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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


„Aber die Liebe, Fräulein Wiesner, die große Angelegenheit, in der sich doch jeder gern als Hauptfigur fühlt?“

„Gehen Sie mir mit der! Das ist auch so ein Gethue von den Romanschreibern. Hauptsache im Leben! Es giebt andere Hauptsachen darin, die wichtiger sind und länger vorhalten. In Wirklichkeit nimmt jede Grete den Hans, den sie gerade kriegen kann, oder tröstet sich ohne ihn, wenn nichts draus wird. Es ist nicht der Mühe werth, um eine so gewöhnliche Sache große Worte zu machen.“

„Wenn man Sie so reden hört, sollte man denken, daß Sie nie geliebt hätten.“

„Nie?“ versetzte die Malerin, indem sie die Augen halb zudrückte und mit zurückgebogenem Kopfe ihre Anlage prüfte, „das will ich nicht gerade sagen – aber eigentlich der Rede werth kann’s nicht gewesen sein, denn ich habe mich nie unglücklich dabei gefühlt, und das muß man doch, nicht wahr? Mir stand es von Anfang an fest, daß ich zum Malen auf der Welt sei, und so denke ich heute noch und fühle mich hier allein in meinem Atelier glücklicher als in der größten Gesellschaft, ja ich muß gestehen, daß mir diese immer langweiliger wird. Mit ein paar guten Freunden bin ich allezeit gern zusammen, doch mich in einen davon zu verlieben“ – sie lachte laut auf, „nein, das wäre mir nie eingefallen.“

Von hier aus war der bewußte Punkt zu erreichen! Vilma ließ langsam die Enden ihres Gürtelbandes zwischen den Fingern durchlaufen und fragte in gleichgültigem Tone.

„Kennen Sie den Maler Thormann?“

„Na und ob! Sein Atelier ist ja hier unter dem meinigen. Haben Sie das Thürschild beim Heraufkommen nicht bemerkt?“

Nein, Vilma hatte nicht darauf geachtet, sie kannte auch Thormann nicht persönlich, nur ein großes Marinebild von ihm hatte sie auf der Ausstellung gesehen, und es hatte ihr so unendlich gut gefallen! „Er ist wohl schon ein alter Herr?“ fragte sie.

„Warum nicht gar,“ widersprach die Malerin, „kaum vierzig! Allerdings, sein Haar ist schon ziemlich grau, er hat viel Schweres erlebt mit seiner armen Frau, die so lange leiden mußte, ehe sie starb. Er hat sie sehr geliebt und kann ihren Verlust noch nicht verwinden, deshalb geht er auch nicht in Gesellschaft und lebt ganz für sein Töchterchen, das ebenfalls von zarter Gesundheit ist. Er will im nächsten Frühjahr draußen am Stadtpark ein Haus im Grünen für sie bauen. Hier herauf zu mir kommt er öfters, ich kenne ihn von früher her, auch zu ein paar andern alten Freunden geht er, sonst aber zu niemand.“

„Wie alt ist das Kind?“

„Zehn Jahre.“

Das genügte vorderhand. Vilma versank in ein schweigendes Nachdenken und „saß^ dabei so ausgezeichnet, daß die Malerin in athemloser Hast die schwierige Partie um den Mund, wie es ihr schien, sehr glücklich hinsetzen konnte. Eine geraume Zeit war so den beiden unbemerkt vergangen, als es an die Thür klopfte und eine hohe Stimme rief:

„Fräulein Linchen, sind Sie drinnen?“

Die Malerin machte ein grimmiges Gesicht, und ihr „Herein!“ klang durchaus nicht einladend.

Unbekümmert darum hüpfte ein dünnes Figürchen mit breitkrempigem Federhut und knappanliegender Tuchjacke herein. Aus ihrem sehr blassen Gesicht forschte ein Paar wasserblauer Augen, und das spitze Näschen zwischen ihnen trug auf seinem Gipfel den Hauch von Röthe, welcher Wangen und Lippen fehlte. Aber ein dichter brauner Tituskopf, der unter dem hellgrauen Filzhut hervorblickte, wog in den Augen seiner Besitzerin diese kleinen Unvollkommenheiten genügend auf. Frida Gersdorff, eine Schulgenossin Vilmas, zählte sich entschieden zu den hübschen Mädchen und wußte dieser Ueberzeugung stets durch eine „patente“ Toilette Ausdruck zu verleihen. Ihr Vater, ein reicher Fabrikant, „hatte es“, und darin wenigstens fühlte sie sich Vilma entschieden überlegen.

Einen verhüllten Gegenstand in der Rechten, näherte sie sich jetzt von der Thür her den beiden.

„Tag, Fräulein Linchen! Der Tausend, Vilma, Du wirst gemalt ... dazu können Sie mich auch ’mal haben, wenn Sie wollen!“

Die also Angeredete räusperte sich stark. Es gab Leute, von denen sie das „Linchen“ nicht vertrug, und wenn diese Leute dann noch in ihre beste Arbeitszeit hereinfielen, so erregte das bei ihr eine innere Umwälzung, welcher leicht ein Ausbruch folgen konnte.

„Was wünschen Sie denn eigentlich, Frida?“ fragte sie, ohne das zuvorkommende Angebot einer Antwort zu würdigen. „Sie sehen, ich habe zu thun!“

„O, ich werde Sie nicht lange aufhalten. Ich wollte bloß fragen, ob Sie mir ein paar Lose für unseren Wohlthätigkeitsbazar abnehmen, hinkommen werden Sie ja doch nicht, da muß man sie Ihnen wohl nachtragen.“

„Lose für Ihren Bazar ‚künstlerischer Dilettantenarbeiten‘? Gut, ich will Ihnen drei Stück abnehmen, sollte ich damit etwas gewinnen, so können Sie es gleich dort behalten.“

„Es sind sehr hübsche Sachen da,“ versicherte Frida empfindlich, „kein Schund, wie Sie zu glauben scheinen.“

„Haben Sie mir gleich eine Probe davon mitgebracht?“ fragte die Malerin spottend und deutete auf das Packet.

„Nein“ – versetzte Frida zögernd mit einem Blick auf Vilma, „ich wollte Sie da um eine große Freundlichkeit bitten. Hier“ – sie wickelte das Papier auseinander – „mit dieser griechischen Tänzerin komme ich um keinen Preis zustande.“ Sie brachte eine große gemalte Glasvase hervor und hielt sie Linchen zur Betrachtung hin.

„Schauderhaft!“ sagte diese.

„Ja, die Stellung ist nicht ganz richtig, und da sollen Sie mir einen Rath geben!“ Sie wagte trotz ihrer Keckheit nicht, zu sagen: „Die Figur hineinmalen,“ wie sie eigentlich beabsichtigt hatte.

„Der einzige Rath, den ich Ihnen geben kann, ist der: waschen Sie das da mit Terpentin herunter, kleben Sie ein paar ausgeschnittene japanische Bilder hinter das Glas und streichen Sie dann – soweit wird Ihre Oeltechnik reichen – einen blauen oder grauen Grund darüber. Dann können Sie in Ihrem Bazar fünf Mark dafür verlangen, was Sie für diese Schmiererei hier entschieden nicht bekommen.“

„Ja, mein Gott, Sie dürfen doch daran nicht einen hohen künstlerischen Maßstab legen! Ich habe gar nie zeichnen gelernt, und dafür, das sagte sogar neulich der Maler Leichtherz, sind meine Sachen sehr talentvoll gemacht.“

„Sie sind köstlich, Sie und Ihr Leichtherz,“ lachte Fräulein Linchen grimmig auf. „Weil Sie nicht zeichnen gelernt haben, deshalb fühlen Sie sich gedrungen, zu malen, und machen Figuren von zehn Kopflängen, die auf keinem Bein stehen können und in der Mitte abbrechen. Sehen Sie, Fräulein Frida, Sie sind mir wirklich merkwürdig, denn Sie stellen das Prachtexemplar einer Dilettantin vor, jener Menschensorte, die ihren höchsten Ruhm darein setzt, nichts gelernt zu haben, aber trotzdem alles zu können –“

„Sie mißverstehen mich, Fräulein Linchen –“

„Während,“ fuhr diese unbeirrt fort, „die größten Genies mit der riesigsten Begabung jahrelang angestreugt arbeiten müssen, um ihres Stoffes Herr zu werden, erfliegt das der glückliche Dilettant im Handumdrehen. Ich will ihm sein Vergnügen nicht verderben, solange er thut, was das Wort besagt: dilettarsi, sich ergötzen an der großen Kunst, solange er mit Bescheidenheit die eigene kleine Kraft in ihren Bahnen übt. Allein das Großthun in Gesellschaft, wo heutzutage die Pfuscherei mit Selbstgefühl als Kunstwerk ausgegeben wird, das krankhafte Auszeichnungsbedürfniß ohne Hintergrund eines ordentlichen Studiums, die Talentlüge mit einem Wort, die wie falsches Geld durch alle Kreise geht – sie muß man rücksichtslos beim Namen nennen. Talent ist eine viel zu seltene und kostbare Gabe, um ‚zur Bildung‘ gehören zu können. Aber unbedingt gehört zur Bildung, die Kunstwerke, welche die wirklichen Meister geschaffen haben, zu kennen, sich liebevoll mit ihnen zu beschäftigen und aus der Tiefe seiner eigenen Kleinheit heraus mit Ehrfurcht die Großen zu bewundern. Wer das einmal so recht aus Herzensgrund gethan hat, dem vergeht es gründlich, ‚Ich auch!‘ zu sagen.“

„Wenn man aber doch freie Zeit hat und das entschiedene Bedürfniß fühlt, selbst etwas zu leisten?“ entgegnete Frida, durch diesen Platzregen von Grobheit sichtlich eingeschüchtert.

„Dann setzt man sich hin, mein Engelchen, und lernt einmal etwas. Gründlich und gewissenhaft von Anfang an – das Weitere findet sich dann bald. Die Kunst ist nur eine und der Weg dazu ist auch nur einer. Da – Sie können gleich hier anfangen! Versucheu Sie einmal, den Rinaldo dort ganz getreu abzuzeichnen!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_059.jpg&oldid=- (Version vom 26.2.2019)