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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Halbheft 5.   1892.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1892. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Weltflüchtig.

Roman von Rudolf Elcho.
(4. Fortsetzung.)

Der Bau des Hauses begann in den ersten Tagen des Mai, und Bettinas Schaffensdrang fand während des Sommers einen willkommenen Wirkungskreis. Mit Sonnenaufgang schon war sie bei den Bauleuten draußen und freute sich des gedeihlichen Fortgangs der Arbeit. Sie besprach mit dem Werkmeister jede Einzelheit der Ausführung und wußte mit klugem Sinne die Hindernisse zu beseitigen, jede Stockung zu überwinden. Zu Anfang Juli war der Rohbau vollendet, und sie gab den Maurern und Zimmerleuten ein Richtfest, bei dem es lustig herging und der Lehrer einen artigen Trinkspruch auf die schöne Bauherrin ausbrachte.

Ewald konnte dem Feste nicht beiwohnen, denn er mußte zu seinem Verdruß den Dampfer eines reiselustigen Prinzen als Lotse begleiten. Bettina bekam ihren Verlobten während des Sommers überhaupt nur wenig zu sehen, denn wenn er nicht dienstlich beschäftigt war, so bedurften die Eltern seiner beim Einbringen der kleinen Ernte, beim Fischen oder bei der Aufführung des neuen Häuschens. Die Monate Juli und August waren heiß und regenlos, das kam dem Neubau Bettinas sehr zu statten; auf der luftigen Höhe trocknete er bald gründlich aus, so daß schon im September mit der inneren Ausstattung begonnen werden konnte. Die Gartenanlage erforderte bei diesem Wetter fortgesetzte Bewässerung, und Bettina war rastlos thätig, um dem jungen Rasen, den eingepflanzten Bäumen und Sträuchern die nöthige Erfrischung zu geben. Sie freute sich des fröhlichen Gedeihens, und wenn Ewald abends zu ihr kam, zeigte sie ihm stolz und glücklich die Fortschritte im Garten und entwarf mit ihm heitere Zukunftspläne.

Die Hochzeit sollte Mitte Oktober stattfinden, und Bettina begab sich vier Wochen vorher nach Berlin, um die für die innere Einrichtung des Hauses nöthigen Möbel, Gardinen und Geräthe einzukaufen.

Sie hatte sich anfangs vorgenommen, das Haus nett, doch mit größter Einfachheit auszustatten, als sie aber in den Kaufläden und Magazinen den farbenreichen Teppichen, den schöngeformten Schränken, den reichgemusterten Möbelstoffen gegenüberstand, konnte sie dem Verlangen nicht widerstehen, ihr Erkerzimmer wenigstens schön und geschmackvoll auszuschmücken. Hier mußte ihr Flügel stehen, ein Kaminofen mit farbigen Kacheln sollte während der langen Winterabende trauliche Plauderstunden beim offenen Feuer ermöglichen, weiche Portieren sollten den Raum vom Eßzimmer scheiden und schöne Bilder und Büsten die Wände beleben – die Naturschwärmerin konnte den Salon nicht entbehren. Alle übrigen Räume jedoch sollten mit einfachen hellen Möbeln und Gardinen ausgestattet werden. Als sie mit ihren Einkäufen zu Ende war und im Gasthof die Ausgaben überschlug, erkannte sie mit leisem Schrecken, daß sie weit über den Anschlag hinausgegangen war. Sie hatte für den Bau und die Einrichtung ihres Heims nun dreißigtausend Mark aufgewendet. „Aber was habe ich für diese Summe auch alles erworben!“ sagte sie sich zur Beruhigung ihrer eigenen Bedenken, „wir besitzen das schmuckste Landhaus mit herrlichem Ausblick aufs Meer, mit einem Garten, der uns Gemüse und später auch Obst in Fülle liefern wird.“ Sie überschlug ihr Einkommen aus den Zinsen des übrigen Kapitals und Ewalds Verdienst als Lotse und fand, daß beides zusammen für

Vor den Thoren Wiens: Das „Jungfernbründl“ bei Sievering.
Nach einer Zeichnung von W. Gause.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 133. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_133.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2021)