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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


das Zimmer verließ, um Toilette zu machen, schickte sich auch Bettina an, in ihr Zimmer zurückzukehren, die Stiefmutter aber rief übermüthig: „Du bleibst, bis ich wiederkomme. Noch ist das Eis nicht zwischen Euch gebrochen und ich will Euch versöhnt wissen. Bitte, sprecht Euch ohne Zeugen aus – Ihr habt zehn Minuten Zeit.“

Sorglos lachend verließ sie die beiden. Ihre Absicht, dem Grafen einen Beweis ihres Vertrauens zu geben, wurde von diesem nicht nach Gebühr gewürdigt, denn kaum verlor sich das Geräusch ihrer Schritte, so eilte Guido auf seine frühere Braut zu. „Bettina, Sie hassen, Sie verachten mich,“ flüsterte er erregt, „ich fühle es. Doch bei Gott, ich konnte nicht anders handeln, ich mußte mich der eisernen Nothwendigkeit beugen – mein Herz aber gehört Ihnen. Wir sind beide Opfer eines unerbittlichen Geschicks, das uns dennoch nicht ganz zermalmen kann, wenn wir klug handeln. Bleiben Sie bei uns, Bettina! Ist für mich die Gefahr des Ruins abgewendet, so findet sich vielleicht ein Ausweg. In jedem Falle hoffe ich Ihnen beweisen zu können, daß mir nichts in der Welt höher steht als Ihr Glück.“

Er hatte sie bei den letzten Worten mit einem heißen Blick angeschaut und wollte ihre Hand erfassen. Sie aber trat weit von ihm zurück, der blonde Kopf erhob sich stolz, und ihre Augen blitzten.

„Herr Graf,“ sagte sie schneidend, „wenn jemand in diesem Hause Mitleid verdient, so ist es Ihre Verlobte. Sie haben mich soeben einen Blick in Ihr Inneres thun lassen, der mich erschreckt. Noch weiß ich nicht, was ich in Zukunft beginnen soll, allein darüber wenigstens bin ich im Klaren – nie werde ich mit Ihnen unter einem Dache leben.“

„Bettina, Sie verkennen meine Absicht –“

Der Graf kam nicht dazu, sich zu vertheidigen, denn Rosita kehrte zurück und während sie ihren Handschuh zuknöpfte, fragte sie so obenhin: „Nun – habt Ihr Euch ausgesprochen?“

„Vollkommen,“ antwortete Bettina. „In drei Tagen verlasse ich Berlin.“

„O, also unversöhnlich? Wie schade, ich hätte Dich so gern bis zum Herbst in meiner Nähe gehabt; es giebt so mancherlei zu thun ... Indessen, ich achte Deine Gefühle, und nichts liegt mir ferner, als Deine Entschließungen beeinflussen zu wollen. Du bist ja selbständig und kannst Dein Leben ganz nach Deinem Gefallen gestalten. Aber etwas Freundschaft bewahre Deiner Mama wenigstens ...“

Sie reichte Bettina lächelnd die Hand und schmiegte sich dann mit einer halb stolzen halb zärtlichen Bewegung an den Grafen, der ihr den Arm geboten hatte und sie jetzt hinausführte. Bettina schaute den beiden in stummem Schmerze nach.

„Ob ich sie warne?“ fragte sie sich und schüttelte dann langsam den Kopf. „Sie würde mir nicht glauben, würde mich für eine eifersüchtige Närrin halten,“ murmelte sie. Tief aufathmend fügte sie nach einer Weile hinzu: „Welch’ einer Gefahr bin ich entronnen!“ – – –

Als Bettina am nächsten Tage ihren Turnunterricht gegeben hatte, wurde sie auf der Straße von der Mutter ihrer Lieblingsschülerin erwartet und zum Essen eingeladen. Sie hatte um so weniger Grund, die Freundlichkeit abzuweisen, als der Gatte der Dame ein Geschäftsfreund ihres Vaters gewesen war. So verbrachte sie denn einige Stunden im Kreise heiterer und liebenswürdiger Menschen, und als sie sich vom Tische erhob, sagte der Hausherr. „Wir haben für den Abend eine Loge im Theater genommen und bitten Sie recht sehr, uns Gesellschaft zu leisten. Halms ‚Sohn der Wildniß‘ wird gegeben, und wie ich höre, soll sehr gut gespielt werden. Sie haben zwar das Trauerkleid noch nicht abgelegt, allein die Pietät erleidet sicher keine Einbuße, wenn sie sich ein ernstes Schauspiel ansehen.“

Bettina ließ sich überreden. Sie kannte Halms romantische


Im Kreuzfeuer.
Nach dem Gemälde von Jaroslav Vesin.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_104.jpg&oldid=- (Version vom 25.2.2019)