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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Die Schlank- und Stummelaffen.

Eine naturgeschichtliche Studie.
Von Dr. L. Heck.
Direktor des Zoologischen Gartens in Berlin.
Mit Originalzeichungen von W. Kuhnert.

Ich glaube, es kann jemand schon ein ausgesprochener Thierfreund und eifriger Besucher zoologischer Gärten sein, und er wird vielleicht doch nicht gleich wissen, mit welchen Affengestalten seiner Erinnerung er unsere Ueberschrift in Beziehung bringen soll; wer gar, von den Koryphäen Schimpanse und Orang-Utang abgesehen als Affen nur die Hanswurste und Raufbolde im Gedächtniß hat, die in dem großen Gesellschaftskäfig des Affenhauses ihr komisches Wesen treiben, dem werden die obigen Namen wahrscheinlich ganz neu sein. Sind ihre Träger doch selten genug in unseren zoologischen Gärten vertreten! Und wer schließlich in einem abgelegenen Einzelkäfig des Affenhauses auf eine in die Ecke gedrückte oder zwei aneinandergeschmiegte, schlanke, schmächtige Affengestalten mit langer Behaarung oder wenigstens eigenthümlichem Haarputz und Bartschmuck stößt, die ihn stilltraurig oder unruhig ängstlich anstarren, der wird sie kopfschüttelnd einige Augenblicke mustern, ohne recht zu wissen, was er daraus machen soll – wenn er sie nicht ganz übersieht. Es sind Angehörige der Gruppe, die ich hier näher schildern will: weniger in gewissen bekannten Formen ausgeprägte und noch weniger durch lustiges oder freches Wesen sich vor- und aufdrängende Erscheinungen, viel zurückhaltender, vornehmer als das gewöhnliche Affenvolk! Alter Affenadel, möchte man sagen, und man hätte in mehr als einer Beziehung recht.

Zunächst in des Wortes eigentlichster Bedeutung, weil wir in den Schlank- und Stummelaffen allem Anschein nach ein uraltes Affengeschlecht vor uns haben. Für die indischen Schlankaffen ist dies thatsächlich nachgewiesen: unzweifelhafte Vertreter dieser Gattung (Semnopithecus) lebten schon in der der unseren vorangehenden großen Erdperiode, dem Tertiär.

Aber auch die Form des Schädels verleiht den Schlank- und Stummelaffen ein vornehmeres Gepräge. Er ist rundlich, der Schnauzentheil tritt gegen den Hirntheil nur wenig vor, und die Knochenkämme und -leisten, die insbesondere dem Schädel des alten Affenmännchens gewöhnlich etwas geradezu Raubthierartiges geben, sind kaum angedeutet. Dementsprechend ist auch das Gebiß verhältnißmäßig nur schwach ausgebildet, und zwar bei den Schlankaffen noch schwächer als bei den Stummelaffen. Das ganze Skelett beider Gruppen zeichnet sich überhaupt durch Schlankheit und Leichtigkeit der Formen aus, wovon ja die Schlankaffen ihren Namen haben. Derjenige der afrikanischen Stummelaffen knüpft an eine Besonderheit ihres Knochenbaues an, insofern bei ihnen der Daumen der Vorderhand äußerlich gar nicht oder nur als Stummel sichtbar ist; und obwohl auch bei den Schlankaffen schon der Vorderdaumen merklich in der Entwicklung hinter den anderen Fingern der Hand zurückbleibt, so hat man die vollständige Verkümmerung doch für wichtig genug gehalten, um neuerdings Schlank- und Stummelaffen von einander zu trennen. Dagegen finde ich nur in wenigen Beschreibungen und nur beiläufig eine Eigenthümlichkeit des Skelettes der Schlankaffen erwähnt, die mir bei Affen als Kletterthieren doppelt auffallend erscheint und in der That auch, bei den Affen der alten Welt wenigstens, sonst nicht wieder vorkommt. Die Schlankaffen haben nämlich merklich längere und stärkere Hinter- als Vorderbeine, die Entwicklung der Hinterglieder überwiegt entschieden die der vorderen, und das bringt natürlich auch charakteristische Abweichungen in der Haltung und Bewegung der Thiere mit sich, wie ich an meinen Pfleglingen täglich beobachten konnte. Die Schlankaffen laufen viel halb aufrecht auf den eingeknickten Hinterbeinen und machen aus dieser Stellung heraus ohne weiteres große Sprünge. Dabei haben sie trotz großer Gewandtheit etwas Hastig-Eckiges in ihrem Wesen, halten und bewegen sich überhaupt so durchaus eigenthümlich, daß jeder, der sie eingehender an lebenden Beispielen studiert hat, auf den ersten Blick imstande ist, zu unterscheiden,

ob eine Abbildung nach dem Leben gefertigt ist, oder

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_124.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)