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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Mann in einer Mönchskutte den Thürschmuck herabgerissen und suchte jetzt die Flammen auszutreten. Bettina wollte ihn in diesem Bestreben unterstützen, er aber schob sie zurück und rief: „Achtung! Ihr Kleid kann Feuer fangen!“ Die Rauhheit des Tones verstimmte das Mädchen, während ihr zugleich das sichere Wesen des Fremden Achtung einflößte. Als eben ein Diener Wein und Selterwasser aus der Küche vorbeitrug, riß der Fremde zwei Flaschen vom Präsentierteller, schlug sie gegen einander, daß sie zerbrachen und der Inhalt wie ein Platzregen auf die verlöschenden Flammen niederfiel.

Franz Rott, der Mann in der Mönchskutte, war Geiger und hatte sich durch seine spanischen Freunde überreden lassen, in dem Festspiel mitzuwirken. Bettina begegnete ihm zum ersten Male, und als die prasselnde Falmme in sein bärtiges Gesicht hineingeleuchtet, hatte das Mädchen zwei blitzende blaue Augen und ein kühnes Profil gesehen, aber nur auf einen Augenblick. Das Feuer war im Nu gelöscht, und nun schritt sie ohne ein Wort des Dankes ihrem Schlafzimmer zu, um sich für ihre Rolle umzukleiden.

Das Festspiel schloß mit einer Schaustellung ab, die den Tanz der Chorknaben in der Kathedrale von Sevilla an Ostern und am Himmelfahrtsfeste zum Gegenstand hatte. Im Wintergarten war, so gut es ging, der Chor der Kirche nachgeahmt worden, aus dessen Stühlen man einige Mönchsgestalten hervorragen sah. Im Hintergrunde öffnete sich eine breite Thür, und heraus traten unter Führung eines Mönchs acht schöne als Pagen gekleidete Mädchen, in trachten aus der Zeit Philipps II. Das Haar ließen sie offen und gelockt auf die Schultern niederfallen. Als diese schmucken Pagen sich zu einem Menuett aufgestellt hatten, ergriff der Mönch eine bereit liegende Geige und stimmte eine einfache, feierliche Melodie an. Sechs Streichinstrumente fielen ein, und Klänge, so rein und süß, als ob sie dem Himmel entschwebten, zogen durch den Saal und verbreiteten eine andachtsvolle Stimmung. Und nach einer Weile verband sich mit diesem Konzert der Geigen der Gesang der Mädchen. Mit wohlklingenden Stimmen sangen sie ein altspanisches Kirchenlied und führten dazu jenen seltsam feierlichen Tanz auf, welcher in Sevilla am Osterfest und Himmelfahrtstage die nach Tausenden zählende Gemeinde der Andächtigen entzückt. Bettina und Lisa standen sich als erstes Paar gegenüber und wirkten durch den Gegensatz anziehend. Lisa mit ihren schwer niederwallenden Haaren, die sich in der Bewegung dunkel glänzend hoben und senkten, mit ihren funkelnden Augen und den scharfgezeichneten Brauen sah aus wie ein echtes Kind des heißen Andalusiens. Bettina aber glich mit ihrem röthlichen Haar einer jener schlanken kraftvollen Baskinnen. Es war gut, daß die feurigere Freundin ihr gegenüberstand, denn diese lockte sie bald aus ihrer schüchternen Haltung heraus. Nun schien es Bettina, als werde sie von der Musik auf Schwingen getragen, ihre Haltung wurde freier und edler, ihr Gang beflügelte sich und allmählich war jede ihrer Bewegungen von Zauber umflossen. Die Scene wurde durch Wachskerzen beleuchtet. Neben Bettina erhob sich ein Kandelaber, dessen Kerzen goldene Lichter auf ihr Gesicht warfen. Neben dem Kandelaber stand Franz Rott, der als erster Geiger die Führung des Streichorchesters hatte. Mit glänzenden Augen folgte er ihrer Gestalt und meinte, nie im Leben ein lieblicheres Frauenbild gesehen zu haben. Sie sang das Kirchenlied mit heiligem Eifer, und der rührende Ausdruck kindlicher Unschuld lag dabei in ihren Zügen, ein inniger verklärender Schein flog über ihr Antlitz. –

Der Tanz ging zu Ende und die Musik verstummte. Die begeisterten Zuschauer riefen die Pagen, die Musiker und Frau Rosita, die erfindungsreiche Veranstalterin dieses Festspiels, hervor. So oft sich der Vorhang öffnete, traten Bettina und Lisa, eng aneinander geschmiegt wie ein Schwesternpaar, vor die Rampe; das Gefühl, daß sie gemeinsam einen Sieg errungen hatten, verband sie.

Endlich verstummte der Lärm im Saale, und Bettina wandte sich der Coulisse zu. Hier stieß sie mit dem Geiger Rott zusammen. Dieser sah sie verwirrt an, wie ein Mensch, den man aus einem schönen Traume aufgeschreckt hat, und sagte in gepreßtem rauhklingenden Tone etwas, das wie „wundervoll“ klang, dann wurde er roth und trat mit einer linkischen Bewegung zur Seite.

Gleich darauf kam ihr in großer Erregung Graf Trachberg entgegen. „Fräulein Bettina!“ rief er fast athemlos, und seine Stimme war lauter als gewöhnlich, „Sie sehen mich hingerissen, berauscht! Ihnen geböhrt der Kranz am heutigen Aband!“

Er küßte wiederholt ihre Hand, und seine grauen kalten Augen zeigten einen Schimmer von Zärtlichkeit. Das Mädchen freute sich über diese unerwartete herzliche Anerkennung, und zum ersten Male kam es ihr zum Bewußtsein, daß der Graf nicht nur ein schöner, sondern auch ein interessanter Mann sei.

Trachberg mochte etwa sechsunddreißig Jahre zählen, hinter ihm lag eine bewegte Jugend, die ihn ein nach Hunderttausenden zählendes Vermögen gekostet hatte. Als Rittmeister in einem Garderegiment fühlte es sich jetzt durch allerlei Schuldverbindlichkeiten bedrückt und war zu dem Entschluß gekommen, seine Freiheit lieber einer Frau als seinen Gläubigern zu opfern. Sobald diese weise Einsicht in seiner Seele durchgedrungen war, hatte er sich unter den Erbinnen des Landes umgeschaut, und durch die Verlobung seines Vetters Voßleben waren seine Blicke auf Bettina Wesdonk gelenkt worden. Er war nicht der Mann grauer Vorurtheile, und eine Million aus der Hand des Konsuls Wesdonk erschien ihm genau so vollwerthig und annehmbar als eine aus der Hand adliger Schwiegerväter. Wesdonk galt für einen Millionär, obgleich niemand einen klaren Einblick in seine Verhältnisse hatte; zum mindesten lebte er wie ein solcher. An diesem Abend aber hatte Graf Trachberg so glänzende Eindrücke in dem Hause des Konsuls empfangen, daß er beschloß, sich heute noch zu erklären. Und wie er nun dem erglühenden Mädchen gegenüberstand, empfand sein leichtbewegliches Herz sogar etwas wie Liebe, seine harte schnarrende Stimme wurde weicher, einschmeichelnder, und es kamen Liebesversicherungen von seinen Lippen, aus denen das junge Mädchen den innigen Ton echten tiefen Gefühls herauszuhören meinte. Und dieser Ton fand in ihrer Seele einen leisen Widerhall. Als nun der Graf, durch ihre halb fragenden, halb bewundernden Blicke kühn gemacht, seinen Arm um ihre Schulter legte und sie in jener verhaltenen bebenden Sprache, welche unerfahrenen Mädchen stets als die der Liebe gilt, fragte: „Darf ich Dich als die Meine betrachten, süßes, angebetetes Herz?“, da ließ sie es geschehen, daß er sie an sich zog und einen Kuß auf ihre Stirn preßte.

In diesem Augenblick näherte sich Frau Rosita den beiden. Sie schien erst erschreckt und verstimmt zu sein, im nächsten Augenblick aber breitete sie die Arme weit aus und rief: „Welche Ueberraschung! Bettina, mein Herzenskind, lieber Graf – – eine größere Freude, ein stolzeres Glück hätte diesem Hause kaum zu theil werden können! Wo ist Mathilde, wo unser lieber Voßleben? Ach, was werden sie zu diesem Ereigniß sagen; schöner konnte ihr Aufenthalt in Deutschland nicht abschließen, als mit dieser Verlobung!“

Sie eilte fort, um das junge Paar herbeizurufen, allein kaum hatte sie den Saal wieder betreten, so legte sich mit festem Griff eine Hand auf ihren Arm und eine zitternde Stimme fl+sterte ihr zu: „Folge mir auf mein Zimmer, ich habe dringend mit Dir zu sprechen, Rosita!“

Die Kreolin wandte sich mit dem Ruf „Ah, Du thust mir weh!“ dem Sprecher zu. Sie wollte entgegnen, daß sie jetzt keine Zeit habe – als sie jedoch in das bleiche Gesicht des Mannes sah, der in der Linken eine Depesche hielt, verstummte der Einwand auf ihren Lippen und sie erwiderte leise: „Ich komme, geh’ nur voran!“

Der Mann wandte sich hastig durch die Menge, und Frau Rosita, die wieder ihr verbindliches Lächeln gefunden hatte, folgte ihm nach einer Weile in schmiegsamer Bewegung.




2.

Konsul Wesdonk hatte sein Arbeitszimmer im ersten Stock erreicht. Nach Luft ringend, blieb er an der Thür stehen; der kurze Aufstieg über die Treppe hatte ihn außer Athem gebracht. Daran war mehr die furchtbare Erregung, die sich seiner bemächtigt hatte, als die Anstrengung schuld. Ihm war zu Muthe, als müsse er ersticken, und mit zitternden Knieen schritt er nach einer Weile zu dem vor dem Schreibtisch stehenden Sessel und ließ sich ächzend in denselben niederfallen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_003.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)