Seite:Die Gartenlaube (1892) 054.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Ich lasse hier ganz die physikalischen Deduktionen über die Natur der Farbe selbst bei Seite. Wir wissen ja, daß diese nicht, wie man früher glaubte, eine den Körpern anhaftende Eigenschaft ist, sondern daß ein durchsichtiger Körper, wie z. B. das Wasser, deshalb eine bestimmte Farbe zeigt, weil er die so gefärbten Lichtstrahlen durchläßt, die andern aber nicht, und daß ein fester Körper die farbigen Strahlen, welche wir empfinden, zurückwirft, die andern aber gewissermaßen verschluckt. Für unsere Betrachtung ist diese Anschauung über das Wesen der Farbe nicht von sehr großer Bedeutung.

Blaues Wasser nimmt also eine andere Nuance an, wenn die auf dem Grunde liegenden Gegenstände hindurchschimmern, und dieser gemischte Farbenton wird von der Farbe des Bodens abhängen. Man kann sich davon leicht überzeugen durch die oben erwähnten einfachen Versuche mit blau gefärbtem Wasser in einem Cylinderglase. Weiße Körper, wie z. B. Porzellanstücke, erscheinen lichtblau, gelbe grün, rothe violett, und je tiefer sie sinken, desto mehr wird dieser Schimmer von der Bläue übertäubt und schließlich gänzlich verzehrt. Die rothen Farbentöne verschwinden vor allen anderen.

Ganz gewiß aber ist die Tiefe, aus welcher noch ein Schimmer der Bodenfarbe heraufdringt, keine geringe und kann unter günstigen Umständen auf mehrere hundert Meter angeschlagen werden. Indessen die Frage ist eine weitschichtige, und wir werden sie erst dann wieder ins Auge fassen können, wenn wir gerade die mehr oder minder günstigen Umstände, die ich oben erwähnte, einer genaueren Prüfung unterworfen haben werden.

Ich sagte schon: reines Wasser giebt es nicht in der Natur. Stets wird es aufgelöste oder aufgeschwemmte Stoffe enthalten, welche seine Farbe verändern.

Torfwasser enthalten gelbe, braune und schwärzliche organische Stoffe in Auflösung. Sie können vollkommen klar und durchsichtig sein; nichtsdestoweniger wird die Farbe, welche die Humussäuren und ähnliche Substanzen ihnen verleihen, stets einen bedeutenden Einfluß äußern und dies um so mehr, da ja auch der Boden der Torfseen eine dunkelbraune oder schwarze Farbe besitzt. Man hat auch behauptet, daß das filtrierte Wasser von blauen Seen beim Abdampfen einen weißen oder hellgrauen, dasjenige von grünen Seen bei gleicher Behandlung einen gelblichen Rückstand hinterlasse, daß also blaue Seen weiße Stoffe, grüne dagegen gelbe Stoffe in Auflösung enthalten, deren Farbe mit derjenigen des Wassers eine Mischfarbe erzeuge. Man hat namentlich aus diesem Umstande den Unterschied zwischen der Farbe des Genfersees und derjenigen des Bodensees erklären wollen; aber die Ergebnisse dieser Versuche sind lebhaft bestritten worden, so daß für manche Zweifel Raum bleibt.

Sei dem, wie ihm wolle, soviel ist sicher, daß alles in der Natur vorkommende Wasser niemals vollkommen klar und durchsichtig, sondern mehr oder minder trübe ist durch die darin aufgeschwemmten Stoffe. Daß diese Trübung mehr oder minder bedeutend sein, daß man also auf größere oder geringere Tiefen hinein Gegenstände unterscheiden kann, die in dem Wasser schwimmen wie z. B. Fische, oder die am Boden liegen, lehren sowohl die tägliche Erfahrung als Versuche, die man in der Weise angestellt hat, daß man bei Sonnenlicht oder trübem Himmel in verschiedenen Jahreszeiten entweder feste Körper, wie Porzellanscheiben oder selbst Lichtquellen, brennende Lampen und elektrische Glühlichter, in das Wasser versenkt und dabei die Tiefe aufgezeichnet hat, in welcher sie noch einen erkennbaren Schimmer wahrnehmen ließen. Man kann bedauern, daß diese wie andere auf das Eindringen des Lichtes bezüglichen Versuche nur in nicht ganz hellen Gewässern, wie in einigen Schweizerseen und im Mittelmeere, nicht aber an andern Orten angestellt worden sind. Wer jemals an den Küsten Norwegens gereist ist, wird erstaunt gewesen sein über die Durchsichtigkeit des Wassers in manchen Fjorden; man behauptet sogar, daß in einigen nordamerikanischen Seen der Blick bis auf mehrere hundert Meter Tiefe Gegenstände am Boden erkennen könne. Von solchen Tiefen kann weder im Genfersee noch im Mittelmeer die Rede sein. Im Winter ist das Wasser des Genfersees durchsichtiger als im Sommer; aber hier sowohl wie in den bis jetzt untersuchten Meeren mag die äußerste Grenze der Sichtbarkeit etwa in 45 bis höchstens 50 Metern Tiefe liegen. Beobachtungen im Taucherapparate haben gezeigt, daß man dort wie in einen blauen Nebel und in wagrechter Richtung nur auf 7 bis 8 Meter Entfernung sieht, bloß in Ausnahmefällen bis auf 20, höchstens 25 Meter Entfernung. Aber freilich kann der sehende Mensch mit dem Apparate nur bis in eine Tiefe von 30 Metern tauchen und immerhin, wenn er auch nicht deutlich sieht, ist er von diffusem Licht umflossen.

Das Licht von oben muß also tiefer eindringen. Man ist der Frage auf mittelbarem Wege näher gekommen, indem man sehr empfindliche photographische Platten in das Wasser senkte, die man in bestimmter Tiefe dem Lichte öffnete, oder indem man gewisse Substanzen einsenkte, die durch das Licht chemisch verändert und zersetzt werden, so daß das Maß dieser Zersetzung zugleich das Maß der Stärke des einwirkenden Lichtes gab. Die photographischen Versuche zeigten, daß eine Tiefe von 400 Metern in dem Mittelmeere im allgemeinen die Grenze sei, in welcher noch eine Schwärzung der Platte wahrgenommen werden konnte.

Also dringt das Licht bis in eine etwa zehnmal größere Tiefe ein, als unser Auge, und das ist ein wesentlicher Punkt – eine ganze Zone von 300 Metern Mächtigkeit empfängt noch Licht, sendet also auch Lichtstrahlen nach oben, die unser Auge zwar nicht unmittelbar empfindet, aller Wahrscheinlichkeit nach aber mittelbar durch die Mischung der Farbentöne wahrnimmt, welche sie erzeugen. Man weiß ja, daß in dieser Beziehung die Augen der einzelnen Menschen, auch abgesehen von der Blindheit derselben für einzelne Farben, wesentlich voneinander abweichen und daß unser so unvollkommenes Sehinstrument außerordentlich in Beziehung auf Auffassung der feineren Farbentöne geübt werden kann. Ich habe einmal in Begleitung von Malern die Fabrik der Gobelins in Paris besucht; die Arbeiter unterschieden zweifellos und mit Leichtigkeit Farbentöne, welche unsere, doch auch nicht ungeübten Augen für vollkommen identisch ansehen mußten. Es muß also, um darauf zurückzukommen, aus jener Tiefe noch Licht herauf an die Oberfläche strahlen, Licht von bläulicher Farbe, die freilich auf unser Auge einen weit geringeren Eindruck macht als die sogenannten warmen Farben, gelb und roth, welche von dem Wasser – namentlich die letztere – verschluckt werden.

Man glaubte bisher, daß in noch größeren Tiefen, bei tausend Metern und mehr, gänzliche Finsterniß herrsche, daß man also sämmtliche Farben des tiefen Wassers wie auf schwarzem Grunde sehe.

Allein infolge der neueren Tiefseeforschungen hat man diese Ansicht ebenso aufgeben müssen wie die früher herrschende, daß in großen Tiefen kein Thierleben bestehe. Die meisten in dunklen Grotten lebenden Thiere haben verkümmerte oder gar keine Augen; man findet aber auch an der Oberfläche der Erde lebende Thiere, die sich an dunklen Orten, in der Erde etc. verbergen, welche blind sind. Aehnlich verhält es sich in den großen Tiefen; es giebt dort blinde Krebsthiere, die wahrscheinlich im Schlamm und unter Steinen leben, jedoch die andern, beweglichen Thiere, die Fische, haben große, wohlgebildete Augen. Sie müssen also sehen, mit anderen Worten, es muß dort unten Licht vorhanden sein. Ob dieses Licht in dem Abgrunde selbst erzeugt wird, durch die phosphorescierenden Leuchtorgane, welche viele dieser Thiere, selbst Fische besitzen, ob es von oben hereindringt, wie vielleicht aus dem Umstande geschlossen werden konnte, daß manche dieser Tiefseethiere, welche ihre Organisation zwingt, auf dem Boden zu kriechen, gelbe und rothe Farben auf ihrem Rücken zeigen, ist für unsere Untersuchungen vollkommen gleichgültig; wir müssen nur zu dem nothwendigen Schlusse gelangen, daß wir die Farben des Wassers nicht auf dunklem, schwarzem, sondern auf einem, wenn auch schwach beleuchteten Grunde sehen. Diese Entscheidung ist auch um deswillen wichtig, weil dann die im Wasser aufgeschwemmten Theilchen nicht nur von oben, sondern auch von unten her beleuchtet sind.

Von der Wirkung der gröberen Aufschwemmungen an Sand und Schlamm kann man sich leicht durch die Beobachtung überzeugen, ebenso wie von der Thatsache, daß die Färbung der Wassermassen großenteils von der Farbe dieser gröberen Aufschwemmungen abhängt. Die vor meinem Fenster strömende Arve ist im Sommer graugelb, undurchsichtig, nach stärkeren Regengüssen noch stärker gelb gefärbt; im Winter dagegen ist sie grün, durchsichtiger und wird um so grüner und heller, je weniger Wasser sie führt: leicht erklärliche Verhältnisse, die einer meiner Schüler durch Beobachtungen, welche ein ganzes Jahr hindurch fortgesetzt wurden, näher begründet hat. Im Sommer führt die Arve mit dem Gletscherwasser aufgeschwemmte, zerriebene Gebirgsmasse von graugelblicher Farbe in großen Mengen; bei Regengüssen

gesellt sich dazu gelbe Schlammmasse, die aus den

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_054.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)