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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


„Vielleicht ginge es über meine Kraft, sein Gesicht dabei zu sehen. Aber wo steht es geschrieben, daß wir gerade den Geheimrath wieder einladen müssen?“

„Nun, da hast Du es ja – dann sinken wir eben aus der gesellschaftlichen Höhe um eine Stufe herunter. Nein, das geht nicht, man kann sich nicht ausschließen. Wir leben eben einmal in dem, was unsere Welt ausmacht, und müssen einigermaßen an der Oberfläche bleiben – schon um der Kinder willen! Man sollte sich eigentlich, so lange sie klein sind, vorsätzlich mit lauter reichen Leuten befreunden, damit diese und ihre Kinder dann später den Erwachsenen wirksame Hilfe zum Fortkommen bieten können …“

„Hugo!“ Sie blitzte ihn voll Entrüstung an, worauf er ihr lachend die Hand hinstreckte. „Das ist Dein Glück, daß Du lachst, ich ließe mich wahrhaftig gleich von Dir scheiden, wenn das Dein Ernst wäre! Pfui, auch nur in Gedanken die Freundschaft so zu entheiligen!“

„Sie kann ja dennoch aufrichtig sein; mit reichen Leuten ist sie eben so gut möglich wie mit armen!“

„Aber oft nur unter schwierigen Umständen, denn Reiche brauchen zu häufig Schmeichler statt Freunde. Nein, davon sei mir nur ganz still, Du Spekulant, dessen sämmtliche Freundschaften keine Viertelmillion werth sind! Wir wollen unsere Kinder zu tüchtigen Menschen erziehen, die sich selbst ihr Fortkommen schaffen, statt nach reichen Freunden auszulugen, die ihnen doch nicht helfen können, wenn sie untüchtig sind.“

„Das hat man eben auch nicht so in der Hand, wie Du meinst. Die Erziehung allein macht keine guten Köpfe, da kommen zuerst die Anlagen in Frage. Sieh unseren Fritz an! Dachten wir nicht, das müsse ein genialer Junge werden? Und was ist er jetzt? Ein mittelmäßiger Kopf, der viel schlechter lernt als ich im gleichen Alter.“

„Dein Lernen wurde von einem sorgsamen Vater überwacht, der ganz seiner Familie lebte,“ sagte Emmy mit dem Gefühl eines Menschen, welcher, ein brennendes Streichholz in der Hand, sich dem Pulverfaß nähert.

Kühne Schlittenfahrt.
Zeichnung von P. F. Messerschmitt.


„Was soll das heißen?“ fuhr Hugo auf, und sein Gesicht röthete sich. „Willst Du mir etwa damit sagen, daß ich ein pflichtvergessener Vater sei? Werden mir auch die paar Abendstunden Erholung nicht mehr gegönnt, die ich dringend brauche, wenn ich den ganzen Tag für meine Familie schaffe und arbeite?“

„Ach, Hugo, sei nicht gleich böse,“ flehte sie, „Du weißt, daß ich Dir alles gönne, was zu Deiner Erholung dient. Aber andererseits habe ich das sichere Gefühl, daß Du Dich um Fritz mehr annehmen müßtest, ich kann ja doch seine lateinischen Aufgaben nicht mehr nachsehen wie früher die deutschen Hefte. Er wird jetzt so zerstreut und nachlässig; wenn er ein paar Abende in der Woche drüben in Deinem Zimmer unter Deinen Augen arbeiten müßte, so würde er sich wohl anders zusammennehmen. Und dann –“ fügte sie zögernd hinzu. „fällt das abendliche Ausgehen ins Gasthaus doch auch unter die Reihe der entbehrlichen Ausgaben, von der wir vorhin sprachen.“

„Weiberlogik und kein Ende,“ brach nun Hugo erbittert los. „Weil der faule Schlingel nicht arbeitet, soll der Papa hübsch zu Hause bleiben und es ihm eintrichtern. Das wäre der richtige Weg, ihn vollends denkunfähig zu machen. Nichts da, den wollen wir auf andere Weise kurieren – Fritz!“ rief er hastig und öffnete die Thür nach dem Speisezimmer.

Fritz kannte offenbar diesen Ton. „Ja, Papa!“ erwiderte er, eilfertig hereinschießend.

„Sind Deine sämmtlichen Aufgaben für morgen gemacht? Ich sage säm-m-t-lich-e!“ Fritz schwieg betreten. „Nun?“ erklang es nochmals drohend, und Fritz stammelte. „Nur noch – die Mathematik –“

„So, und da sitzt Du und liest, als wenn alles in schönster Ordnung wäre – Du bist doch ein ganz pflichtvergessener Kamerad! Aber ich sage Dir: wenn bis Ostern nicht Deine sämmtlichen Noten gut sind – Du weißt, wie schlecht sie im Herbst waren – dann sollst Du mich kennenlernen! Denke daran, jeden Augenblick von jetzt an, und richte Dich danach! Und jetzt geh’ augenblicklich und hole die Aufgabe, Du bekommst nichts zum Nachtessen, bis sie fertig ist.“

Fritz, der nicht einsah, wieso dieses Unwetter ihm aus tiefem Frieden heraus plötzlich um die Ohren sausen konnte, zog sich einigermaßen verdonnert zurück. „Heut ist der Papa bös“, war seine Nutzanwendung gegen die erstaunt horchenden Geschwister, dann holte er seinen Schulranzen und begann zu arbeiten.

Drinnen im Salon sagte mittlerweile der Rath zu seiner Frau:

„Was ferner Deinen andern Vorwurf der Geldverschwendung betrifft –“

„Ach laß doch, Hugo,“ besänftigte sie, „das war ja nicht so gemeint.“

„Ich will es hoffen,“ sprach er majestätisch, „denn er wäre geradezu thöricht. So weit sind wir denn doch noch nicht, um mit den paar Groschen rechnen zu müssen, die ich allenfalls für mich gebrauche. Man kann das Sparen auch zu weit treiben, liebes Kind, und geräth dadurch in eine kleinliche Knickerei, zu welcher ihr Frauen hauptsächlich Anlage habt. Ich stimme jeder vernünftigen Ersparniß im großen zu, aber erlasse mir soviel als möglich von den Kleinigkeiten! Wenn ich in mein Haus heimkomme, will ich ein friedliches Behagen finden, nicht neue Verdrießlichkeiten nach den bereits ausgestandenen. Du verstehst das ja fertig zu kriegen, Emmy, bist ja klüger und praktischer als andere.“

Sie schwieg eine Zeit lang. „Ich will Dir einen Vorschlag machen,“ sagte sie dann, „der uns aller kleinlichen Ersparnisse überhebt; ich hielt nur bis jetzt damit zurück, weil er natürlich auch seine Schattenseite hat. Hier –“ sie holte einen Brief aus der Tasche und entfaltete ihn – „fragt meine Freundin Marie an, ob wir nicht geneigt seien, einen jungen Amerikaner, der hier studieren soll, bei uns aufzunehmen. Die Pension würde sehr reichlich bemessen sein, die Ansprüche des jungen Mannes dagegen nicht das übersteigen, was unser Haus bieten kann. Die Eltern legen den Hauptwerth darauf, daß er deutsches Familienleben kennenlernt.“

Hugo sprang auf und ging im Zimmer umher.

„Einen Fremden hier in unserer Häuslichkeit! Einen Amerikaner mit einer von der unseren völlig verschiedenen Bildung!“

„Hierin irrst Du. Er ist der Sohn einer Freundin von Marie, einer Deutschen, die in Boston an einen der ersten Professoren verheirathet ist. Dieser steht auch mit Deutschland in vielfacher Verbindung und stimmt dem sehnlichen Wunsche seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_024.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)