobald der Morgen anbrach, und kleidete sich an. Ihre Wirthsleute lagen noch im tiefen Schlafe, als sie leise das Haus verließ. Draußen blies ihr der eiskalte Morgenwind entgegen, die Erde war stark bereift. Von der Küste drüben ertönte die Morgenglocke. Bei den langgezogenen Tönen erinnerte sich Bettina, daß ein Sonntag begonnen habe; andächtig faltete sie die Hände und sagte leise: „Der erste Tag meiner Ehe! O möge mir Kraft gegeben werden, klug zu sein und ihn zum Guten zu leiten! Er hat gehandelt, wie er es wußte, an mir ist es, ihm ein Höheres zu zeigen.“

Mit den besten Entschlüssen betrat sie die Klause; aber als sie die verwüsteten Zimmer erblickte, die Glas- und Porzellanscherben, die zerbrochenen Stühle und umgeworfenen Tische, den Trümmerhaufen, in den fast die ganze kostbare Einrichtung verwandelt war, als sie ihren Gatten angekleidet auf dem Bette liegen sah, mit blutigem Gesicht, entstellt und häßlich, da rang sie verzweifelt die Hände und schrie auf: „Alle, die dich warnten, hatten recht, du bist einem schrecklichen Irrthum zum Opfer gefallen!“

Allein in der nächsten Minute schon überwand ihre Willenskraft die Verzagtheit. Jedes Glück im Leben will erkämpft sein, sagte sie sich. Willst du beim ersten Hinderniß schon die Waffen strecken? Arbeite, diene ihm, sei ihm eine Führerin wie Parthenia, und die Liebe wird seine rohe Natur läutern …

Sie weckte die Bauerndirne, welche sie zur Hilfeleistung für die Zeit der Einrichtung gemiethet hatte, und begann eifrig aufzuräumen und die Spuren der Verwüstung so gut es ging zu verwischen.

Als Ewald zwei Stunden später erwachte, hörte er in der Stube nebenan Tassen und Kaffeelöffel klirren, das Feuer im Ofen knistern. Rasch erhob er sich; ein Blick in den Spiegel ließ ihn vor sich selber erschrecken, so konnte er sich vor seiner jungen Frau nicht sehen lassen!

Leise fluchend kleidete er sich um, wusch sich Hände und Gesicht und trat endlich mit der gestrengen Miene eines Gatten, der von seinem Weibe Rechenschaft fordern kann, in das behaglich durchwärmte Stübchen. Er sah Bettina, welche eben den dampfenden Kaffeetopf auf den Frühstückstisch stellte, finster an und sagte in grollendem Tone: „Wo hast Du die Nacht zugebracht?“

„Im Schulhaus, Ewald.“

„Dann geh wieder dahin zurück, wo Du hergekommen bist, verstanden?“

„Nein,“ entgegnete sie lächelnd, „das hab’ ich nicht verstanden. Du wirst mich nicht in derselben Stunde fortschicken, wo unser häusliches Leben beginnen soll.“

„Warum bist Du dann gestern davongelaufen? Warum hast Du mich dem Gespött der Leute ausgesetzt? Wärst Du hier geblieben, so hätt’ ich mich nicht mit meinen Schwägern geprügelt und hier im Hause wäre nicht das unterste zu oberst gekehrt worden –“ Aechzend griff er nach der Stirne.

Sie trat zu ihm hin, legte die Hand auf seinen Arm und sagte in weichem eindringlichen Tone: „Begreifst Du nicht, daß ich nicht bleiben konnte? Ihr waret fast alle von Sinnen, und wie mich die Ausgelassenheit unserer Gäste ängstigte, so flößte mir Dein Benehmen Scheu ein.“ Sie schlug die Augen nieder und ihre Wangen glühten, als sie nach kurzer Pause stockend und zagend fortfuhr: „ Sieh, in jeder Mädchenseele bilden sich rosige Träume vom Glück der Ehe, mit banger Erwartung und heiligem Schauer betreten wir die Schwelle dieses Glücks – in solcher Stimmung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_137.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2019)