Seite:Die Gartenlaube (1892) 096.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Fürstenworte als Fürstenspiegel.

Der griechische Geschichtschreiber Plutarch sagt irgendwo einmal, daß es für die Erkenntniß der Geschichte oft wichtiger sei, eine bezeichnende Aeußerung eines hervorragenden Mannes zu wissen, als in lange Beschreibungen von Kriegen und Schlachten sich zu vertiefen; denn aus einer einzigen Aeußerung lasse sich oft das ganze Wesen eines solchen Mannes abnehmen. Unter diesem Gesichtspunkt stellen wir im Nachfolgenden eine Anzahl von Worten bedeutender Herrscher zusammen; nicht bloß zur Nachahmung fordern sie auf, sie zeigen auch Abwege, auf die ein Fürst gerathen kann.

Die Reihe der römischen Kaiser eröffnet Augustus, dem das römische Volk die Herstellung des Friedens nach den Greueln der Bürgerkriege dankt: nicht ohne Grund hat es ihm den Namen eines Vaters des Vaterlandes aufgedrungen; die Lobsprüche der Dichter seiner Zeit waren insofern wohlverdient, als er einer der größten Reorganisatoren der Geschichte ist. Obwohl er das Heer in seiner Hand hatte, gründete er doch nicht, wie man gewöhnlich sagt, schlechthin die Monarchie; er theilte die Gewalt mit dem Senat, dem hohen Rath des Reiches, in welchem die Angehörigen der alten aristokratischen Geschlechter vertreten waren, und ließ sich in der Debatte widersprechen, ohne zu zürnen. Als einem gewissen Aemilius Aelianus vorgeworfen ward, er denke schlecht vom Kaiser, weigerte sich Augustus, eine Untersuchung anzuordnen: „Es ist genug, wenn man uns nicht thätlich schaden kann!“ Er hörte es mit an, daß ihm, wenn er wohl über die Hitze der Debatten im Senat sich verstimmt zeigte, gesagt wurde, es müsse den Senatoren frei stehen, sich über die öffentlichen Angelegenheiten unumwunden zu äußern. Der Sitte nach empfahl er seine Stiefsöhne und Enkel dem Volke bei den Wahlen zu den Ehrenämtern. „Wählt sie,“ sagte er dann, „wenn sie es verdienen"; niemals ließ er diesen Zusatz weg. Bei seinem Tode fragte er die sein Bett umstehenden Freunde, ob sie glaubten, daß er seine Lebensrolle gut durchgeführt habe; im Sterben wünschte er, ein gutes Zeugniß über sich zu erhalten, und die Geschichte hat es ihm nicht versagt, wenn wir auch wohl wissen, daß seine Persönlichkeit oft in entgegengesetztem Sinne aufgefaßt worden ist.

Eisschießen auf dem Kleinhesseloher See.
Zeichnung von P. F. Messerschmitt.

Wie oft ist sein Stiefsohn und Nachfolger Tiberius als ein Scheusal ohnegleichen abgeschildert worden, weil man über ihn nichts hörte als den Klatsch der Hauptstadt. Für Kammerdiener, sagte der Marschall Catinat und nach ihm Hegel, giebt es keine Helden. Aber die große Anklageakte, welche der Geschichtschreiber Tacitus über ihn zusammengestellt hat und welche mit der Wirkung eines in sich geschlossenen Kunstwerks die Seelen der Leser ergreift – sie enthält doch auch zahlreiche Dinge, welche ihre eigene Wirkung aufheben.

Als das jenseitige Spanien beim Senat um die Erlaubniß bat, dem Tiberius und seiner Mutter einen Tempel erbauen zu dürfen, da lehnte er es nach des Tacitus eigenem Bericht mit den schönen Worten ab! „Die Nachwelt wird meinem Andenken mehr als genug Ehre erweisen, wenn sie urtheilt, daß ich meiner Ahnen werth, für euer Wohl besorgt, standhaft in Gefahr und im Interesse des Gemeinwesens nicht furchtsam vor Feindseligkeiten gewesen sei. Das sollen meine Tempel in euren Herzen sein, das meine Bilder, und zwar solche, die dauern werden. Bilder aus Stein werden gleich Gräbern gemieden, wenn das Urtheil der Nachwelt umschlägt. Ich bitte die Götter, daß sie mir bis zum Schluß meines Lebens einen maßvollen Sinn erhalten, welcher weiß, was Menschen und Göttern recht ist; meine Mitbürger und die Bundesgenossen aber bitte ich, daß sie mir, wenn ich einst abgeschieden bin, ein gutes Gedenken bewahren.“ Ist es möglich, daß ein Fürst, vor dem alles zu kriechen bereit ist, schöner und würdiger die andern, zum Bewußtsein dessen erweckt, was ihm und was ihnen geziemt?

Als ihn einer mit dominus, Herr, anredete – worin lag, daß er seinen Willen den Bürgern wie seinen Sklaven auflegen könne – da verbat er es sich als eine ihm angethane Schmach. Schriften, welche ihn und die Seinen angriffen, ließ er ohne Anstand verbreitet werden; „denn in einem freien Staate müßten Zunge und Gesinnung frei sein.“ Gewiß, Tiberius hatte seine Schattenseiten, aber in den wichtigsten Fragen dachte er größer als mancher gepriesene Herrscher, welcher von der Menge weit über ihn erhoben wird. Je entschiedener er seine Stellung an der Spitze des Staates behauptete, desto mehr war er davon überzeugt, daß er diese Stellung täglich verdienen müsse; die Kritik, die er nicht verwarf, suchte er zu entwaffnen durch seine Thaten.

Von den mittelalterlichen deutschen Herrschern wollen wir vor allem einen herausgreifen, welcher vorbildlich ist für die besten unter ihnen, Karl den Großen. In dem Augenblick, wo der Stand der Gemeinfreien der mächtigen Ausbreitung des Lehnswesens zu erliegen, von den großen Grundherren abhängig zu werden begann, hat er den Grundsatz aufgestellt: „Jeder Grundherr muß seine Armen von seinen Lehen oder seiner eigenen Familie ernähren und darf nicht zugeben, daß sie anderswohin gehen und betteln.“ Er hat damit die Armen nicht bloß auf die Almosen verwiesen, sondern ihnen, wie der Kirchenhistoriker Albert Hauck sagt, ein Recht auf Hilfe gewährt – was das besagt, das weiß unser Geschlecht besser als irgend ein früheres.

Das Mittelalter ist die eigentlich kirchliche Periode der Menschheit gewesen, es mißt auch den Herrscher mit dem dadurch

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_096.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)