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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Wir bringen eine Neuigkeit, welche alle finsteren Gedanken aus Deinem Kopfe verscheuchen wird, mein Freund!“ – Rosita sagte es mit strahlendem Lächeln und trat an die Seite des Grafen. Dieser verbeugte sich leicht und erklärte in ehrerbietigem Tone: „Herr Konsul, ich liebe Ihre Tochter Bettina und bitte Sie um deren Hand. Es würde uns alle glücklich machen, wenn Sie den Gästen Ihres Hauses noch während dieses herrlichen Festes unsere Verlobung anzeigen wollten.“

Der Hausherr antwortete nicht sogleich; seine Blicke glitten prüfend von der Tochter zu dem hochgewachsenen Aristokraten hinüber, dann nach einer Weile fragte er: „Liebst Du den Grafen Trachberg, Bettina?“

Das Mädchen nickte stumm.

„Ihr Antrag, Herr Graf, überrascht mich derart, daß ich eine Entscheidung in dieser Stunde unmöglich treffen kann. Gewiß, Sie zu meiner Familie zählen zu dürfen, erscheint mir ehrenvoll – – indessen –“

Bevor der Konsul seine Bedenken geltend machen konnte, wurde er von seiner Frau und dem jungen Ehepaar mit Bitten bestürmt. Mathilde theilte den Ehrgeiz ihrer Stiefmutter, in der großen Gesellschaft eine hervorragende Rolle spielen zu wollen. Was aber konnte der Persönlichkeit mehr Glanz und Würde geben als ein stolzer Titel, ein hoher Rang? Von ihrer Schwester als einer Gräfin Trachberg reden zu können, schmeichelte ihrer Eitelkeit eben so sehr wie Frau Rosita der Gedanke, in der gräflichen Equipage die Rennen besuchen zu können. Beide Damen fanden es unbegreiflich, daß der Vater Bettinas den Grafen nicht jubelnd in die Arme schloß. Auch Herr von Voßleben wünschte, daß das verwandtschaftliche Band, welches bisher zwischen ihm und den Trachbergs nur ein loses gewesen war, durch die Verschwägerung befestigt werde. Diese drei Bundesgenossen der Liebenden wußten die Einwendungen des Vaters, daß Bettina wie der Graf sich erst näher kennen und prüfen müßten, durch eine Reihe von Scheingründen zu widerlegen. Als jedoch der Konsul von der Vermögenslage sprach, die um der gesellschaftlichen Verpflichtungen willen bei dem jungen Paare eine besonders günstige sein müsse, wurde Trachberg bedenklich, und als Wesdonk weiterhin auf die schwankenden Glücksumstände des Kaufmanns hinwies und gar eine Andeutung fallen ließ, daß sein Haus vor einer wichtigen Entscheidung stehe und daß es schwer, ja geradezu unmöglich sei, Bettinas Zukunft sicher zu stellen, da war der edle Freier innerlich entschlossen, von der Veröffentlichung der Verlobung an diesem Abend abzustehen.

Bevor er jedoch seinen Verzicht aussprechen konnte, trat Rosita in den Mittelpunkt des Kreises: Sie fühlte, daß jetzt der Augenblick gekommen sei, den Gatten durch ihre Großmuth zu beschämen. Ein erhabener Entschluß stieg in ihrer Seele auf, und mit königlicher Miene sprach sie feierlich: „Bettina, theuerstes Kind, wenn Dein allzu gewissenhafter Vater seine Vermögensumstände als schwankend bezeichnet, so muß ich es wohl gestehen, daß ich ein persönliches Vermögen von 450 000 Mark besitze, das keinen Zufällen unterworfen ist. Sollte Dein Vater jemals nicht in der Lage sein, Dir die Mittel für eine standesgemäße Lebensführung zu gewähren, so trete ich für ihn ein. Durch Geldverlegenheiten soll das Glück Eurer Ehe niemals getrübt werden, das verspreche ich Dir, das verspreche ich Ihnen, mein lieber Graf.“

Trachberg athmete erleichtert auf und küßte dankend die Hand, welche Frau Rosita ihm reichte.

Nun war die letzte Verschanzung gestürmt, welche der sorgenvolle Handelsherr aufgebaut hatte, und so beantwortete er den bittenden Blick seiner Tochter mit einem innigen Kuß. „Der Wunsch, Dich glücklich zu sehen, läßt mich übereilt handeln,“ sagte er leise; dann wandte er sich an den Grafen: „Trotz schwerer Bedenken will ich Ihrem Wunsche willfahren und der Gesellschaft die Verlobung noch heute anzeigen, wenn Sie mir versichern können, Herr Graf, daß Sie meine Tochter um ihrer selbst willen lieben und daß Sie als ihr Gatte redlich bestrebt sein werden, Bettina glücklich zu machen.“

Trachberg, welcher nach der Erklärung der Hausfrau in der Bedenklichkeit des Konsuls nur noch die spießbürgerliche Peinlichkeit des ehrenfesten Kaufmanns sah, lächelte überlegen und antwortete mit einem zärtlichen Blick auf das Mädchen: „Meine Gefühle für Ihr Kind, Herr Konsul, können nicht durch äußere Umstände beeinflußt werden. Ich hoffe, Sie während unserer Verlobungszeit überzeugen zu können, daß nicht nur mein Name, mein Rang und meine Stellung in der Gesellschaft Sicherheit für das Glück Bettinas bieten, sondern auch meine persönlichen Eigenschaften.“

„Nun, so heiße ich Sie als Schwiegersohn frohen Herzens willkommen.“ Wesdonk reichte dem Grafen die Rechte, und der Bund war geschlossen. „So laßt uns denn zur Gesellschaft gehen!“

„Aber Papa!“ rief Bettina mit glücklichem Lachen, „so willst Du eine der feierlichsten Handlungen Deines Lebens vornehmen, ohne Frack und weiße Binde?“

„Entschuldigt meine Zerstreutheit und geht voran!“ Der Konsul wandte sich rasch seinem Ankleidezimmer zu.

In seiner Seele war ein Aufruhr, der den Frühlingsstürmen glich; über die lichten Glücksempfindungen, welche der Gedanke an Bettinas Verlobung hervorrief, huschten finsteren, drohenden Wolken gleich die Fragen: „Was antwortest Du den Fabbris? Was hast du Ihnen zu bieten? Was wird aus Dir, wenn Deine Hilfe den Sturz dieses Hauses nicht aufhält?“ Jetzt, da er wieder allein war, kam die gespenstige Sorge zurück, und er hatte die Empfindung, als sauge sie ihm Blut und Lebensodem aus. –

Hastig schlüpfte er in den Frack und eilte aus dem engen Raum, dessen Luft ihm dumpf und schwer erschien. Im Arbeitszimmer riß er die zum Balkon führende Thür auf und trat mit einen Ausruf der Erleichterung hinaus. Hier wehte ihm der kühle Nachtwind entgegen und trug vom Thiergarten her den Duft des sprossenden Waldes, der grünenden Rasenflächen. Als seine Blicke über den Garten und den dunklen Park hinschweiften, drang aus den regungslosen Baumgruppen eine süße, lockende Vogelstimme herüber. Eine Drossel sang ihr Liebeslied und rief in seiner bewegten Seele traumhafte Bilder aus der Vergangenheit wach. Die funkelnde Sternensaat, welche jetzt aus den dunklen Himmelstiefen so goldig und verheißungsvoll auf ihn niederblickte, führte seine Gedanken in die Ferne, zu jenen Inselgruppen, auf denen er seine Jugendjahre verlebt hatte. Ihm erschienen in diesem Augenblick jene weltverlorenen Inseln wie Eilande des Friedens inmitten der unruhvollen Gegenwart, wie das Land der Seligen, von dem die Kampfesmüden träumen …

„Papa, lieber Papa, wo bleibst Du denn? Wir sind schon zu Tisch gegangen, und nur Dein Platz ist noch leer!“ Es war Bettinas Stimme, welche den Konsul jäh aus seinem Sinnen aufstörte. Und jetzt trat sie mit glühenden Wangen und leuchtenden Augen zu ihm hinaus auf den breiten Balkon. „Aber bester Papa, was suchst Du denn hier draußen in der Dunkelheit? Drunten ist’s weit schöner! Der Saal erstrahlt im Licht der Kerzen, und hundert frohe Menschen ergötzen sich drin. Komm doch hinunter!“

Wesdonk legte mit liebevoller Bewegung den Arm um sein blühendes Kind und sagte: „Was ich suche, Bettina? Die Natur, der ich seit lange, lange entfremdet bin. Hörst Du den Schlag der Drossel, athmest Du den herben Duft der erwachenden Erde, siehst Du die Gestirne funkeln? Mein Kind, als mich eben der erste Frühlingshauch berührte, gingen mir seltsame Erinnerungen durch den Sinn. Es giebt Augenblicke, wo die Ereignisse auf uns eindringen wie die hochgehenden Wogen der sturmbewegten See. Alles drängt vorwärts, einer großen Entscheidung zu, aber mitten im Gewirre berührt uns ein Naturlaut und lenkt unsere Blicke rückwärts. Das ist seltsam – nicht wahr?“

„Gewiß, Papa, aber die Gesellschaft –“

„Sie wird mich noch fünf Minuten entbehren können. Bettina, mir ist beklommen ums Herz … Du stehst gleich mir vor einem großen Wendepunkt Deines Lebens, und wir wissen nicht, wie die Lose fallen. Ich hoffe, daß Dir die glücklichste Zukunft bevorsteht, aber je höher unser Weg aufwärts führt, desto mehr droht der Absturz. Ich habe soeben in Gedanken mein Leben überflogen, und weißt Du, Bettina, wo ich am glücklichsten war? Auf den weltentlegenen Inseln des Stillen Oceans. Dort, wo ich mitten unter einfachen Naturmenschen Pflanzungen anlegte und in den Erholungsstunden schwamm, ruderte, plauderte und mich an kindlichen Spielen erfreute, dort war ich frei und glücklich. Sobald ich in die Kulturwelt zurückkehrte, ging die Sorge

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