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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Ich habe sie als Kind gekannt und glaube nicht, daß ihr damaliger Charakter sich unter der Erziehung dieser Mutter sehr verändert hat.“

„Die Alte gebe ich Dir preis, die ist, unter uns gesagt, auch mir äußerst zuwider mit den steten Lobpreisungen ihrer Töchter und der offenkundigen Männerjagd. Die Mädchen leiden auch sehr darunter …“

„Paula – ja, das glaube ich, weil ihrer wahrhaftigen Natur die vielen Lügen ein Greuel sind. Gott weiß, wie das Mädchen in die Familie kommt! Vilma aber und Hedy, der vielversprechende Backfisch, finden es nur unklug von der Mama und haben deshalb manchmal Bescheidenheitsanfälle. Nun, ich will Dir Deine Begeisterung nicht stören, hübsch ist sie ja, die blonde Vilma, das muß ihr der Neid lassen, und für Euch Künstler genügt das.“

Linchen wollte eben lebhaft erwidern, als draußen die Glocke gezogen wurde und der Schritt des Hausherrn im Vorplatz erklang. Sie erhob sich zum Gehen.

„Bleibst Du nicht noch ein wenig?“ fragte Emmy. „Es erheitert Hugo immer so sehr, mit Dir zu plaudern.“

Doch Linchen entschuldigte sich mit dringender Arbeit. Frauen erheitern, die armen Opfer männlicher Tyrannei, o ja, das that sie gern, aber Männer, denen es ohnehin schon viel zu gut in dieser Welt ging – nein, die sollten sich nur selbst aufheitern, dafür opferte sie keine Viertelstunde ihrer kostbaren Zeit. Und so enteilte sie nach ein paar rasch gewechselten Begrüßungsworten gegen den Herrn Rath und war schon oben in ihrer bescheidenen Wohnung angelangt, als dieser im Hausrock zu seiner Frau ins Zimmer trat.


2.

Der Landgerichtsrath machte für seine zweiundvierzig Jahre immernoch einen jngendlichen Eindruck. Zwar schimmerte hier und da durch seine dichten dunkeln Kraushaare ein silbernes Fädchen, aber die braunen Augen blickten lebhaft, manchmal sogar mit einer durchdringenden Schärfe, und seine Bewegungen waren rasch und leicht. Das freundliche Lächeln freilich, welches in jugendlichen Jahren so charakteristisch für sein hübsches Gesicht war, schien jetzt seltener geworden zu sein, dagegen vertiefte sich um den Mund ein gewisser Verdrießlichkeitszug, wie er sorgenvollen Hausvätern zukommt und würdig ansteht. Emmy pflegte jetzt nach diesem Zuge zuerst zu spähen, wenn Walter das Zimmer betrat.

Und heute war er unleugbar vorhanden. Ihr Gatte wandelte nach kurzer Begrüßung schweigend im Zimmer auf und ab wie ein Mann, der einen Theil des Weltlaufs als persönliche Beleidigung empfindet. Emmy häkelte fleißig an einer bunten Decke, sie erwartete in solchem Fall gerne sein erstes Wort.

„Schmidt ist vortragender Rath geworden,“ brach Hugo endlich das Schweigen.

„Ach!“ fuhr Emmy auf, „wie ist das möglich? Schmidt ist ja jünger als Du!“

„Und was thut das? Deswegen kann ihn der Herr Minister doch begünstigen.“

„Wie ungerecht! Schmidt ist doch gar kein besonderer Kopf!“

„Aber ein ausgezeichneter Streber, mein Kind, einer von denen, die es weit bringen, weil sie es verstehen, sich bemerklich zu machen. So muß man sein, das ist die richtige Sorte für die große Carriere!“

„Nun, laß gut sein, Hugo!“ tröstete Emmy, die rasch aufgesprungen war, seinen Arm ergriff und jetzt mit ihm den Spaziergang durchs Zimmer fortsetzte. „Du kannst noch nicht von Zurücksetzung sprechen, bist ja noch jung für Deinen Posten.“

„Ja, wenn mein Ehrgeiz nicht weiter geht, als im Kollegium grau zu werden wie so viele andere, dann habe ich mich allerdings nicht zu beklagen. Ich hatte Besseres gehofft, freilich vergebens, wie ich jetzt sehe …“

„Es wäre eine Auszeichnung gewesen,“ stimmte kleinlaut Emmy bei, „und ich hätte sie Dir sehr gegönnt, lieber Mann. Doch, was thut’s,“ fuhr sie wieder muthig werdend fort, „wir sind auch so glücklich und vergnügt. Etwas mehr Geld freilich könnte nichts schaden –“

„Gewiß,“ bestätigte Hugo sarkastisch, „drüben auf meinem Schreibtisch liegt ein Pack Rechnungen, der diesen Satz glänzend belegt.“

„Es waren lauter nothwendige Anschaffungen für die Kinder, Hugo!“ sagte sie mit leisem Vorwurf.

„Weiß ich, liebes Weib“ – er zog sie an sich und drückte ihren Kopf gegen seine Brust. „Ich weiß auch, daß Du alles so gut eintheilst als möglich. Aber steigende Bedürfnisse und gleichbleibende Einnahmen, das reimt sich schlecht. Wir werden einmal nach einheitlichem Grundsatz ans Sparen denken müssen, mit den einzelnen Anläufen ist es nicht gethan.“

„Gerne, Hugo,“ erwiderte Emmy, „wir wollen uns gleich daran machen, ich hole meine Bücher, wir haben gerade noch eine Stunde Zeit bis zum Abendessen.“

„Nun, das eilt ja nicht so,“ meinte er etwas unlustig, doch Emmy, froh, die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen zu können, enteilte und kam bald mit Haushaltungsbuch und Tintenfaß wieder. Dann saßen sie rechnend und vergleichend eine Zeitlang über das Buch gebeugt, das, nach Rubriken geordnet, eine leichte Uebersicht gestattete.

„Und das wäre also wirklich alles, woran wir sparen könnten?“ nahm endlich Hugo kopfschüttelnd das Wort. „Eine billigere Wohnung in schlechtem Stadtviertel, eine geringer bezahlte Magd, die nicht kochen kann und Abbrechen am täglichen Tisch? Das letztere besonders scheint mir ganz falsch, denn die Kinder sind im Wachsen und brauchen eher mehr als weniger. Was wollen auch schließlich die paar hundert Mark sagen, die dabei herauskommen!“

„Nun, zu verachten sind sie nicht, aber allerdings – die Ersparniß ist nicht groß.“

Eine Pause entstand. Hugo ging wieder mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Endlich sagte er, stehen bleibend:

„Ist es nicht sonderbar? Wir haben mehr als so viele, die auch durchs Leben kommen müssen, wir haben dazu den guten Willen, uns einzuschränken, und bringen es trotzdem zu keinem nennenswerthen Erfolg.“

„Ich habe auch schon die Tage her viel darüber nachgedacht,“ entgegnete Emmy, „und weißt Du, worauf ich gekommen bin?“

„Nun?“

„Wirksam sparen könnten wir nur, wenn wir uns entschließen würden, unser ganzes Verhältniß um einen Grad herunter zu setzen, alle unsere Gewohnheiten und Ansprüche. Wenn jedes einzelne billiger beschafft und auf manches völlig verzichtet wird, dann muß zuletzt im ganzen etwas herauskommen. Aber wir müßten dann freilich auch den Muth finden, dies unsern Bekannten einzugestehen.“

„Warum nicht gar,“ brauste Hugo auf, „uns selbst um die gesellschaftliche Stellung bringen, die heutzutage alles ist!“

„Ist sie denn wirklich etwas so Großes, daß man solche Opfer für sie drangeben muß?“ fragte Emmy nachdenklich. „Oder meinen wir am Ende nur, es müßte so sein? Sieh, Hugo, wir leben eigentlich immer im Hinblick auf andere. Ich thu’ es ja auch, ich weiß es, und die Aenderung wird mir schwer genug fallen, aber ich muß sagen, die viele Heuchelei, die in unserm Leben ist, fängt an, mich zu drücken. Wir sind im Grunde ganz kleine Leute, und doch wollten wir lieber hungern als einen uneleganten Anstrich haben – das ist eine fürchterliche Schwachheit. Wir schrauben uns immer höher und höher, der ‚Welt‘ zuliebe, und diese Welt besteht genau genommen aus einer handvoll Menschen, die ebenfalls recht froh wären, wenn sie eingestehen dürften, daß es ihnen gerade so geht wie uns. Und alle wissen das voneinander, aber niemand findet den Muth, zu sagen: von heute an giebt es, wenn meine Freunde zu mir kommen, einen Braten ohne Vor- und Nachspeisen oder einen einfachen kalten Aufschnitt zum Salat, wie ihn jeder an seinem eigenen Tisch vergnügt und zufrieden ißt, bei seinen Freunden jedoch durchaus nicht essen darf! Wir, Du und ich, stehen jetzt geradezu vor der Wahl, entweder auf Geselligkeit, wie sie in dieser Stadt üblich ist, zu verzichten, weil sie zu kostspielig wird, oder unsere Bewirthung so einzurichten, daß sie unsern Verhältnissen entspricht.“

„Ich möchte Dein Gesicht sehen, Emmy, wenn Du den Geheimrath Hoffmann zu Schinken und Butterbrot eingeladen hättest!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_023.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)