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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

auf den Thron gelangt sein. Erst Kronprinz Friedrich Wilhelm führte den Vollbart in das Heer ein.

Vorurtheile sind schwer zu überwinden. In der preußischen Armee ist der Widerwille gegen den Bart an der Unterlippe geblieben, während die Bauern ihn als „Reservatrecht“ noch tragen. Bei ihnen hat der romantische König Ludwig II. die Veranlassung gegeben. Mein liebenswürdiger Hauptmann fragte mich dagegen noch vor zehn Jahren, als ich bei einem Manöver in Sachsen neben ihm herging, ob mich meine „Fliege“ nicht beim Marschieren geniere. Ich that sehr unbefangen und antwortete. „Nicht im geringsten, Herr Hauptmann!“ Nach einiger Zeit erfuhr ich, daß er zu einem Kameraden gesagt habe. „Der Gurlitt ist ziemlich schwer von Begriffen. Ich habe ihm schon Andeutungen über seinen unsoldatischen Bart gemacht. Es wäre mir lieb, wenn Sie ihm gelegentlich sagen wollten, daß eine Fliege in unsere ganze Armeeverfassung einfach nicht hineinpaßt!“ und ich opferte für die Manöverzeit diesen Rest von Romantik und bürgerlicher Demokratie. Denn ich hatte schon vorher Bartkämpfe auszufechten gehabt! Um mich für meinen Beruf als Architekt vorzubereiten, hatte ich das Zimmerhandwerk erlernt. Damals machte mir nicht der Bart am Kinn, sondern der noch sehr bescheidene Anfang auf der Oberlippe viel Sorge. Der Zimmermannsbart war nämlich ausschließlich der breite Knebelbart, wie ihn jetzt die Amerikaner mit Vorliebe tragen. Meinen sonst streng verpönten Schnurrbart vertheidigte ich jedoch erfolgreich gegen den Hohn der zünftigen Gesellen mit Schnäpsen und Weißbier. Sein Dasein schien mir damals noch zu wichtig, um ihn einer absterbenden Geschmacksrichtung zu opfern.

Viel Einfluß auf die Barttracht hatten die „ritterlichen“ Nationen des Ostens; so in den dreißiger Jahren die nach Freiheit ringenden Griechen und Polen mit ihren mächtigen Schnauzern, in den vierziger Jahren die Ungarn mit ihren gewichsten Bärten. Da man in den letzteren ganz besonders ein „Reitervolk“ sah, so haben auch die Reiter sich des gewichsten Bartes angenommen; jetzt aber lassen unsere Husaren ihre Bärte wieder ungesteift im Sturmwind des Galopps flattern.

Das Ergebniß des neuen Kampfes um den Bart ist demnach wieder der Sieg der Freiheit. Keine Bartform ist verpönt, jede im Gebrauch. Die Bartlosigkeit ist auf die Schauspieler beschränkt. Die Kellner und Diener beginnen sich mehr und mehr von der alten Sitte zu befreien. Zwar machen sich für alle Gesellschaftskreise Schwankungen der Mode vielfach geltend, wie z. B. in letzter Zeit der in wagerechter Linie in der Höhe des Ohrzipfels abgeschnittene Backenbart mit dem kurzen, nach unten in eine Spitze verlaufenden Vollbart wechselte: doch fügen sich nicht alle dem Gesetz, sondern viele wehren sich noch gegen den gleichmachenden Zwang auch in der Erscheinung des Gesichtes. Wer im formsicheren Gesellschaftsmanne sein Ideal sieht, trägt den abgezirkelten Backenbart, während der Spitzbart, wie mir scheint, den diabolischen Herzensbrecher bezeichnen soll. Der Schnurrbart bedeutet, daß sein Träger ein thatkräftiger frischer Mensch, der Vollbart, daß er ein Mann kurzweg sei. Es wäre der Mühe werth, dem Gedankengang einzelner Bartträger nachzugehen und zu ergründen, welchen Eindruck sie durch ihre Haartracht auf die Welt machen wollen, durch das einzige Ding in ihrem Gesicht, das ihrem Umbildungstrieb überlassen ist.



Blätter und Blüthen.

Unschuldig verurtheilt! Ein gutes Beispiel ist gegeben, der österreichische Staat hat auf eine an das österreichische Abgeordnetenhaus gerichtete Eingabe hin dem wegen Diebstahl und Brandstiftung zu zwölf Jahren schweren Kerkers verurtheilten, nachher aber als unschuldig erkannten Pabst eine Entschädigung von 3000 Gulden gewährt. Unsere Leser kennen aus dem letzten unserer Artikel über unschuldig Verurtheilte in Halbheft 17 des vorigen Jahrganges die Geschichte dieses Mannes, wie ihn das Zeugniß eines Geistesgestörten vor Gericht und ins Zuchthaus brachte, aus dem ihn erst nach eindreiviertel Jahren eine glückliche Verkettung von Umständen wieder befreite.

Noch bedeutet die in diesem einen Falle zugestandene Entschädigung keine grundsätzliche Anerkennung der staatlichen Entschädigungspflicht, noch ist die ganze Frage nicht ein für allemal gesetzlich geordnet – aber ein Schritt vorwärts liegt doch in der Entscheidung der österreichischen Behörden, die wir darum mit Genugthuung hier verzeichnen.

Auch im deutschen Reichstag wird demnächst die Sache der unschuldig Verurtheilten wieder einmal auf der Tagesordnung stehen. Hoffen wir, daß dann die Wünsche des Volkes endlich in Erfüllung gehen oder ihr doch näher gebracht werden, daß die mächtige Bewegung zu Gunsten einer gerechten Forderung, welcher die „Gartenlaube“ seit Jahren mit allen Kräften dient und weiter dienen wird bis zur Erreichung des Zieles, die berufenen Vertreter der gesetzgebenden Gewalten mit fortreiße und sie zu einer günstigen Entscheidung führe, daß die ergreifende Sprache, welche die in den letzten Jahrgängen erzählten Schicksale reden, nicht ungehört verhalle.

Dom Pedro II. von Brasilien.

Dom Pedro. Während in dem brasilischen Staate die Wirren nicht zur Ruhe kommen wollen, welche durch die Revolution vom 15. November 1890 entfesselt worden sind, ist in Paris am 5. Dezember des vorigen Jahres der Herrscher aus dem Leben geschieden, welchen jene Revolution seines Thrones entsetzt hatte und welcher eben in letzter Zeit berufen schien, aufs neue in die Geschicke des von Parteikämpfen zerwühlten Landes verflochten zu werden - Dom Pedro II. von Alcantara. Ein vielbewegtes Leben ist damit zum Abschluß gekommen. Mehr als einmal hat der Verewigte während seiner langen Regierung gegen widerstrebende Elemente kämpfen müssen, und es mag ihm diese Nothwendigkeit schwer genug angekommen sein, da seine ganze Natur ihn nicht auf kriegerische Lorbeeren hinwies, sondern ihn vielmehr in der stillen Beschaulichkeit des Gelehrten sein Ideal erblicken ließ. Nicht einmal die edle That der Sklavenbefreiung hat ihm Dank gebracht.

Seine Liebe galt vor allem den Wissenschaften; mit ihnen füllte er die Muße seiner Verbannung – und sie haben ihn auch, ein sonderbares Zusammentreffen, das Leben gekostet, denn auf der Rückkehr von einer Sitzung der Akademie der Wissenschaften zu Paris hat er sich die Erkältung zugezogen, die dem lange kränkelnden Manne wenige Tage nach seinem 66. Geburtstage den Tod brachte. Mit einer großen Anzahl von geistig hervorragenden Zeitgenossen stand er in regem Verkehr, sie besuchte er gern auf seinen großen Reisen durch Europa, und manche hübsche Anekdote von der Bescheidenheit des Kaisers der Majestät des Geistes gegenüber wird erzählt, wobei die letztere sich nicht immer derselben Tugend befleißigte. Am bezeichnendsten in diesem Sinne ist die Widmung, welche der einst so hoch gefeierte französische Dichter Viktor Hugo in ein für den Kaiser bestimmtes Exemplar seiner „Kunst, Großvater zu sein“ schrieb. Sie lautete kurz. „An Dom Pedro von Alcantara. Viktor Hugo.“

Die Schlacht auf den katalaunischen Feldern. (Zu dem Bilde S. 4 und 5.) Seit dem Jahre 434 saß hinten im heutigen Ungarn, zwischen Donau und Theiß, in einem großen befestigten Lager Attila, der Sohn Mundzuks, als der Oberherrscher des gewaltigen Hunnenreiches und der ihm unterworfenen germanischen und slavischen Völker. Lange mochte der eroberungssüchtige Fürst nach einem Vorwand gespäht haben, die Reiche des Westens zu überfallen – als sich ihm endlich, etwa um das Jahr 450 eine Gelegenheit dazu bot.

Im Herbste sammelte er sein Heer. Donauaufwärts ging der Zug, dann von Regensburg an den Rhein, der im Frühling 451 überschritten ward. Am 6. April wurde Metz verbrannt, im Juni Orleans belagert.

Indessen hatte der römische Feldherr Aëtius, der Befehlshaber über den letzten Rest römischen Staatsgebiets in Gallien, ein nicht unbeträchtliches Heer aus Römern, Franken, Burgundern und Alanen zusammengebracht. Aber er konnte gegen Attila doch das Feld nicht halten, wenn er nicht von den mächtigen Westgoten Unterstützung erhielt, und diese zögerten merkwürdig lange. Erst als die Gefahr ganz nahe war, schlossen sie mit Aëtius ein Bündniß, ihr Heer trat aber nicht unter seinen Befehl, es blieb unter dem seines eigenen Königs Theoderich.

In der weiten Ebene der „katalaunischen Gefilde“ sammelte dann Attila seine gesammte Macht zur entscheidenden Schlacht. Lange wogte der Kampf unentschieden hin und her. Da fiel König Theoderich, und nun kannte die Wut der Westgothen keine Grenzen mehr. In vernichtendem Sturme warfen sie alles vor sich nieder, fast wäre es ihnen gelungen, Attila selbst niederzumachen, bis in die Nacht hinein tobte der Streit. Manche Abtheilung gerieth

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_034.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)