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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Gäste durften erwarten, daß ein Stückchen echten Volkslebens an ihnen vorüberrauschen werde, denn Frau Rosita, die zweite Gemahlin des Konsuls, war eine spanische Kreolin und zählte zu ihren Freunden eine Anzahl junger Spanier und Italiener, welche Deutschland besucht hatten, um ihre Kunststudien zu vollenden. Diese Südländer zeigten sich stets bereit, ihr Können in den Dienst ihrer gütigen Beschützerin zu stellen. Frau Rosita aber folgte dem Geselligkeitstrieb wie der Schmetterlingsjäger dem Falter. In der Veranstaltung glänzender Feste, im geselligen Verkehr mit einem weiten Bekanntenkreis, im Besuch von Künstler-Ateliers, Konzerten und Theatern bestand ihre Lebensaufgabe. Und sie nahm diese Aufgabe sehr ernst. Wenn es irgend eine Aufführung in ihrer Villa galt, bewältigte sie die Arbeit von mindestens drei Personen. Sie opferte ihre Tage, um Kostüme zu beschaffen und anzupassen, ihre Abende, um Proben abzuhalten, und ihre Nächte, um Einladungen zu schreiben.

Während der Verlobung und Vermählung ihrer Stieftochter Mathilde hatte sie mit ihren Leistungen sich selbst übertroffen. Die Villa Wesdonk glich in dieser Zeit einem Taubenschlag; ein Fest folgte dem andern, und Frau Rosita, welche während des Tages alle Repräsentationspflichten in liebenswürdigster Form erfüllte, hatte noch die Zeit gefunden, immer neue Veranstaltungen zu planen und ihnen stets ein eigenartiges Gepräge zu geben.

Unermüdlich im Dienste des Vergnügens, begrüßte sie auch heute ihre Gäste mit so hellaufflackernder Freude, als habe sie jahrelang vergebens nach dem Anblick dieser weltmüden Börsengrößen, dieser leichtlebigen Künstler und steifnackigen Kommerzienräthinnen geschmachtet, die in der Thür des Salons erschienen. Sie hatte ein dunkles mit rothen Blumen geschmücktes Gewand angelegt, welches die Ueberfülle ihrer Formen geschickt verhüllte. Während ihre Bewegungen sonst, wenn sie sich nicht beobachtet wußte, müde und träge erschienen, zeigten sie jetzt eine Anmuth und Geschmeidigkeit, die man bei ihrer Körperfülle nicht erwartet hätte. Ihre dunklen, mandelförmigen Augen, die gewöhnlich schläfrig unter den Wimpern hervorlugten, umfaßten jetzt scharf die durcheinander wirbelnde Menschenfluth, und mit leichtem Schritt eilte sie zu den Gästen, vereinte gleichartige Paare zu Gruppen, vermittelte Bekanntschaften von Fremden, ordnete daneben das Nöthige zum Festspiel an und war gleich darauf wieder bei der Thür, um verspätete Ankömmlinge mit bezaubernder Liebenswürdigkeit willkommen zu heißen. Frau Rosita übertraf alle ihre Bekannten in der Kunst, im Kreise der Gäste eine heitere Stimmung hervorzurufen. Die strahlenden Kronleuchter, das bunte Gewühl und Wogen der Menge, das Knistern und Rauschen der Roben, das Schillern und Blitzen der Brillanten – das entflammte ihr Blut und verlieh ihrer Schmetterlingsnatur Flügel. Aber ihre Seele glich der leichtbewegten, sonnüberblitzten See: dicht neben der Glanzseite ihres Wesens lagen Schatten. Eben noch hatten ihre Augen einem jungen Künstler entgegengeleuchtet, eben hatte ihre Hand sanft den Druck der seinigen erwidert und ein Lächeln die vollen Lippen geöffnet, da traf ihr Blick auf eine müßig in der Vorhallte stehende Dienerin. Mit einer hastigen Bewegung huschte sie durch die Thür, die Hand, die so sanft streicheln konnte, umspannte hart den Arm des Mädchens, und unter zornspühenden Blicken herrschte sie die Ueberraschte an: „Haben Sie nicht Besseres zu thun, als Ihre Dummheit zur Schau zu stellen? Reichen Sie Thee herum – vorwärts!“ – In der nächsten Sekunde schon traf ein schmachtender Blick den raphaelischen Kopf eines Florentiners, der als Maler die Scenerie zum Festspiel geliefert hatte, und mit weicher seelenvoller Stimme begrüßte sie ihn.

Im Salon vollzog sich eine auffällige Bewegung. Das junge Paar, dem zu Ehren dies Fest veranstaltet wurde, ging langsam durch die Menge, um seine Plätze vor der Bühne einzunehmen. Der Schwiegersohn des Konsuls war ein heiterblickender Blondkopf, dessen stramme Haltung und üppiger Schnurrbart eher auf den Soldaten als auf den Diplomaten hätte schließen lassen. Mit verbindlichem Lächeln nahm er die Begrüßungen der Freunde entgegen. Mathilde, seine junge Frau, war schlank und hochgewachsen, sie trug den Kopf stolz und bewegte sich in etwas steifer und kühler Haltung durch die Schar der sie umdrängenden Gäste. Sie war sich ihrer bevorzugten Stellung in der Gesellschaft bewußt und nahm die dargebrachten Huldigungen mit herablassender Freundlichkeit entgegen. Einen starken Gegensatz zu dieser dunkelhaarigen ernstblickenden Tochter des Konsuls bot in Erscheinung und Wesen Bettina, die jüngere der beiden Schwestern. Sie war etwas kleiner wie Mathilde, hatte rothblondes Haar und träumerische blaue Augen, die mit dem Ausdruck kindlichen Erstaunens in die Welt schauten. Ihr zartgebildetes Gesicht wies einige Sommersprossen auf, und neben der klassischen Schönheit ihrer Schwester verblaßte die ihrige. Obgleich sie schon zwanzig Jahre zählte, lag etwas Schüchternes, Weltfremdes in ihrem Wesen, während sie in bescheidener Haltung hinter der Schwester herschritt.

An ihrer Seite befand sich Graf Trachberg, ein Vetter ihres Schwagers; er trug die Uniform eines Garde-Kavallerie-Regiments, allein seine schlanke Gestalt, seine geschmeidigen Bewegungen, sein süßliches Lächeln ließen ihn eher für den Dienst der Höfe als den des Kriegsgottes geeignet erscheinen. Er war sichtlich bemüht, Bettinas Aufmerksamkeit zu fesseln, diese aber schaute mit verträumten Augen in das Gewühl, und ein Seufzer der Erleichterung kam von ihren Lippen, als sie den ihr für die Schaustellung angewiesenen Platz erreichte. Frau Rosita umarmte und küßte ihre Stieftöchter mit echt mütterlicher Zärtlichkeit, bat dann die plaudernden Gäste, ihr Plätze einzunehmen, und gab das Zeichen zum Beginn des Festspiels.

An den Salon der Villa stieß unmittelbar der Wintergarten, der zum Bühnenraum umgeschaffen war. Als sich der breite Vorhang hob, zeigte sich in wunderbarer Mondbeleuchtung der San Fernandoplatz von Sevilla. Studenten und Toreros in malerischen Trachten begegneten einer Schar phantastisch gekleideter Zigeunerinnen und forderten die dunklen Schönen mit lautem Zuruf zum Tanze auf. Als die Zigeunerinnen zögerten, griffen die Burschen zu ihren Guitarren und einer der Toreros stimmte eine Tanzweise an. Der Chor sang in dumpfen Kehllauten mit, bis die schönste der „Gitanas“ der Herausforderung eines Torero folgte und den Fandango zu tanzen begann. Während diese beiden nun den Oberkörper wiegten, sich bald in träumerischer, bald in leidenschaftlicher Bewegung entgegenkamen, dann wieder jauchzend die Arme emporwarfen und sich im Kreise drehten, schwirrten die Saiten der Instrumente, stampften die Füße der Zuschauer den Takt, und von Zeit zu Zeit spornte ein feuriges Wort die Tanzenden zu immer rascheren Bewegungen an, bis nach einer Weile die Musik sanfter, das Tempo langsamer wurde und das Jauchzen und Stampfen nachließ. Ein neckisches Verfolgen und Entschlüpfen, ein anmuthiges Wiegen der Hüften und Neigen des Kopfes begann, bis die Bewegungen immer träumerischer, fast geisterhaft wurden, und beide Tänzer im Dunkel des Hintergrundes entschwebten.

Als sich der Vorhang gesenkt hatte, brachen die Zuschauer, selbst mitgerissen von den Rhythmen der Musik und des Tanzes, in lauten Beifall aus. Man rief jubelnd die Namen des Tänzerpaares, welches von einem jungen spanischen Cellisten und Lisa Horst, einer Freundin der Wesdonks, dargestellt worden war. Diese war Berlinerin, allein mit ihrem schwarzen Haar, ihren dunklen Augen und ihrem heißblütigen Wesen machte sie den Eindruck einer Südländerin. Ihr Partner hatte ihr den Tanz einstudiert, und bei der Ausführung ließ sie sich von der Musik entflammen und berauschen. Als sie jetzt nochmals dankend auf der Bühne erschien, glühten ihre Wangen, ihre Augen strahlten vor Jubel über den glücklichen Erfolg. Wie das Sinnbild überquellender Jugendlust und Lebensfreude erschien sie an der Seite des anmuthigen, zierlichen Spaniers. Als sie dem in der ersten Reihe sitzenden Vater, dem Sanitätsrath Horst, zunickte, röthete sich das blasse Gesicht des ernsten, vielbeschäftigten Arztes vor heimlichem Stolze.

Der Tanz hatte auch Bettina Wesdonk aufgerüttelt; sie klatschte lebhaft Beifall und rief den Nachbarn zu: „Lisa tanzt hinreißend –“

Eine Hand legte sich auf die Schulter des erregten Mädchens, und als sie zur Seite blickte, flüsterte ihr die Stiefmama zu: „Beeile Dich, mein Herz, die Pause währt nur zehn Minuten.“

Im zweiten Theile des Festspiels sollte Bettina mitwirken. Als sie den Salon verließ, um sich im Schlafzimmer eilig in einen Pagen zu verwandeln, mußte sie den halbdunklen Hausflur überschreiten. Ein Feuerschein erschreckte sie. Von den zahlreichen Gewinden aus Tannenzweigen, die sich um die Flügelthüre des Festsaals schlangen, hatte eines Feuer gefangen, und die Flammen loderten zur Decke auf. Bettina sprang beherzt hinzu, allein bevor sie die brennenden Gehänge erfassen konnte, hatte bereits ein

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_002.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)