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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


sich so zu geben, wie sie sind, und in sich das zu entwickeln, was sie als echt und tüchtig empfinden, waren ihrer starken Seele fremd, die in frohem Aufblick zu dem Gotte, der sie geschaffen, auch nur so sich zeigen wollte, wie er sie geschaffen. Frau Aja selbst hat ihre Eigenart auf das „ungefälschte und starke Naturgefühl“ zurückgeführt, „das ihre Seele vor Rost und Fäulniß bewahrt“. „Doch da mir Gott die Gnade angethan, daß meine Seele von Jugend auf keine Schnürbrust angekriegt hat, sondern daß sie nach Herzenslust hat wachsen und gedeihen, ihre Aeste hat weit ausbreiten können und nicht wie die Bäume in den langweiligen Ziergärten zum Sonnenfächer ist verschnitten und verstümmelt worden; so fühle ich alles, was wahr, gut und brav ist, mehr als vielleicht tausend andere meines Geschlechts …“

Derselben einfach großen Auffassung von Gott, Natur und Menschenthum entsprang ihre Fähigkeit, die anderen Menschen zu nehmen wie sie sind und nach ihren guten Eigenschaften zu beurtheilen. „Ich habe die Menschen sehr lieb – und das fühlt alt und jung, gehe ohne Prätension durch diese Welt und das behagt alten Evassöhnen und -töchtern – bemoralisiere niemand – suche immer die gute Seite auszuspähen – überlasse die schlimme dem, der den Menschen schuf und der es am besten versteht, die scharfen Ecken abzuschleifen, und bei dieser Methode befinde ich mich wohl, glücklich und vergnügt.“

Diese ihre „Methode“ darf aber keineswegs verwechselt werden mit jener bequemen Moral, die voll satten Behagens die Hände im Schoße ruhen und den lieben Herrgott einen guten Mann sein läßt. Als unermüdliche, rüstig überall selbst zugreifende Hausfrau und Mutter hat sie bis ins hohe Alter jeden Tag ein reichlich Tagewerk verrichtet und darüber nie die Kunst verlernt, sich und ihren Lieben, so weit es möglich, „ein hübsches Leben zu zimmern“. Wohlzuthun und mitzutheilen – das war ihr höchster Genuß. „Ordnung und Ruhe,“ schrieb sie an Frau von Stein, „sind die Hauptzüge meines Charakters; daher thu’ ich alles gleich frisch von der Hand weg, das Unangenehmste immer zuerst, und verschlucke den Teufel (nach dem weisen Rath des Gevatters Wieland), ohne ihn erst lang zu begucken; liegt dann alles wieder in den Falten, ist alles Unebene wieder gleich, dann biete ich dem Trotz, der mich in gutem Humor übertreffen wollte.“

Daher ist alles Sorgen und Bangen um das Ungewisse ihr ebenso zuwider wie jedes Heuchlerthum; alle konventionelle Lüge ist ihr eitel „Schnickschnack“ und das ewige Geklage über die Schlechtigkeit der Welt bei so vielen Menschen, „die es ganz gut haben könnten“, ist ihr ein Greuel. „Mit Murren und Knurren bringt’s niemand um ein Haar weiter, und das Schicksal dreht seine Maschinen, ob wir lachen oder weinen,“ das ist so eine echte Frau Aja-Stelle, und der Spruch im „Götz“: „Freudigkeit ist die Mutter aller Tugenden“ ist ihr aus der Seele geschrieben. Darum beklagt sie die Menschen, die sich „das arme Bißchen von Leben so blutsauer machen, ohne daß das Schicksal im geringsten daran schuld ist.“

„In der Ungenügsamkeit, da steckt der ganze Fehler.“ Sie suchte umgekehrt dem Tag, der Stunde zu genügen und war darum befähigt, das Gute, das diese jeweils brachten, dankbar zu genießen. So zeigte sie sich jeder Widerwärtigkeit wie jeder frohen Ueberraschung in gleichem Grade gewachsen. Keine Ehre, womit sie das spätere Leben so reichlich bedachte, brachte sie in Verlegenheit; keine Heimsuchung – und das Schicksal ließ sie von jeder Art kosten – raubte ihrer Seele das Gleichgewicht. Die Herzensfrische, mit der sie an die Herzogin Anna Amalie von ihrem Leben und Treiben schreibt, gewinnt durch die Fassung in gestelzte Wendungen höfischer Höflichkeit nur an Wirkung: so grüßt uns die frische freie Waldesluft, wenn sie uns durch die verwitterten Bogen eines zopfigen Parkthors entgegenströmt. Frau Aja läßt der Fürstin keinen Zweifel, daß es nur der menschliche Werth ist, den sie an ihr verehrt. Als einmal die Herzogin die Vermuthung ausspricht, der Zusammenstrom vieler anderer Fürstlichkeiten in Frankfurt werde ihr kaum noch Interesse übrig lassen für Nachrichten vom Weimarer Hofe, antwortet sie: „Durchlauchtigste Fürstin! 0 Alle Kaiser, Könige, Churfürsten im ganzen Heiligen Römischen Reich können meinetwegen kommen und gehen, bleiben und nicht bleiben, wie’s die Majestäten und Hoheiten für gut finden, das kümmert Frau Aja nicht das geringste, macht ihr Herz nicht schwer – Essen, Trinken, Schlafen geht bei der guten Frau so ordentlich seinen Gang, als ob nichts vorgefallen wäre. Aber dann geht es aus einem ganz andern Ton, wenn so eine Freudenpost (aus Weimar) kommt; ja, da klopft’s Herz ein bißchen anders …“

Umgekehrt, wenn Einsamkeit, Krankheit, Sorge sie quälten, zeigte sie sich keineswegs bereit, vor dem Unglück die Waffen zu strecken. Da kam ihr die „Lust zu fabulieren“ zu Hilfe, die sie in ursprüglicher Kraft besaß; die malte ihr tausend Wege zum Besseren aus. „Doch Geduld, es hat sich in meinem Leben schon so manches Wunderbare zugetragen, das am Ende immer gut war, daß ich gewiß hoffe, man spielt jetzt am 4. Akt, der 5. ist nahe, es entwickelt sich und geht alles brav und gut.“

Es hat sich in neuerer Zeit die Fabel gebildet, Goethe habe es leicht gehabt, in Kunst und Leben voran zu kommen, da er ein reicher Frankfurter Patriziersohn gewesen sei, dem die Laufbahn geebnet war. Und auch seiner glücklichen Mutter wird nachgesagt, daß eine so vom Schicksal bevorzugte Frau keine besondere Kunst nöthig gehabt habe, um sich als Meisterin des Glücks zu bewähren. Das gerade Gegentheil ist aber der Fall. Ihre gesunde Frohnatur hat erst im läuternden Feuer des Unglücks ihre Geschmeidigkeit und Widerstandskraft gewonnen. Ihrer Ehe mit dem viel älteren, ernsten und strengen Rath Goethe fehlte von vornherein das Glück der echten vollen Liebe. Und welche Schmerzen hat sie auch als Mutter durchlebt! Sechs Kindern gab sie das Leben, drei Knaben und drei Mädchen; vier davon starben früh, aber doch nicht eher, als bis ihr herziges Dasein der Mutter ein Besitz geworden war, dessen Verlust sie aufs tiefste erschüttern mußte. Was dann die beiden überlebenden betrifft, Wolfgang und Kornelie, so hat ihr Erstgeborner, ihr „Hätschelhans“, der ihr später so stolzes Glück bereiten durfte, in seiner Kindheit und Studentenzeit ihr unendlich viel Sorgen gemacht, während die Tochter mit früh verdüsterter Seele ihrer Frohnatur den Widerhall versagte, nach dem sie so sehnlich verlangte.

Und in diesem Schicksal spiegelte sich der Zwiespalt, in dem sie sich mit dem Gatten überhaupt befand. „Kinder brauchen Liebe“, dieser schöne Spruch Lessings war Anfang und Ende ihrer Erziehungskunst; Zucht und Strenge war dagegen der leitende Gesichtspunkt des grämlichen Mannes, der mit aller Gewalt die Nutzanwendung eines verfehlten Lebens seinen Kindern zu gute kommen lassen wollte. Der Titularrath Goethe war keineswegs ein Patrizier, sondern eines reichen Handwerkers Sohn. Er hatte sich umsonst um ein städtisches Amt beworben; der kaiserliche Rathstitel war jetzt ein Schild, das nach außen hin ein Leben deckte, dessen reiche Kräfte sich in keinem Amt und Beruf ausleben konnten. Gelehrte Liebhabereien mußten ihm einen Ersatz bieten, und als die Kinder heranwuchsen, erhob er ihre Erziehung zum Beruf. Dabei entwickelte sich jener Gegensatz der Eltern zum ungesunden Extrem; wo der Vater durch Zwang vorgesetzte Ziele zu erreichen trachtete, wollte die Mutter nur dem freien Wachsthum der Natur fördernd und hütend nachhelfen. Er gehörte zu „jenen unfrohen Naturen, die den Genuß des Lebens als etwas Strafbares ansehen“, Frau Aja betrachtete den freudigen Genuß des Lebens als den menschenwürdigsten Gottesdienst. Nach welch pedantisch herzlosen Grundsätzen der alte Rath seinen Sohn erzog, erhellt zur Genüge aus dem einen Beispiel, daß dieser als Student in Leipzig auf Befehl des Vaters seiner Mutter nicht schreiben durfte. Diese Methode, aus der sich auch sein Geiz dem Sohn gegenüber erklärt, brach der Tochter Kornelie den jungen Lebensmuth in seiner ersten Entfaltung; sie wurde ein in sich gekehrtes, altkluges, freudloses Mädchen. Den feurigen Sohn machte sie zum Rebellen im Vaterhaus, und ohne die Mutter wäre es mehr als einmal zum völligen Bruch zwischen Vater und Sohn gekommen. Als „Götz“ und „Werther“ den Namen Goethe zu einem gefeierten machten, konnte der Sohn die Rechnungen für den Druck dieser Bücher nur mit heimlich geliehenem Gelde bezahlen, und der Vater jammerte, weil er seine Advokatenpraxis vernachlässigte. Was hatte Frau Aja in all den Zeiten zu vermitteln, auszugleichen, mit heiterem Wort und weicher Hand zu glätten und zu mildern! und dann kam das lange Siechthum des früh gealterten, vom Schlage gerührten Mannes!

Wie sehr die Verhältnisse im Goetheschen Vaterhause geeignet waren, den Lebensmuth auch einer starkherzigen Frau zu beugen, das wird uns nun erst recht klar, da wir in Heinemanns Buch alles im Zusammenhang dargestellt finden. Erst jetzt zeigt sich, in welch’ hohem Grade die fröhliche Lebensweisheit der Frau Aja erkämpft, einer Welt schmerzlicher Erfahrungen abgerungen war. Es zeigt sich ferner, daß sie ebenso in der späteren Zeit, in der sie in freier Selbständigkeit ihr Witwenleben gestalten konnte und

an den Triumphen und Dichterthaten ihres Sohnes eine Quelle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_114.jpg&oldid=- (Version vom 17.10.2019)