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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

sind uns das Zeichen künstlerisch poetischer Lebensbeschäftigung. Die Maler freilich, die Bildhauer und Architekten haben sie abgelegt – vielleicht infolge des bösen Naturalismus – die ernsten Musiker und Dichter nehmen Abschied von ihnen; es sind meist nur weiße Locken, die man in den Orchestern unserer Hofopern sieht. Den Locken der Schauspieler sind die Theaterintendanten gefährlich. Getragen werden sie noch von Dekorationsmalern,. Holzbildschnitzern und Klavier- und Geigenvirtuosen. Wie ein von der Gesellschaft zu oft gebrauchtes Wort nach und nach herunterkommt, wie z. B. Madame noch vor dreißig Jahren eine vornehme Frau bezeichnete, jetzt fast das Gegentheil, so sind auch die Locken Rückerts und Chamissos, Overbecks und Liszts, wenigstens an jungen Leuten, fast zur Karikatur geworden.

Theater Costüm 1811

Der Bart war um die Wende des Jahrhunderts vollkommen verpönt. Lange, lange Zeit hindurch hatte damals kein Mann, der auf gute Formen hielt, einen Bart an Kinn und Lippe getragen. Daß um 1710 der Bildhauer Permoser in Dresden einen Vollbart trug, hat ihn fast berühmter gemacht als seine ausgezeichneten Werke. Man zeigte ihn sich damals auf der Straße als Sehenswürdigkeit. Der erste Schnurrbart, den ich in einem Modejournal abgebildet fand, ist vom Jahre 1825. Das war ein großes Ereigniß für die „Kleinmeister“, wie man damals die deutschen Schwerenöther in Uebersetzung des französischen „petits maitres“ nannte. Zwar hatten sich viele schon vorher erlaubt, sich Haare unter der Nase wachsen zu lassen, – die Soldaten, auch der deutschen Armee, die Freigeister. Nicht umsonst trug Blücher einen mächtigen Schnauzer, Jahn einen wallenden Vollbart. Schon vorher, 1805, waren eine Zeit lang „Puzelbärte“ getragen worden, das heißt jene kurzen stoppeligen Ansätze zu einem Schnurrbart, wie sie schon Ludwig XIV. und seine Zeit liebten. Aber sie erschienen der Mitwelt und selbst den Modejournalen als lächerlich. Der Schnurrbart war den meisten unappetitlich, gerade gut genug für Leute ohne Form, die große Pfeifen rauchten und sich altdeutsch gebärdeten, für „Knasterbärte“. Aber schon machten die Frauen die Bemerkung, „der Kuß schmecke von stoppeligen Lippen süßer als von kahlem Munde“. Die Männerwelt in ihrer Mehrzahl war trotzdem unhöflich genug, hierauf keine Rücksicht zu nehmen.

Russe

Den „Puzelbärten“ waren die „Spreißbärte“ vorausgegangen, deren Zweck war, den Hals zu schützen und die feinen Halstücher vor Beschädigung zu behüten. Es waren jene Krausen, welche das Gesicht umrahmten, von denen aber die vornehme Welt fast nur den Backenbart beibehielt. Dieser ist dann auch in leichter Form, meist nur bis zur halben Backe reichend, fast durch das ganze Jahrhundert üblich geblieben. Sein Name, Favori, bekundet seine französische Herkunft. Die Engländer trugen ihn in den fünfziger und sechziger Jahren mit Vorliebe in längeren, nach unten gezogenen Spitzen. Heute wird man diese Bartform, die „Cotelettes“, in England nicht öfter als in Deutschland sehen. Sie ist die Mode der Oberkellner und Börsenleute – und der Engländer auf der Bühne. Man kann daraus sehen, daß seit etwa fünfzig Jahren die Schauspieler nicht die Natur, sondern nur ihre Vorgänger kopieren. Während man auf der Straße den Engländer alsbald erkennt, also der feine Beobachter ihn auch sehr gut so darzustellen vermag, wie er jetzt wirklich erscheint, hat die Bühne immer noch den Typus beibehalten, welchen Döring, Dawison und ihre Zeitgenossen schufen, trägt der Lord dort heute noch die „Cotelettes“, den karrierten Anzug, den Shawl und den grauen Cylinder.

Pole

Andererseits ist die Form der Bartkrausen die Lieblingsform der protestantischen Geistlichen geblieben und wurde von Konsistorien und Oberkonsistorien lange gegen die Neuerungssucht junger Theologen vertheidigt, die dem Schnauzbart oder Vollbart einen Platz auf der Kanzel erobern wollten und nun vielfach auch erobert haben. Welche von beiden Seiten hierbei das größere Recht vertrat, will ich nicht entscheiden. Die, welche am Alten hängen, sind sicher nicht zu verlachen. Aber wann wird das Alte würdig? Warum sollte gerade die Mode von 1820 bis 1840 zum Vorbilde gemacht werden? Lag es nicht näher, auf die Reformationszeit zurückzugreifen, in welcher jeder, auch jeder Geistliche, den Bart trug, von dem er glaubte, daß er zu ihm und seinem Amte am besten stimme?

Nur langsam vollzog sich die Einführung des Bartes in die Mode. Zwar sprach man schon im Jahre 1805 von „Moustaches à la Henri quatre“. Aber die Kriege ließen diese Bartform nicht aufkommen, der Kaiser Napoleon rasierte sich, und seine Generale thaten es der Mehrzahl nach auch. Es gilt zwar bei uns als kriegerisch, Bärte zu tragen, obgleich weder Alexander noch Julius Cäsar, weder Friedrich II. noch Napoleon I. noch Moltke dafür das Vorbild gaben. Nicht kriegerisch wollten die Herren der Mode aussehen, welche in den dreißiger Jahren endlich den Knebelbart einführten, sondern romantisch. Man war in Deutschland der merkwürdig irrigen Ansicht, die alten Deutschen, die Ritter hätten sich so getragen. Man ahmte wieder die Franzosen und deren keineswegs so alten König Heinrich IV. nach, dem erst um 1570 sein Bart gewachsen ist, also zu einer Zeit, in der es mit dem Ritterthum längst zu Ende war. Die Wiederaufnahme dieses Bartes war also ein Gegenstück zu der des Korsetts bei den Frauen, welches auch zu jener Zeit wieder in Gebrauch kam und zwar in der Absicht, die Glanzperiode des königlichen Frankreichs aufleben zu machen. Es bedeutet für unsere westlichen Nachbarn die Rückkehr zu den Erinnerungen ihres großen Aufschwunges, zum Royalismus, nicht zur Urzeit des gallischen Volkes oder zum Heldenthum des Ritters Bayard. Der bourbonische und orleanistische Hof rief diese alten Moden wieder ins Leben.

1825

Wer Theaterkostüme aus jener Zeit gesehen hat, wird mit einigem Staunen finden, wie man sich damals einen alten Ritter vorstellte. Er hatte ein Barett mit hoher Feder, enges Wamms mit engen Aermeln, Trikots und offene spitze Schuhe an. An den Schultern und Hüften unterbrachen die festanschließende Tracht kurze mächtige Puffen. Zu dieser Kleidung, an der außer gewissen Anlehnungen an die Zeit Heinrichs IV. fast nichts echt war, wurde regelmäßig der Knebelbart getragen: zwei kleine schwarze Schwänzchen auf der Oberlippe, eins an der Unterlippe! Später hat Napoleon III. diesen Bart in kräftigerer Ausbildung getragen und für die französische Armee zum eigentlich soldatischen gemacht.

Der Vollbart war dagegen einst ein Russenbart, denn an den Kosacken von 1813 und 1814 sah ihn Deutschland zuerst. Er machte der Welt, die sich vor den „Sauvages“ wie vor den Titusköpfen nicht mehr fürchtete, den Eindruck des Wilden, Erschreckenden. Diejenigen, welche diese Stimmung erwecken wollten, nahmen ihn daher auch an: er wurde zum Demokratenbart. Trotzdem ließ sich jeder brav bürgerliche Mensch bis in die vierziger Jahre rasieren, nur der Grobian oder Weltverbesserer lief als „Wilder“ herum. Die Armeen verboten geradezu den Vollbart. Kaiser Wilhelm I. und Franz Josef I. behielten die Favoris und den Schnurrbart bei – das ausrasierte Kinn war Vorschrift im preußischen und österreichischen Heere, an ihm unterschied man seiner Zeit den Konservativen vom Demokraten, mochte

dieser nun auf der Straße demonstrieren oder schon wie Napoleon III.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_033.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)