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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


neben mir her. Wo die Menschen sich unter engen Lebensformen zusammendrängen, wird der Daseinskampf mit Erbitterung geführt, und erbarmungslos schreiten die Sieger über die Gefallenen hinweg. Rousseau hat recht: mit der Civilisation ist auch das Elend in die Welt gekommen. Nicht in der Häufung und Verfeinerung der Genüsse, sondern in der Einfachheit beruht das Glück der Menschheit. Wohl dem, der zur Natur zurückkehren kann! Die fernen Inseln des Weltmeeres waren mein Paradies. … Doch das ist vorbei – wir müssen vorwärts, Bettina!“ – Der Konsul drückte die Tochter mit Innigkeit an seine Brust, sah ihr tief in die Augen und sagte mit bebender Stimme: „Was immer die Zukunft bringen möge, mein Kind, sei stets meiner Liebe eingedenk! Möglich, daß die Wogen über mir zusammenschlagen … Ich habe mein Bestes gethan, um Dein und Deiner Schwester Glück zu sichern.“

„Wie wunderlich Du sprichst, Papa!“ Bettina erwiderte zärtlich den Kuß des Vaters und fuhr heiter fort: „Meinst Du, ich wisse das Glück, einen guten lieben Papa zu besitzen, nicht zu schätzen? Dies Glück soll noch erhöht werden durch meine Verlobung mit einem so ritterlichen Manne wie Graf Guido ist. Was will ich mehr? Mir schwindelt fast bei dem Gedanken an all das Neue, Schöne, Unerwartete, das mir bevorsteht! Und auch der Abend Deines Lebens soll golden und friedlich werden, Papa. Was könnte ihn wohl verfinstern? Geh, Du bist überarbeitet – erhole Dich! Komm in den Saal, unter lustige Menschen, dort müssen Deine traurigen Gedanken wie Nachtschatten vor dem Licht zerrinnen.“



3.

Sobald der Hausherr mit Bettina an seiner Seite im Speisesaal erschien, grüßten ihn die engeren Bekannten der Familie durch freundlichen Zuruf. Aber ihm selbst wollte keine frohere Stimmung kommen. Die überhitzte Luft des menschengefüllten Saales legte sich bedrückend auf seine Brust, die Schwüle erschien ihm unerträglich. Und sein Unbehagen steigerte sich noch, als er seine Frau in ausgelassener Laune an einem besonderen Tisch präsidieren sah, an dem sich die Darsteller des Festspiels noch in ihren Kostümen niedergelassen hatten.

Sie kann lachen – in dieser Stunde, sagte er sich bitter, während ich aufschreien möchte vor Angst und Sorge. Und wieder trat mit voller Deutlichkeit die Gefahr seiner Lage vor sein Bewußtsein. Ihm war zu Muthe, als stehe er schwindelnd und haltlos an einem furchtbaren Abgrund, und während seine Gäste sich den Genüssen der Tafel hingaben, starrte er wie geistesabwesend auf den leeren Teller und schlürfte nur von Zeit zu Zeit ein Glas feurigen Rheinweins.

Als Frau Rosita den tiefen grüblerischen Ernst in den Mienen ihres Gatten bemerkte, nahm sie an, er lege sich den Toast auf die Verlobten zurecht. Der Konsul war ein gewandter Redner, machte jedoch nur in seltenen Fällen von seiner Begabung Gebrauch, und seine Scheu vor jedem öffentlichen Auftreten mußte immer erst durchbrochen werden, bevor seine Gedankenquelle in Fluß kam. Frau Rosita beschloß, ihm zu Hilfe zu kommen. Sie ließ ihr Glas hell erklingen, und als es still geworden war im weiten Saale, erhob sie sich lächelnd und sagte: „Mein Gatte hat seinen lieben Gästen eine Mittheilung zu machen, von der ich hoffe, daß sie die frohe Theilnahme unserer Freunde finden wird.“

Mit einer neckischen Handbewegung lenkte sie die Blicke aller Anwesenden auf den Hausherrn. Dieser fuhr erschreckt aus seinen Träumereien auf, und als er alle die forschenden Blicke gewahrte, färbte sich sein Gesicht dunkelroth vor Verlegenheit. Wie ein aufsprühender Funkenschauer wirbelten die Gedanken durch sein Gehirn. Mühsam erhob er sich vom Stuhle. Doch über die wirren Stimmen, die sein Inneres durchtönten, wurde eine übermächtig, die rief: es gilt das Glück Deines Kindes!

Und er ergriff eine volle Sektschale, die ihm sein Nachbar Horst in die Hand drückte, erhob sie mit einer unsicheren Bewegung und wollte sprechen. Aber die Gedanken verwirrten sich, es wurde mit einem Male dunkel vor seinen Augen, und er hatte das Gefühl, als senke sich die Decke des Saals auf ihn nieder und begrabe ihn unter ihrem Gebälke. Die Gesellschaft sah plötzlich die mächtige Gestalt des Konsuls wanken, das Sektglas zerbrach in seiner Hand und die Scherben fielen klirrend auf den Teller. Im nächsten Augenblick wurden die Augen des Mannes gespenstig groß und starr, dann kam der dumpfe Schrei „Luft!“ von seinen Lippen und er brach zusammen.

(Fortsetzung folgt.)




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Prosit Neujahr!

Gesundheit und ein langes Leben!
Eine hygieinische Betrachtung von Dr. J. H. Baas.

Prosit Neujahr! Gesundheit und ein langes Leben!“ In dieser Form brachte man sich in Volkskreisen am Rheine bis vor nicht langer Zeit allgemein den Neujahrsglückwunsch dar, während heute die Kultur, die alle Welt beleckt, schon bis in das einfache Dorf hinein die nüchterne oberflächliche Glückwunschkarte verbreitet hat. Sinnvoller als diese letztere war der alte Brauch gewiß, denn jener Spruch enthält in seinem zweiten Theile doch einen Wunsch, zu dessen Erfüllung jedermann durch eigenes Zuthun, durch eigene Thatkraft beizutragen vermag. Wie dies geschehen kann und soll, das wollen wir unseren Lesern als wohlgemeinte Neujahrsgabe im Folgenden kurz darlegen.

Gesund zu bleiben und alt zu werden – wann soll man anfangen, diese hohen Güter in Sicherheit zu bringen? Darauf antwortet die Gesundheitslehre, daß dies schon viel früher geschehen muß, als die meisten denken. Ist es doch eine altbekannte Thatsache, daß es Familien giebt, deren Glieder sich sämmtlich einer fröhlichen Kraft- und Lebensfülle erfreuen, und wieder andere, die von jeher mit erblichen Krankheiten belastet sind! Mit anderen Worten: Gesundheit und Altwerden sind in hohem Maße übertragbare Güter, wahrhafte Erbstücke. Schon bei jener Prüfung also, ob sich das Herz zum Herzen findet, sollten diejenigen, die es angeht, ebenso ernstlich prüfen, ob auch Gesundheit sich zu Gesundheit findet. Jedermann erhält ja gleichsam eine Anweisung auf eine gewisse Summe von Lebenskraft in die Wiege gelegt, deren Höhe und einlösbaren Betrag die ewig sich Bindenden bestimmen. Deshalb ist es auch von Wichtigkeit, in welchem Lebensalter die Ehen geschlossen werden; geschieht dies in zu frühem oder zu spätem Alter, oder sind die Gatten an Jahren zu sehr verschieden, so erleidet jenes Erbgut schon eine Verringerung. Wem aber diese Forderungen etwa zu unpoetisch und nüchtern erscheinen sollten, dem mag zur Beruhigung gesagt sein, daß darum die Lyrik nicht aufhören wird, zu blühen.

Das ins Leben mitgebrachte Gesundheitskapital muß aber auch erhalten und soviel wie möglich vermehrt werden.

Zunächst geschieht dies durch richtige Ernährung und Pflege des Kindes, beide liefern die besten Steine für die Grundmauern eines sicheren und starken Lebensbaues. Wird dieser in der Kindheit mangelhaft oder schlecht gegründet, so bricht er entweder langsam vor der Zeit auseinander oder er stürzt bei Krankheitsstürmen, die ja in keinem Leben ganz ausbleiben, jäh in sich zusammen. Trotz aller gemeinverständlichen Belehrungen über zweckmäßige Kinderhaltung wird aber fort und fort dagegen gesündigt, ganz besonders in den Kreisen, die auf ihrer Hände Arbeit angewiesen sind und für die darum körperliche Gesundheit alles bedeutet. Und was in dieser Beziehung in der ersten Kindheit versäumt worden ist, kann in der Folge nur schwer oder gar nicht mehr gut gemacht werden. Auch die meist zu kurz bemessenen Aufenthalte in Ferienkolonien, so wohlthätig sie wirken, dürfen doch nicht, wie heutzutage gerne geschieht, als eine Art Allheilmittel betrachtet werden. Darum ist und bleibt ein Hauptgebot: pflege

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_010.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2024)