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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

nur noch unmittelbar zum Zweck des Reitens angelegt zu werden pflegen.

Es ist eine nicht ganz einfache Frage, warum denn dieses knappe Reitergewand gerade von dem empfindsamen Helden des Goetheschen Romans gewählt wurde. Sie wird aber alsbald geklärt, wenn man erfährt, daß diese Kleidung in Paris à l’anglaise genannt wurde. Und die Geschichte der Kleidungsart bestätigt dies: es beginnt mit diesem Anzug der vorwiegende Einfluß des bürgerlichen, freiheitlichen und empfindsamen Englands auf die Modenentwicklung.

Schon der Hut bekundet dies, er hat eine lange Geschichte: denn der Vater unseres Cylinders ist der starke Filzhut aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Damals diente seine schwere Krempe zur Sicherung gegen Schwerthiebe. Später wurde sie erst an einer, dann an zwei und drei Seiten aufgekrempt und als Dreispitz die Kopfbedeckung der Heere. Die Puritaner Englands und ihre Geistesverwandten in Holland, jene Leute, welche auf allen äußeren Tand verzichteten und in dunkeln Farben das ihnen allein anständige Kleid finden zu können glaubten, sie scheuten sich, die Krempen keck aufzubiegen, sie trugen auf den „Rundköpfen“, den kurz verschnittenen, perückenlosen Häuptern, den absichtlich häßlichen hohen Hut. Er ging von England nach Amerika über und wurde die Kopfbedeckung der Freiheitskämpfer der Vereinigten Staaten. Dadurch wurde er zu einem der Sturmzeichen der politischen Revolution in Frankreich wie der litterarischen in Deutschland. Nicht nur Werther, sondern auch Camille Desmoulins trug ihn.

Auch in anderer Beziehung war das Wertherkostüm das der jungen Geistesrichtung. Es war das des Reiters, des in freier Luft sich Bewegenden, also des naturliebenden, einfachen und natürlichen Menschen, während das andere Gewand, jenes mit Schuhen und Strümpfen, Galanteriedegen und offener, mit dem Jabot geschmückter Weste, das Kleid der Salons, der vornehmen Welt, der überfeinerten und entsittlichten französischen Gesellschaft war. Wie in der braunen Sammetjacke des Künstlers selbst etwas Genialisches nicht liegt, sondern nur in der Gewohnheit, dieses noch aus den Tagen der Befreiungskriege stammende Kleidungsstück für ein Zeichen der Loslösung vom allzu strengen Zwang der geselligen Sitte zu halten, so war das Wertherkostüm in seiner Knappheit und vermeintlichen Natürlichkeit das eigentliche Zeichen der Ideen Addisons, Swifts, Rousseaus und Montesquieus. Im Wertherkostüm ging man vom Klassizismus zur Naturschwärmerei, von Homer zu Ossian über, von der Ueberfeinerung und der in dieser lebenden Dürre zur Natur und zu hingebendem Gefühlsleben. Der einzelne Träger war sich dieser kulturgeschichtlichen That sicher nicht bewußt. Aber der Geist der Zeit wirkte trotzdem in der Kleidung wie in jedem Werke aus Menschenhand.

Die franzosische Revolution hatte die englische Sitte in ihrer Weise abgeändert, indem sie die Kniehosen zum englischen Frack hinzufügte. Sie schuf keinen neuen Kleidertypus, sondern nur eine schrullenhafte Verbindung und Verunstaltung der beiden alten. Das Kinn verschwand vollständig in einer hohen Binde aus feinem Batist, die bis an die Backenknochen reichte, die Weste und der Frack bedeckten kaum den Magen, während die Schöße endlos lang herab reichten, die Hose begann an der Brust und endete über dem Knie: es war die Zeit der „Merveilleux“ und „Incroyables“. Denn „Wunderbare“ oder „Unglaubliche“ nannte man die Stutzer jener Zeit, Leute, die ein für den Verständigen unmöglich scheinendes Gewand liebten. Sie ahmten das hochgeschnürte Gewand der Frauen nach, bei dem auch aller Schmuck auf Brust, Hals und Kopf vereinigt war. Der Welt blieb als dauerndes Angebinde dieser Modenausschweifung das Halstuch, jene hohe Binde, die sie erst in den siebziger Jahren für den Civilstand los wurde. Noch heute tragen sie in veränderter Form unser Heer und der preußische Geheimrath. Es scheint, als könne die Welt nicht vergessen, eine wie kitzlige Stelle des Körpers in der Zeit der Schreckensherrschaft der Hals war, und als müsse sich der vorsichtige Beamte heute noch durch Tücher vor den Unannehmlichkeiten des Fallbeils schützen.

Jenes Kostüm der Merveilleux und Incroyables war also der Widerpart gegen die Schreckenszeit, das Kleid ihrer republikanischen Ueberwinder. Es sollte nach den Tagen der Gleichheit das Recht der Eigenart darstellen. Die junge männliche Welt kehrte zu den hellen fröhlichen Farben zurück, welche sonst den Hof beherrscht hatten. „Man giebt,“ sagt ein Modeblatt jener Zeit, „nicht nur in den Gesinnungen und Grundsätzen, sondern sogar in den Pelzmützen dem Hellen den Vorzug vor dem Dunkeln.“

Die Halsbinde war aus geblümtem Musselin, die Weste aus weißem Kaschmir oder Manchester; der seidene Rock war in lila und grün „gegittert“ und hatte zwei Kragen, einen hochaufstehenden und einen umgeklappten, beide aus grünem Sammet; die Beinkleider waren aus rothem Kaschmir, „ungarisch“, sehr eng, die Stiefel à la Suwarow, also nach russischem Vorbild mit „bottes collantes“, das heißt engen, gelb gefirnißten Umschlägen und mit kleinen Sporen; ein „Busenstreif“ drang mit seinem Gefältel aus der bunt eingefaßten Weste hervor, aus deren Taschen mächtige „Parade-Petschafte“ niederhingen.

Dazu kam der Tituskopf, dessen Natur schon wieder zu völliger Unnatur geworden war: „Vor zehn Jahren,“ sagt ein Bericht von 1800, „hätte ein Mädchen einen Bräutigam mit einer Perücke ausgeschlagen, jetzt sind die Perückenköpfe wieder in Mode!“

Und zwar gehörte der Backenbart mit zu dieser Mode, die es liebte, das Kopfhaar blond, den Bart aber schwarz zu tragen. Die Haarbeutel, das Pudern kamen an den Höfen wieder auf, selbst Napoleon ordnete es für seine Hofbeamten an.


Damals erfand man auch den niedrigen steifen Hut, der jetzt so viel getragen wird. Das Modejournal, welches ihn zuerst darstellt, thut dies nicht, ohne ihn eine Karikatur zu nennen und ihn dem Gelächter preiszugeben. Ich sah mit stiller Wehmuth die hübschen Formen, welche dieser Hut anfangs erhielt, ehe er in die allerabscheulichste, die kugelrunde von heute, gepreßt wurde.

So trugen sich die „Elegants“ des beginnenden Jahrhunderts, indem sie scheinbar alle Thorheiten der alten Zeit auf die neue zu häufen bemüht waren. Aber schnell verging die Ausschweifung. Napoleon legte ihr selbst Zügel an, seit er Kaiser geworden war. Schon 1810 war der völlige Katzenjammer da, man erkannte, daß man „vor dem Götzen des Ungeschmackes die Kniee gebeugt habe“, und kehrte zur Natur, zum Wertherkostüm zurück, an dem nun allerlei kleine Wandlungen vorzunehmen die ganze Aufgabe der Mode wurde.

Als die wichtigste Frage erscheint die Gestaltung des Beinkleides. Man unterschied damals „Hosen“ und „Pantalons“, und zwar verstand man unter ersteren das, was wir heute „Kniehose“ nennen würden, unter „Pantalon“ ein die ganze Länge des Beines umfassendes Kleidungsstück. Im Mittethochdeutschen heißt die Kniehose „Bruoch“, während unter Hose ursprünglich und zum Beispiel in Westfalen heute noch das verstanden wird, was wir jetzt Strumpf nennen. Daher spricht man jetzt noch wie von einem Paar Strümpfen auch von einem Paar Hosen und verstand noch im 17. Jahrhundert unter dem Witzwort der „Partei mit den langen Hosen“ nicht etwa die Männer, sondern die Frauen. Die Hose war also ein schlauchförmiges Ding; als solches erscheint sie noch im Wort „Windhose“; daher ist ferner der „Hosier“ in England immer noch der Strumpfhändler. Dann erst wurde durch das „Hosenbändel“ Bruoch und Hose fester aneinander geknüpft und ging der letztere Name auf beide Theile über, ja blieb endlich auf der Kniehose, dem alten Bruoch, sitzen. Als um 1800 die Deutschen für ein Kleid von ganzer Beinlänge keinen Namen mehr wußten, begnügten sie sich mit dem aus dem Französischen angenommenen „Pantalon“. Dies wieder ist ein Spottwort, welches von Pantalone, dem Narren der italienischen Posse, abstammt, der lächerlich lange und weite schlauchartige Beinkleider trug. Von da wurde es auf das Beinkleid des 19. Jahrhunderts übertragen, welches seiner Form nach mit Fug und Recht Hose genannt werden kann.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_094.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)