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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


sehr schöne Balldamen von Hedys verständnißvoller Hand darauf gezeichnet waren. Es schien aus einem gewöhnlichen Schulheft herausgerissen zu sein, denn oben stand: „Aufgabe: Worin stimmen Afrika und Südamerika überein und in welchen Stücken sind sie verschieden?“ Und der Papa, dem sie das Blatt zeigte, er kannte die Schrift. Nachdenklich sah er lange darauf hin. „Klug ausgedacht – und doch nicht klug genug!“ murmelte er. Freilich, die Mahnung war ja nur eine ganz zarte – konnte es nicht denkbar sein, daß Vilma sich schon länger im stillen für ihn interessierte? Die männliche Eitelkeit machte einen langen Halt vor diesem Gedanken ... Aber wenn auch, der Schritt blieb unweiblich, widerstrebte seinem Gefühl. Und es kam noch etwas dazu. Gestern, als er auf seinem gewohnten Spaziergang aus nicht näher ersichtlichen Gründen zum Schlittschuhteich im Stadtpark gekommen war, hatte er, gedeckt durch einen großen Baum, Vilma doch mit dem jungen Amerikaner laufen sehen und dabei dasselbe berückende Lächeln, denselben vielsagenden Augenaufschlag, dieselbe Lebhaftigkeit der Rede bemerkt, die sie sonst ihm gegenüber entfaltete. Das hatte ihm zu denken gegeben auf dem Heimweg, den er auffallend schnell wieder antrat, und die Folge seiner Betrachtungen war, daß er dem Balle fern blieb ...

Dort ging mittlerweile das Vergnügen seinen bekannten Gang; das Souper war vorüber, der bedeutsame Tischwalzer wurde von den Töchtern hingebungsvoll getanzt, von den Müttern mit Argusaugen beobachtet, in den Nebenzimmern blieben nur kleine Tischgesellschaften zurück, welchen ein behagliches Gespräch zum Nachtisch mehr Genuß gewährte als die Drehbewegung draußen im vollen Saale.

„Dafür sind die Mütter da,“ sagte der Medizinalrath Hoffmann wohlwollend. „Geh’ nur, Malchen, und unterhalte Dich gut drinnen, ich bleibe hier noch ein wenig sitzen!“

Die Gattin, eine von den schüchternen Frauen, die immer wie vom Gewicht ihrer Häuslichkeit erdrückt scheinen, legte dem blonden blassen Töchterlein, das hier zum ersten Male in die Welt trat, die Hülle um, und beide steuerten mit verlegenen Mienen der Saalthür zu. Vor ihnen rauschte Vilma hinaus, umgeben von fünf sehr jungen Kavalieren. Francis trug das Bukett, er hatte sich beim Souper alle Rechte des ersten Verehrers zurückerobert und wich nicht mehr von ihrer Seite. Frau von Düring in einem Kleide von abgeblaßter lila Seide, einen altersgelben Hermelinkragen auf den runden Schultern kam hinterdrein. Sie warf im Abgehen einen Siegesblick nach dem Tische, wo Walters, Hoffmann, Doktor Seiler und eine Schriftstellerin seiner Bekanntschaft, Fräulein Alwine Neube, saßen.

„Wenn’s nur bald einmal etwas nützt,“ sagte Hoffmann halblaut zu Emmy. „Sie bezieht den Markt nun schon seit einer hübschen Reihe von Jahren.“

„Das ist nicht übel,“ lachte diese, „Sie als Ballvater so sprechen zu hören!“

„Ach so – Sie meinen wegen der Kleinen? Na, das hat gute Wege, die blüht einstweilen im Verborgenen hier. Sie hatte gewaltige Angst, herzukommen, ich rieth ihr, ruhig wegzubleiben, allein das bringen sie doch alle nicht fertig.“

„Einige immerhin! Vilmas eigene Schwester würde keinen Fuß hierher setzen.“

„Die freilich nicht. Aber das ist doch auch ein ganz überspanntes Geschöpf, kein normales Mädchen. Sie will ja im vollen Ernste Medizin studieren!“

„Und was, wenn ich fragen darf, erscheint Ihnen hieran so verächtlich?“ rief jetzt die Schriftstellerin und erhob kampfesmuthig das Haupt. Es war mit braunen Haaren bedeckt, die im Rücken zu einem Kinderzöpfchen vereinigt und mit einer rothen Schleife geschmückt waren. Vorn aber fielen sie in dichten langen Strähnen bis zu den Augenbrauen herab und verhinderten so jede indiskrete Nachforschung über die faltenlose Glätte der Stirn. Die lange Nase, der große Mund und die hervorquellenden Augen allerdings standen in einem gewissen Gegensatz zu der kindlichen Haartracht, ihr Gesammtausdruck ließ auf ein hochgradiges Selbstbewußtsein und verschiedentliche Lebenserfahrungen schließen. Alwine Neube hatte wenig Freunde, das heißt, sie hatte immer neue, und einer von diesen war Doktor Seiler, der heute die Ehre genoß, sie auf diesen Ball zu begleiten. Sie hielt darauf, noch junges Mädchen zu sein, wenn sie auch eine weibliche Begleitung als überflüssig erachtete.

Der Medizinalrath ließ einen kühlen Blick über ihre die Forderungen der Mode mit dem Ideal nicht ganz glücklich vereinigende Toilette gleiten und erwiderte trocken:

„Verächtlich finde ich das Frauenstudium nicht, nur sehr überflüssig, schon deswegen, weil es gänzlich aussichtslos ist.“

Fräulein Neube war nicht die Person, sich bei Abfertigungen von oben herunter zu beruhigen.

„Und warum ist es das?“ rief sie mit blitzenden Augen, „warum ist in Deutschland allein aussichtslos, was in der ganzen Welt, in England, Amerika, Frankreich, Italien, in Skandinavien und der Schweiz, ja sogar in Rußland bereits besteht? Sind die deutschen Frauen dümmer oder die deutschen Männer brutaler als die anderer Völker? Eins davon muß nothwendig der Fall sein!“

„Vielleicht beides!“ sagte Hoffmann philosophisch.

„Nein,“ erwiderte Walter, gegen das Fräulein gewendet, „keins von beiden. Die deutschen Männer wollen der Frau die Stelle erhalten, welche ihr Natur und Weiblichkeit anweisen, die Stelle am häuslichen Herde.“

„Die Natur!“ lachte sie auf. „Das Wort hat für mich, so angewandt, einen wahrhaft belustigenden Klang. Wissen Sie, warum die Naturvölker keine Frauenfrage haben? Weil sie ihre überschüssigen weiblichen Neugeborenen einfach umbringen. Eine wahre Barmherzigkeit gegen unsere deutsche Sitte, sie erst hygieinisch groß zu ziehen, um ihnen dann zu sagen: ‚So, nun sorgt für euch selbst! Ihr seid um eine Million in der Mehrzahl, zweiundvierzig Prozent von euch werden nicht geheirathet, also ernährt euch, nur beileibe nicht durch das, wozu ihr Lust und Begabung habt oder was viel Geld einträgt; das dürfen nur wir Männer thun. Trockenes Brot sollt ihr verdienen, Austern und Champagner aber behalten wir uns vor!‘“

Schön, dachte der Medizinalrath, da kann man ja auch offen reden! „Mit vollem Recht geschieht das,“ sagte er laut. „So lange noch die männliche Leistung der weiblichen in allen geistigen und den meisten körperlichen Dingen überlegen ist, so lange dürfen die Männer einen höheren Lohn für sich beandpruchen.“

„So sprechen die Unterdrücker! Erst knechtet man die Frauen durch Tausende von Jahren, dann wirft man ihnen vor, daß sie es nicht weiter gebracht haben. Wie sollen sie denn vorwärts kommen bei der baren Unmöglichkeit, ihre Fähigkeiten auszubilden und zu verwerthen? Sehen Sie doch die anderen, vom Vorurtheil der Jahrhunderte gedrückten Klassen an, die Juden, die Leibeigenen, die Neger! Ist nicht überall der Emanzipation unmittelbar ein ungeheurer Fortschritt gefolgt?“

„Die Frauen sind keine ‚Klasse‘,“ sagte Walter kopfschüttelnd, „sie standen von alters her auf derselben Stufe mit ihren Vätern und Männern. Hätte die Natur ihnen zwingende geistige Fähigkeiten verliehen, so wäre es für sie viel leichter gewesen, damit durchzudringen, als es heute für einen begabten Arbeiter oder Bauernjungen ist. Und doch setzt es dieser durch und kommt oben auf.“

„Sie vergessen“ fiel Fräulein Neube hastig ein, „daß in der Renaissancezeit, wo man die Frauen in Griechisch und Lateinisch unterrichtete, sofort eine Reihe davon als Gelehrte glänzte.“

„Und ihre Töchter sind ihnen nicht nachgefolgt, sind freiwillig wieder zum gewohnten Frauenleben zurückgekehrt, statt die kostbare Errungenschaft festzuhalten und weiterzubilden. Das spricht doch deutlich genug! Nein, die Natur will die Frau nicht im männlichen Berufe. Hervorragendes in Wissenschaft und Kunst leisten sie nicht, obwohl Tausende von ihnen die Mittel zur Ausbildung besitzen.“

„Und George Sand!“ fuhr das Fräulein auf. „Und Rosa Bonheur, George Eliot, die italienischen Naturforscherinnen, die tüchtigen Schriftstellerinnen unseres eigenen Volkes –“

„Ausnahmen, welche die Regel bestätigen,“ versetzte Hoffmann unerschütterlich. „Nennen Sie mir einmal die Dichterin eines großen gewaltigen Dramas, die Komponistin einer klassischen Oper, die Malerin eines bedeutenden Geschichtsbildes oder die Verfasserin eines bahnbrechenden wissenschaftlichen Werkes – püh, da hat es gleich Luft, meine Verehrte!“

„Sie verlangen sehr ungerechter Weise die Früchte des Studiums, um das wir erst kämpfen müssen. In hundert Jahren wird man Ihnen die Namen nennen!“

(Fortsetzung folgt.)


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