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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


 Prinz Karneval.
 (Zu dem Bilde S. 101.)

Die Fahne hoch in freiem Flug,
Und hinterdrein ein langer Zug
Von lustigen Gesellen!
Prinz Karneval ist eingekehrt,
Die Pritsche ist sein Heldenschwert,
Es klingeln seine Schellen.

Fort alles, was das Herz bedrängt,
Was uns in enge Fesseln zwängt,
Die Heuchelei und Lüge!
Das kühne Wort schlägt zündend ein
Und fegt die dumpfen Lüfte rein
Für freie Athemzüge.

Und des Champagners Gluth erhellt
Mit rosigem Schimmer Herz und Welt,
Und Gram und Sorge schwinden,
Und schöne Tage, längst verträumt,
Erstehn zum Leben lichtumsäumt,
Uns neuen Kranz zu winden.

Die Maske vor in Spiel und Scherz,
Die Maske fort von Geist und Herz,
Die wir im Leben tragen!
Heut hat die Narrheit Feiertag
Und ohne jeden Schleier mag
Sie selig sich behagen.

Du Prinz und Herr im Narrenreich,
Du bist beschwingten Faltern gleich,
Die farbenprächtig funkeln –
Doch naht mit seinem Mottenflug
Der Aschermittwoch früh genug,
Dein Leuchten zu verdunkeln.

Bald löscht er aus der Lichter Glanz,
Hat wie gespenstigen Totentanz
Den Maskenscherz vertrieben;
Doch blieb ein Leuchten noch zurück,
Und Funken sind’s von Lust und Glück,
Die aus der Asche stieben.
 Rudolf von Gottschall.


Künstler und Dilettant. „Kulturgeschichtliche Charakterköpfe“ hat Altmeister W. H. Riehl ein Buch überschrieben, das kürzlich bei Cotta erschienen ist. Er hat darin eine Reihe von Persönlichkeiten gezeichnet, die für ihre Zeit eine gewisse typische Bedeutung hatten, gezeichnet mit jener plastischen Klarheit, wie man sie von einem Manne erwarten darf, der wie Riehl zugleich Meister der Beobachtung und des Stils ist. Unsere Leser erinnern sich gewiß der prächtigen Skizze „Eine Rheinfahrt mit Josef Viktor Scheffel“, welche die „Gartenlaube“ in Halbheft 15 des vorigen Jahrgangs veröffentlichte. Diese und manche andere in engerem oder weiterem Sinne verwandte sind in diesem „Buch der Erinnerung“ gesammelt zu einer außerordentlich anziehenden literarischen Porträtgallerie.

Unter den Charakterköpfen, welche Riehl so mit gewandtem Stift theils leicht hinwirft, theils genauer ausführt, erscheint auch Moritz von Schwind, der phantasie- und gemüthvolle Schöpfer jenes Bildercyklus zu dem Märchen von den „Sieben Raben“. Riehl erzählt von ihm u. a. eine prächtige Geschichte, welche die unter Umständen etwas „unverblümte“ Art des Künstlers trefflich kennzeichnet. Zu Schwind kam einmal ein vornehmer Dilettant und bat ihn, er möge ihn doch auf einige Tage oder Wochen in seine Schule nehmen und ihn namentlich in seiner meisterhaften Kunst der Bleistiftskizze unterweisen, er möge ihm zeigen, wie er das eigentlich anfange. Darauf erwiderte Schwind. „Hierzu bedarf es keiner Tage und Wochen, lieber Herr Baron, ich kann Ihnen in drei Minuten sagen, wie ich’s anfange. Hier liegt mein Papier – wollen Sie sich gefälligst notieren – ich kaufe es bei Bullinger, Residenzstraße 6; dies sind meine Bleistifte – A. W. Faber – ich beziehe sie von Andreas Kant, Kaufingergasse 10; von derselben Firma habe ich auch dieses Gummi, gebrauche es aber wenig, desto öfter benutze ich dieses Federmesser, um die Bleistifte zu spitzen, es ist von Tresch, Dienersgasse 10, und sehr empfehlenswerth. Habe ich nun alle diese Dinge beisammen auf dem Tische liegen und dazu einige Gedanken im Kopf, dann setze ich mich und fange an zu zeichnen. Und jetzt wissen Sie alles, was ich Ihnen sagen kann.“

Als aber der Maler August von Wörndle aus Wien ihn über seine Art der Freskomalerei befragte, da ließ er gleich einen Bewurf im Atelier machen und malte ihm frischweg ein Studium an die Wand!


Die Eröffnung der Kemptnerhütte. (Zu dem Bilde S. 121.) Seit einer Reihe von Jahren sind die verschiedenen alpinen Vereinigungen bestrebt, durch Errichtung von Schutzhütten mitten in der Bergeseinsamkeit das Eindringen in die Herrlichkeiten der großartigen Alpenwelt zu erleichtern. Ausgerüstet mit bequemen Nachtlagern, Eß- und Trinkvorräthen, wohl auch in der guten Jahreszeit förmlich bewirthschaftet, bieten sie gleichsam die weit vorgeschobenen Posten der Kultur, von denen aus der Natur- und Gebirgsfreund seinen Vormarsch antritt in die wundersame Welt der Spitzen und Schrofen, des ewigen Eises und ewigen Schnees. Sie ermöglichen es dem Bergwanderer, die Tagesarbeit, welche ihm die Besteigung eines Gipfels, der Uebergang über ein Hochjoch bringt, von einem Theil des Anstiegs zu entlasten, der ihm sonst kostbare Stunden des Tages rauben und nur zu häufig erhebliche Schwierigkeiten bereiten würde. Denn über ein bereits von der Sonne erweichtes Schneefeld zu pilgern ist keine Kleinigkeit, knietief sinkt der Wanderer ein und auch der Kräftige ermüdet aufs äußerste. Es hängt darum viel davon ab, daß solche Strecken zu einer möglichst frühen Tagesstunde überschritten werden, wo die hartgefrorene Kruste der Oberfläche die Last eines Menschen noch zu tragen vermag.

Der Deutsche und Oesterreichische Alpenverein ist gegenwärtig im Besitze von nicht weniger als 129 solcher Hütten, welche von seinen Sektionen im Laufe der letzten dreißig Jahre erstellt wurden. Eine der jüngsten ist die von der Sektion Algäu-Kempten errichtete Kemptnerhütte am Obermädelejoch, jenem Uebergang vom Trettachthal oberhalb des vielbesuchten Oberstdorf im bayerischen Algäu hinüber nach dem oberen Lechthal. Sie wurde im August vorigen Jahres feierlich eröffnet. Unsere Abbildung giebt uns eine Darstellung der festlich geschmückten Hütte, um die sich die Festtheilnehmer gesammelt haben, Führer und „Herren“ Alte und Junge. Auch einen alten Bekannten, Leo Dorn von Hindelang, entdecken wir unter den Vordersten, und natürlich fehlt auch der Liebhaberphotograph nicht. Die Kemptner Hütte ist von mittlerer Größe. Sie bietet auf sechzehn Matratzen und zwei Heulagern Raum für fünfundzwanzig bis dreißig Personen. Möge ihr fester, wetterstarker Bau viel fröhliche Wanderer beherbergen!

Das Einsalzen der Kinder. Das Einsalzen war sicher die erste Art der Konservierung von Nahrungsmitteln, welche den Völkern bekannt wurde. Das Meer, in welchem die Fäulniß nicht so leicht vor sich geht, war ihr Lehrmeister, und so kam es auch, daß dem Salze schon frühzeitig eine erhaltende und stärkende Kraft zugeschrieben wurde. Diese Kraft sollte auch dem jungen Erdenbürger, welcher gerade das Licht der Welt erblickt hatte, zu statten kommen, und es entwickelte sich die namentlich im Orient weit verbreitete Sitte, neugeborene Kinder in Salzwasser zu baden oder regelrecht einzusalzen.

„So hat man dich auch mit Wasser nicht gebadet, daß du sauber würdest, noch mit Salz gerieben,“ singt der Prophet Hesekiel, und der Orientale versteht wohl, was diese Worte zu bedeuten haben – eine arge Vernachlässigung der Kindespflege! Die Juden und andere orientalische Völker haben sich allerdings später damit begnügt, die Neugeborenen nur in Salzwasser zu baden, aber die alte Sitte des Einsalzens hat sich dennoch hier und dort erhalten. In dem russischen Gouvernement Eriwan wird sie von den Armeniern geübt. Die ganze Oberfläche des Neugeborenen wird mit feingestoßenem Kochsalz bestreut, wobei vor allem die Falten und Vertiefungen der Achselgruben, der Kniekehle, Daumengegend etc. bedacht werden. Nachdem das Kind drei Stunden und länger in Salz gelegen hat, wird es in reinem erwärmten Wasser gebadet. In einigen Bezirken haben die Armenier diese Sitte aufgegeben und werden darum von ihren Nachbarn „ungesalzene“ Armenier genannt.

Auch die Nachkommen der klassischen Griechen bestreuen ihre Kinder mit Salz. Weigern sich die aufgeklärteren Mütter, diese Behandlung zuzugeben, so bedeuten ihnen die Hebammen: „Wenn ich dein Kind nicht mit Salz bestreue, so wird es elend und wird zu nichts taugen.“

Wie vertragen nun die Kleinen dieses Einsalzen? Wird des Guten zu viel gethan, dann bekommt ihnen die stärkende Kur schlecht; die Haut erhält ein feuerrothes Ansehen, das Kind kann den starken Hautreiz nicht vertragen und geht an Krämpfen zu Grunde. Trotzdem giebt es Völker, wie z. B. die Bergbewohner Isauriens in Kleinasien, welche das neugeborene Kind unbarmherziger Weise 24 Stunden lang in Salz legen, um seine Haut zu stärken: wahrhaftig, der Mensch hat eine unverwüstliche Natur!

Auch bei uns in Deutschland wird das Einsalzen an manchen Orten noch ausgeübt, aber nur symbolisch. In der Rheinpfalz streut man z. B. dem Kinde Salz hinter die Ohren, anderwärts steckt man in Papier eingewickeltes Salz in die Windel oder legt dem Neugeborenen eine Prise Salz auf die Zunge. Das bringt Verstand, wie die Leute meinen, und schützt vor Unholden.*     

Zerstörte Hoffnungen. (Zu dem Bilde S. 117.) Es ist ein Stück herzergreifender Tragik, welches das Bild Otto Kirbergs uns vorführt. Wir schauen in die Häuslichkeit eines bejahrten holländischen Seemanns, der es durch eigene Kraft und Tüchtigkeit zu einem behäbigen Wohlstand gebracht und der sich nach vielen stürmischen Fahrten zur Ruhe gesetzt hat, um seinen Lebensabend im Kreise seiner Familie zu genießen. Die „Fortuna“, das schöne Schiff, welches unter seiner Führung mit so mancher gewinnbringenden Fracht in den heimischen Hafen einlief, hat er dem einzigen Sohne übergeben, der unter der väterlichen Zucht auf den Wellen des Weltmeeres zu einem der strammsten Kapitäne herangewachsen war. Während Willem, der Sohn, mit der „Fortuna“ fremde Länder aufsucht, führt der rüstige Alte das Regiment im Hause, und seine „Frauensleut’“ machen ihm dasselbe wirklich nicht schwer. Noch gestern abend saß Peter Adrian mit den Seinen gemüthlich an dem runden Tisch und las nach vollbrachter Tagesarbeit ein Kapitel aus der Familienbibel vor. Mutter Zwantje, sein treues Weib, hörte andächtig mit gefalteten Händen zu, während ihre Seele draußen auf den grollenden Nordseewogen den Sohn suchte, der sich mit der „Fortuna“ auf der Heimreise befand und der bald, vielleicht morgen schon, mit fröhlichem Gesicht bei ihnen eintreten konnte. Auch Karlien die Tochter, blickte zufrieden und sinnend drein; sie hatte den Jüngsten der Familie, den kleinen Pietter, zu Bett gebracht und überdachte nun noch einmal all die Lieblingsgerichte, die sie dem heimkehrenden Bruder kochen wollte, um ihm das Vaterhaus, das eigene Heim angenehm zu machen. Nur Antje, die junge Schwiegertochter,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 131. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_131.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)