Seite:Die Gartenlaube (1892) 126.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

ob nur einer gewöhnlichen Affenfigur einige spezielle Merkmale des Schlankaffen gewissermaßen äußerlich aufgesetzt sind. Im inneren Leibesbau haben schließlich Schlank- und Stummelaffen noch eine hochbedeutsame, in ihrer Art ganz einzig dastehende Eigenthümlichkeit gemein, nämlich einen zusammengesetzten, getheilten Magen, welcher an den der Wiederkäuer, noch mehr aber an den der Känguruhs erinnert, und es sollte dies meines Erachtens genügen, um beide Gruppen und alle ihre Mitglieder trotz sonstiger Unterschiede für immer als eng zusammengehörig zu erweisen. Diese eigenthümliche, für einen Affen ganz unerhörte Beschaffenheit des Magens läßt natürlich von vornherein auch auf eine besondere Art der Ernährung schließen, und zwar weist sie ganz unzweideutig darauf hin, daß die Schlankaffen sowohl als die Stummelaffen viel ausgeprägtere und ausschließlichere Pflanzenfresser oder genauer gesagt, Grünfresser sind als die übrigen Affen. Diese folgerichtige Annahme wird denn auch durch die Erfahrung an Gefangenen vollauf bestätigt. Unsere Vertreter der Stummelaffen, die Guerezas, ebenso wie die beiden Arten Schlankaffen, die ich bis jetzt gepflegt habe, fraßen regelmäßig, aber sehr wählerisch von dem Heu, das ihnen als Streu und Lager diente, und die Guerezas verspeisten insbesondere mit Leidenschaft täglich einige Köpfe grünen Salat zum Abendbrot, das sie stets begierig erwarteten.

In der äußeren Gesammterscheinung, die ja wesentlich durch die Ausbildung des Haarkleides bedingt wird, zeigen Schlank- und Stummelaffen gewisse durchgehende Eigenthümlichkeiten, die beide Gruppen unterscheiden. Während nämlich die indischen Schlankaffen im allgemeinen ein kurzes Fell besitzen und ihr Haarkleid gewöhnlich nur an einzelnen Stellen des Körpers in Gestalt von Kopfmähnen, Haarkronen, Backenbärten und Halskragen sich besonders entwickelt, zeichnen sich die afrikanischen Stummelaffen sämmtlich durch eine lange, reichliche Behaarung des ganzen Körpers aus, die oft durch schöne, auffallende Zeichnungen noch gehoben wird. Die feineren Verschiedenheiten der Behaarung, Färbung und Zeichnung dienen nun in beiden Gruppen zur Unterscheidung einer ansehnlichen Reihe von Arten, die indessen alle nacheinander in ausführlicher Beschreibung abzuhandeln wenig allgemeines Interesse bieten dürfte. Wir werden uns daher im wesentlichen auf die abgebildeten Arten beschränken.

Da sind zunächst die beiden einträchtig beisammensitzenden Kameraden auf dem unteren Theile unserer Titelvignette! Es ist der weißbärtige Schlankaffe (Semnopithecus leucoprymnus Desm.) von Ceylon, die einzige Art, die ziemlich regelmäßig eingeführt wird und daher auch nicht gerade selten in unseren Thiergärten zu sehen ist. Das harmlose, stille, sanfte Thier ist in seiner äußeren Erscheinung durch seinen Namen in der Hauptsache schon genügend gekennzeichnet: es hat einen weißen Backenbart aus wagrecht abstehenden, mit der Spitze nach vorn gekrümmten Haaren; auch der untere Theil des Rückens und der Schwanz sind grauweiß gefärbt; sonst ist es braunschwarz, der Oberkopf heller und länger behaart. Im Hafen von Colombo können die Seeleute den weißbärtigen Schlankaffen stets um ein Billiges haben, er muß also auf der Insel ganz gemein sein.

Im oberen Gezweige derselben Zeichnung bewegen sich einige Vertreter einer „berühmten“ Schlankaffenart, des Hulman oder heiligen Affen der Inder (Semnopithecus entellus Cuv.). Dieser Affe hat schon in grauer Vorzeit die größten Heldenthaten vollbracht. Ja er ist in der indischen Göttersage sozusagen Perseus und Prometheus in einer Person, indem er eine Göttin aus der Gefangenschaft eines Riesen befreit und diese Gelegenheit benutzt hat, um nebenbei den Menschen zwar nicht das Feuer, aber die in Indien hochgeschätzte Mangofrucht mitzubringen. Den Scheiterhaufen, auf dem er seinen tollkühnen Wagemuth büßen sollte, löschte er aus, und davon hat er heute noch ein schwarzverbranntes Gesicht und schwarze Hände. Im übrigen ist er weißgrau gefärbt; an Stirn, Wangen und Kinn trägt er längere, starr abstehende Haare, aus deren Umrahmung das runde, schwarze Gesichtchen mit lebhaftem, eigenthümlich drolligem Ausdruck hervorsieht.

Der fromme Hindu, der auch heute noch kaum ein Thier tötet, thut natürlich seinem inbrünstig verehrten Affenheiligen am allerwenigsten etwas zu Leide, sondern giebt ihm willig die Früchte seiner Gärten und Felder preis; ja, er läßt sich sogar von ihm im buchstäblichsten Sinne die eben bereitete Mahlzeit vor dem Munde wegnehmen. Durch die gläubige Einfalt des Menschen, welcher sie schon seit undenklicher Zeit in freudiger Demuth ganz nach Belieben schalten und walten läßt, sind nämlich die Hulman in ihrer Heimath so unglaublich dreist und unverschämt geworden, daß sie nicht bloß in die Gärten, sondern auch in die Häuser eindringen und hier stehlen, plündern und zerstören nach Herzenslust. In manchen Gegenden Indiens werden sie so zu einer förmlichen Landplage, und die englischen Behörden müssen zeitweise, damit die Affenschande nicht zu toll wird, mit Massenvernichtungen gegen die geschwänzten Heiligen vorgehen zur Freude der abgeklärteren, vernünftigen Eingeborenen, aber natürlich zum Entsetzen der Frommen im Lande, die felsenfest überzeugt sind, daß der Ort, wo ein Affe fällt, für ewige Zeiten zur Unglücksstätte werde.

Neben Hulman und Weißbart mag hier noch eine weitere Schlankaffenart Erwähnung finden, weil sie durch eine auffallende Eigenthümlichkeit ausgezeichnet ist, die schon in ihrem Namen ausgesprochen liegt: ich meine den Nasenaffen. Durch kräftigeren, schwereren Körperbau nähert er sich mehr den Makaken, der hauptsächlichsten und zahlreichsten Affengruppe der indisch-chinesischen Region, die ja auch stets das Gros der Bevölkerung unserer Affenhäuser stellt.

Der Nasenaffe (Semnopithecus nasicus Cuv.) läßt in der äußeren Ausbildung seines Riechorgans nicht bloß alle Affen, sondern selbst die in dieser Beziehung am reichlichsten bedachten Menschen so weit hinter sich, daß er wegen dieses in der That ganz einzigen Merkmals neuerdings zu einer besonderen Gattung erhoben worden ist. Die „Gartenlaube“ hat übrigens früher (Jahrgang 1883, S. 240) schon eine Abbildung und Beschreibung von ihm gebracht, und ich kann mich deshalb hier um so kürzer fassen. So will ich denn nur noch einmal darauf hinweisen, daß der Nasenaffe auf der Insel Borneo lebt, und daß der absonderliche, längsgefurchte, hakenförmig bis über das Maul herab hängende und in der Mitte zollbreite Nasenschmuck, der wie ein Rüssel beweglich ist, nur dem alten Männchen zukommt, während bei Weibchen und Jungen an die Stelle des imponierenden Hakenriechers ein kleines, niedliches Stumpfnäschen tritt.

Schließlich will ich noch den Schopfschlankaffen (Semnopithecus comatus Desm.) nicht unerwähnt lassen, weil er durch die lange, reichliche Behaarung des ganzen, schwarzgrau gefärbten Körpers, auch der Unterseite und selbst der Außenflächen der Hände und Füße im äußeren Ansehen sich den Stummelaffen nähert. Auf dem Kopfe verlängert und erhebt sich das Haar noch ganz besonders zu einem langen, ziemlich starren Schopf oder besser gesagt Mähnenkamm, der sich bis auf den Hals fortsetzt. Als Standorte werden Hinterindien (Siam) und die großen Sundainseln (Sumatra und Java) angegeben.

Indem wir uns nun zu unserem großen Bilde wenden, gehen wir von den indischen Schlankaffen zu den afrikanischen Stummelaffen über: es stellt den „Stern“ dieser Gruppe dar, den Guereza (Colobus guereza Rüpp.). Dieser Affe gehört auch zu den „berühmten“ Thieren, und zwar zu denen, die in allen Fachwerken weitläufig und begeistert geschildert und schlecht und phantastisch abgebildet werden, die infolge dessen jeder Besitzer einer Naturgeschichte dem Namen nach kennt, aber niemand lebend gesehen hat. Wir thun der Wahrheit wohl keine Gewalt an, wenn wir als die ersten Guerezas, die lebend weiteren Kreisen bekannt wurden, die drei Stück bezeichnen, die im August 1890 in einer Droschke vor unserem Dienstgebäude im Berliner Zoologischen Garten vorfuhren. Sie haben auch zu der Zeichnung Kuhnerts Modell gesessen. Ein Grieche hatte sie von Massanah bis nach Berlin gebracht, aber nur der uneigennützigen Vermittlung von Menges, dem vielgereisten Thierhändler und bekannten Führer der Somali-Schaustellungen, ist es zu danken, daß wir schließlich handelseinig wurden. Ich zahlte doch noch ein ganz erkleckliches Sümmchen, und es hat mich nicht gereut. Denn wenn auch heute keines der Thiere mehr am Leben ist, so hatte ich doch die Gelehrten, Künstler und Tierfreunde mit einem der merkwürdigsten und schönsten Affen bekannt gemacht und Gelegenheit gegeben, die ersten richtigen Abbildungen nach dem Leben anzufertigen. Einer genaueren Beschreibung der Farbenzeichnung des Guerezas überhebt mich das Bild; ich will deshalb nur erwähnen, daß die Art und Weise, wie das Weiß gewissermaßen als Einfassung und Besatz der schwarzen Grundfarbe auftritt, etwas wechselt und danach wahrscheinlich verschiedene geographische Varietäten des weit nach Innerafrika hinein verbreiteten Thieres unterschieden werden können. Hans Meyer, der beharrliche Bezwinger des afrikanischen Bergriesen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_126.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)