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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

überschwänglichen Glückes hatte, nur einer bewundernswürdigen Selbstbeherrschung den Frohsinn verdankte, der ihr Dasein verklärte. In der langen langen Zeit ihrer Witwenschaft hat sie der Sohn nur dreimal besucht! Und wie hat sich ihr Herz in all diesen Jahren nach ihrem herrlichen Wolf gesehnt, wie ist sie aufgegangen in ihm und eingegangen mit feinstem Verständniß in all sein Thun und Beginnen.

Aber auch diese Wehmuth der Einsamkeit vermochte sie mit ihrer tröstenden Philosophie in die Flucht zu schlagen: „Alle Freuden, die ich jetzt genießen will, muß ich bei Fremden, muß ich außer dem Hause suchen – denn da ist’s so still und öde, wie auf dem Kirchhof – sonst war’s freilich ganz umgekehrt. Doch da in der ganzen Natur nichts an seiner Stelle bleibt, sondern sich in ewigem Kreislauf herumdreht – wie könnte ich mich da zur Ausnahme machen – nein, so absurd denkt Frau Aja nicht. Wer wird sich grämen, daß nicht immer Vollmond ist, und daß die Sonne jetzt nicht so warm macht wie im Julius – nur das Gegenwärtige gut gebraucht und gar nicht dran gedacht, daß es anders sein könnte; so kommt man am besten durch die Welt – und das Durchkommen ist doch (alles wohl überlegt) die Hauptsache.“

Goethes bekannte „Lebensregel“

„Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,
Mußt dich ums Vergangne nicht bekümmern,
Das Wenigste muß dich verdrießen;
Mußt stets die Gegenwart genießen,
Besonders keinen Menschen hassen
Und die Zukunft Gott überlassen –“

hat nur in Verse gefaßt, was seine Mutter hier und immer aufs neue als ihres Lebens Regel verkündigt hat. Und so finden wir die Frohnatur der Mutter wieder und wieder zu ewigem Leben verdichtet in der frohen Kunst des Sohnes. Aber wäre diese Frau auch nicht die Mutter des großen Dichters gewesen, die Zeugnisse ihres Lebens würden trotzdem ihre bleibende Bedeutung haben. Andere haben sich „lachende Philosophen“ genannt, aber ihr Lachen war ein gezwungenes, vom Verstande erpreßt: Frau Aja wollte keine Philosophin sein, hat keine Bücher über die Kunst zu leben geschrieben und doch war sie voll echter Lebenskunst und Lebensweisheit, eine lachende Philosophin, deren Lachen von Herzen kam und darum auch herzhaft klang, das mit seiner ansteckenden Kraft berufen ist, noch in vielen Seelen widerzuklingen und gute Dinge auszurichten.

Dem reich ausgestatteten Heinemannschen Buche, an welchem nur zu bedauern bleibt, daß der schöne, sorgfältig gesammelte und geordnete Stoff in ihm keine abgerundetere Gestaltung gefunden hat, verdanken wir auch die Kenntniß des Familienbildes, das Rath Goethe im Jahre 1762 von seinem Freunde, dem Darmstädter Seekatz, hat malen lassen. Auch dieses Bild ist durch Bettina von Arnim der Nachwelt erhalten worden und hat erst neuerdings die Beglaubiguug seiner Echtheit erfahren, Bettinas Schwester, Meline von Guaita, erstand es nach dem Tode der Frau Rath für Bettina, aus deren Nachlaß es in den Besitz ihres Schwiegersohnes Herman Grimm überging. Erst seit kurzem besitzen wir Zeugnisse dafür, daß dies Bild wirklich die Familie des Kaiserlichen Rathes Johann Kaspar Goethe darstellt, was die arkadische Tracht und die nach Italien verweisende landschaftliche Staffage zweifelhaft gemacht hatten. Erstere aber entsprach dem Geschmack der Zeit und des Malers, letztere der Vorliebe für Italien, die der junge Goethe ja von seinem Vater geerbt hatte. Auf große Aehnlichkeit hat dies einzige auf uns gekommene Bild der jungen „Frau Rath“ wohl wenig Anspruch zu machen, aber in Haltung, Gebärde und Ausdruck finden wir doch lebensvoll jenen Geist ursprünglicher innerer Sicherheit und Empfindungskraft verkörpert, mit welchem Frau Aja in Glück und Unglück allezeit ihrer Frohnatur die Treue gehalten hat.


Die Astronomie auf der Straße.

Unsere Leser haben durch die in Halbheft 10 und Halbheft 24 des vorigen Jahrgangs gegebenen Anleitungen schon einigermaßen eine feste Stellung gewonnen inmitten der verwirrenden Massen von Sternen, die von dem nächtlich dunkeln Himmelsdome zu uns herniederstrahlen. Wir wollen versuchen, weiter in die Kenntniß dieser Wunderwelt einzudringen. Ein drittes Theilkärtchen möge diejenige Gegend des gestirnten Himmels herausheben, welche durch die Sternbilder des Großen Bären, des Großen Löwen, des Raben, der Jungfrau, des Bootes und der Krone gekennzeichnet ist. Denkt man sich die Linie, welche die beiden Sterne 1 und 2 des Großen Bären verbindet und welche früher zur Auffindung des Polarsterns diente, nach der dem letzteren entgegengesetzten Seite verlängert, so weist dieselbe nach der ungefähr in Trapezform angeordneten Sterngruppe des Großen Löwen, von welcher schon früher die Sterne Regulus und Denebola hervorgehoben wurden.

Verlängert man ferner den Bogen, der die Sterne 5, 6 und 7 an der Deichsel des Großen Wagens (dem Schwanz des Großen Bären) verbindet, etwa um das Doppelte, so stößt man auf Arktur im Sternbild des Bootes. Jeder, der zum ersten Male mit Hilfe von einfachen Orientierungslinien eine oberflächliche Kenntniß des Nachthimmels sich zu erwerben sucht, wird später zugeben, daß jener Bogen von der Deichsel des Großen Wagens aus das bequemste Mittel zur Auffindung des Arktur an die Hand giebt, und der Laie wird gut daran thun, diesem Stern gleich anfangs besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden, da er, als einer der glänzendsten Sterne des ganzen nördlichen Himmels, besonders in die Augen fällt. Arktur ist von röthlicher Farbe und mit starker Eigenbewegung begabt: er ist einer der Sterne, an denen zuerst Halley im Jahre 1719 die selbständige Bewegung der Fixsterne wahrnahm.

In seiner weiteren Fortsetzung leitet jener Bogen, der zu Arktur führte, nach der Spica (Kornähre) in der Jungfrau und weiterhin nach dem Sternbild des Raben, einer in Vierecksform stehenden Gruppe von vier ungefähr gleich hellen Sternen.

Unweit von Arktur, zwischen diesem und dem Löwen, erkennt man den „das Haar der Berenice“ genannten Sternnebel; schon mit bloßem Auge ist derselbe in eine Summe von vielen kleinen Sternen aufzulösen; Heis zählte deren siebzig, die aber alle unter vierter Größe sind; auch mehrere Doppelsterne befinden sich darunter. Der Name „Haar der Berenice“ stammt von Konon, einem Freund des Archimedes, der damit die Gemahlin des Ptolemäus Euergetes, Königs von Aegypten, verewigte.

Auf der andern Seite des Arktur befindet sich die treffend so genannte „Krone“ mit dem Hauptstern Gemma (Edelstein); die am deutlichsten sichtbaren Sterne der nördlichen Krone sind ziemlich genau in Form eines nach Norden offenen Halbkreises angeordnet; Heis, der wegen der Schärfe seiner Augen berühmt war, zählte in dem Sternbild ohne Fernrohr einunddreißig Sterne, alle von der dritten Größe und darunter; unter ihnen befinden sich mehrere regelmäßig veränderliche Sterne und Doppelsterne. In der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 1866 entdeckten Birmingham und Fergubar in der Krone einen neu aufflammenden Stern von mehr als zweiter Größe, fast so hell wie Gemma; aber schon in derselben Nacht nahm seine Größe rasch ab und nach neun Tagen war er bereits dem bloßen Auge unsichtbar geworden. Es zeigte sich nachträglich, daß er schon früher von Argelander als ein Stern neunter bis zehnter Größe verzeichnet worden war; gegenwärtig ist er noch mit dem Fernrohr zu beobachten und wird als der Stern T in der nördlichen Krone aufgeführt.

Wem die obige Angabe zur Auffindung des Sternbilds der Krone nicht genügt, der möge die Sterne 2 und 7 des Großen Bären in Gedanken durch eine Linie verbinden; diese geht in ihrer Verlängerung über 7 hinaus ungefähr durch die Krone.

Der erwähnte Arktur zeigt eine entschieden röthliche Färbung, weshalb er oft genug von unkundigen Laien mit dem Planeten Mars verwechselt wird. Wir benutzen diese Gelegenheit, über die Farben der Fixsterne überhaupt einige Bemerkungen anzufügen.

Die Zahl der Sterne, welche außer den weißen mehr oder weniger bestimmt in Farben wie blau, roth, gelb, grün erscheinen, ist nicht unbeträchtlich; allein an rothen einfachen Sternen werden gegenwärtig mehr als sechshundert gezählt. Manche scheinen regelmäßig sich wiederholenden Veränderungen ihrer Farbe unterworfen zu sein, wieder andere dauernden Aenderungen.

Die Alten erwähnen nur weiße und rothe Sterne; roth nennen sie z. B. Arktur, Aldebaran, Pollux, Alpha im Orion und merkwürdigerweise auch Sirius, der doch heutzutage unzweifelhaft glänzend weiß erscheint. Als Gewährsmann hierfür wird meist Ptolemäus angeführt, der von Sirius als einem Stern spricht, welcher „noch röther als Mars“ sei; Schjellerup behauptet, daß diese Angabe des Ptolemäus über die Farbe

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_115.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)