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verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

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Blätter und Blüthen.

An des Jahres Wende. Die letzte Hand am Werke eines Jahres! Wir fügen diese Nummer zu ihren vorausgegangenen Schwestern, und mit ihr ist wieder ein „Gartenlaubeband“ vollendet, der neununddreißigste!

Unser Auge ruht nachdenklich auf der stattlichen Bändezahl, die da aufgereiht vor uns steht in unserem Zimmer. Was hat sie uns nicht alles zu sagen! Sie erzählt von kühnem Entschluß und zähem Ausharren, von eifriger Arbeit und frohem Schöpferdrang, von tapferem Ringen und auch von manch schönem Siege. Sie erhebt uns, sie erweckt in uns Gefühle der Genugthuung, daß uns soviel gelingen durfte; sie flößt uns Hoffnung und Muth ein auch für die Zukunft – die alten Sterne, welche über der „Gartenlaube“ nun neununddreißig Jahre gestrahlt, werden ihr auch künftig treu bleiben. Und sie macht uns wieder bescheiden – sie läßt uns fragen: ist der Band, den wir heute abschließen, um ihm bald neben dem von 1890 seinen Platz auf dem Bücherbrette anzuweisen, ist er auch würdig seiner Vorgänger, sind wir den alten Sternen treu geblieben, die bisher der „Gartenlaube“ vorangeleuchtet?

Auf solche Frage selbst die Antwort „ja“ zu geben, wäre vermessen. Wir können nur sagen: wir glauben, den alten Sternen treu geblieben zu sein, wir glauben, festgehalten zu haben an den alten Grundsätzen, wir glauben, fortgeschritten zu sein in der Richtung, welche die Vergangenheit uns vorgezeichnet hat. Und daß wir dies glauben, dazu haben neben den Stimmen unseres eigenen Innern auch die Leser uns das Recht gegeben. Auch sie sind uns treu geblieben durch alle die Jahre her, auch sie haben durch ihre stetige unveränderliche Theilnahme uns in dem Vertrauen bestärkt, daß wir thatsächlich nach wie vor auf dem rechten Wege sind.

So legen wir denn ruhig festen Sinnes die letzte Hand an das Werk dieses Jahres!

Und wenn jetzt diese Nummer hinauswandert in die Welt, wenn unsere Freunde draußen im Vaterlande und in allen Erdtheilen sie erhalten, sie lesen und dann dem nunmehr fertigen Bande zugesellen, wenn dieser Band seine Stelle einnimmt an der Seite seiner Vorgänger, mögen dann auch unsere Leser mit freundlichen Gedanken vor der Reihe stehen, welche sie sich gesammelt haben und aufbewahrt als einen lieben Familienbesitz. Mögen sie umweht sich fühlen von den Geistern ernster Arbeit und fröhlicher Erholung, welche in diesen Blättern gebannt sind, mögen sie mit zufriedenem Herzen der Fülle dessen gedenken, was sie im Laufe der Jahre aus diesem Quell an Wissen und Genuß geschöpft haben. Dann verbindet uns ein starkes geistiges Band, das auch ferner die Probe halten wird, das sich nicht lockert, sondern nur um so fester sich knüpft von Jahr zu Jahr! Die Redaktion.     

In Vertheidigung. (Zu dem Bilde S. 888 und 889.)

„Mädchen mit stolzen
Höhnenden Sinnen
Möcht’ ich gewinnen –“

heißt es im Soldatenlied. Aber Schelminnen wie die, welche hier der Italiener Vinea auf die Leinwand brachte, so verteufelt hübsche und verzweifelt lachlustige Florentinerinnen, wie gewinnt man die? … Mit dem gewöhnlichen Sturmangriff sicher nicht, den schlagen die blitzenden Augen und lustigen Lachmündchen ohne weiteres ab. Man muß es mit Zierlichkeiten versuchen, die zugleich den allerfeurigsten Herzenszustand offenbaren.

„Kühn ist das Mühen –“

jawohl, denn mit Guitarrespielen Eindruck machen wollen, wenn man es nicht gelernt hat, ist ein kühnes Wagestück –

„Herrlich der Lohn!“

Sehr unwahrscheinlich! … Doretta hält sich verzweifelt die Ohren zu, der Krug aber im Händchen der bildschönen Luisella wippt gerade so unternehmend, als ob er sehr rasch mit Wasser gefüllt und einem allzu Kühnen ins Gesicht geleert werden könnte. Und der alte dicke Hauptmann, durch dessen weinschweren Schädel soeben diese Erwägung zieht, blickt wohlgefällig schmunzelnd auf das Blitzmädel und ihre entschlossene Haltung herab. Es steht sehr zu fürchten, daß der feindlichen Macht am Ende nichts übrig bleiben wird, als die Belagerung aufzuheben und auf ehrenvollen Rückzug zu denken. Denn leider, leider! Die Mädels sind schlau und wissen nur zu gut, daß unter allen Umständen schließlich

„Die Soldaten
Ziehen davon!“ Bn.     

Die Langschläferin von Grambke. Gelegentlich der Versammlung der deutschen Naturforscher und Aerzte in Halle veröffentlichte Professor Ebstein die Geschichte einer Langschläferin, welche im Vergleich zu den anderen Fällen von Langschläfern sich durch einige seltsame Umstände auszeichnet und auch die Aufmerksamkeit weiterer Kreise verdienen dürfte.

Die Kranke ist die 28jährige Tochter eines Landmannes in Grambke, unweit von Bremen. Sie hat schon wiederholt an Schlafsucht gelitten, zum ersten Male im Jahre 1878. Sie litt an Melancholie, welche mit einem längeren, öfter ununterbrochenen Schlafe endete. Nach dem Erwachen war sie völlig gesund, bis sie im Jahre 1880 infolge des Todes einer Freundin wieder melancholisch wurde. Auf diese Verstimmung folgte ein 30 Wochen dauernder Schlaf. Die Kranke erwachte auch aus diesem gesund. Weder ihre Intelligenz noch ihr Gedächtniß hatte gelitten und sie ging mit Interesse ihren häuslichen Geschäften nach. Nur das Denken strengte sie etwas an.

Im Januar 1886 ereignete sich der dritte Anfall von Schlafsucht, aus welchem die Kranke bis jetzt nicht erwacht ist. Um jene Zeit wurde sie wegen eines leichten Falles schreckhaft und fing an zu schlafen. Während sie auf Stechen und Kneifen der Haut nicht reagiert, zeigt sie einen guten Geschmacks- und Geruchssinn, hat Durst- und Hungergefühl und giebt dasselbe durch Gähnen kund. Wird dieses dadurch gestillt, daß man ihr Speisen in den Mund einführt, so liegt sie wieder mit geschlossenen Augenlidern still da. Auch ihre Wahrnehmung scheint nicht ganz unterdrückt zu sein. Sie soll die Schritte ihrer Mutter, von der sie mit Sorgfalt überwacht wird, erkennen und einmal bei Erzählung von etwas Traurigem geweint haben. Während des Schlafes hat sie einmal Keuchhusten und einen Grippeanfall durchgemacht; dank der Leichtigkeit, mit der sie ernährt werden kann, wurde sie aber nicht mager, sondern hat im Gegentheil Fett angesetzt.

Eine Entfettungskur wollte bei ihr nicht gelingen, denn sie ißt reichlich; bekommt sie nicht genug, so fängt sie furchtbar zu gähnen an, wirft die Betten weg und wird unruhig. Sie zeigt auch zeitweise einen Widerwillen gegen gewisse Speisen; so konnte sie z. B. neuerdings kein Brot essen. Flüssige Nahrung wie Milch und Suppen verhindert nicht die beim Hungern auftretenden Gähnkrämpfe. Man hatte einmal versucht, sie einen Tag fasten zu lassen, um sie dadurch zu erwecken. Sie bekam aber infolgedessen so heftige Gähnkrämpfe, daß man von diesem Erweckungsmittel absehen mußte. In den ersten Jahren waren ihre Glieder steif, jetzt sind sie schlaff geworden und folgen mit Leichtigkeit jeder Bewegung; überhaupt scheint der Schlaf nunmehr weniger tief zu sein. Das Wesen der räthselhaften Schlafsuchterscheinungen ist bis jetzt nicht völlig aufgeklärt. Wir verweisen in Bezug darauf unsere Leser auf die Artikel über den Schlaf, die im Jahrgang 1880 unseres Blattes erschienen sind. *     

Der „Gartenlaube-Kalender“. Als Führer durchs neue Jahr und traulicher Gesellschafter in einsamen Stunden bietet der „Gartenlaube-Kalender“ sich dar. Er giebt Antwort auf alle Fragen, die man an einen Kalender stellen kann, und bringt daneben eine Fülle von Unterhaltungsstoff. Da finden wir drei Erzählungen, allen voran wieder etwas von W. Heimburg, „Großvaters Stammbuch“, eine Fortsetzung der niedlichen Skizzen „Aus meinen vier Pfählen“; die beiden andern Novellen stammen von Stefanie Keyser und A. G. v. Suttner. E. Hellmuth schildert die Entdeckung Amerikas durch Columbus, ein Ereigniß, das in einem Kalender für 1892 nicht unerwähnt bleiben durfte. Franz Bendt macht uns mit der neuesten Entwicklung der Elektrotechnik bekannt, Dr. Schäfer giebt Anleitung zur Pflege der Hand, während Schmidt-Weißenfels wieder die Ereignisse seit dem Erscheinen des letzten „Gartenlaube-Kalenders“ vor uns vorüberziehen läßt. Wer Zeit und Lust hat, kann sich an der Hand unseres Kalenders eine Geheimschrift ausklügeln, andere werden mit Begierde nach der Tabelle greifen, in welcher für alle der Landwirthschaft schädlichen Thiere Vertilgungsmittel aufgeführt sind. Zwischen dieser ernsteren Speise stecken eine Menge lustiger Scherze, nützlicher Winke, interessanter Mittheilungen, hübscher geschmackvoller Bilder, kurzum, es findet jedermann in jeder Stimmung etwas für sich in dem „Gartenlaube-Kalender“.



Inhalt: Punschlied. Gedicht von Adolf Marquardt. Mit Abbildung. S. 877. – Ein Görtenbild. Roman von Marie Bernhard (Schluß). S. 878. – Stiefmütterchen. Bild. S. 881. – Sylvesterträumen. Gedicht von Victor Blüthgen. Mit Abbildung. S. 885. – Für das Rothe Kreuz. Internationale Ausstellung für das Rothe Kreuz, Armeebedarf, Hygieine, Volksernährung und Kochkunst in Leipzig. Von C. Falkenhorst. S. 886. – Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit. Das Aluminium. Von August Hollenberg. S. 887. Mit ABbildung S. 890. – In Vertheidigung. Bild. S. 888 und 889. – Die Musik und der Volkswitz. Von Dr. August Reißmann. S. 890. – Blätter und Blüthen: An des Jahres Wende. Mit Bild. S. 892. – In Vertheidigung. S. 892. (Zu dem Bilde S. 888 und 889.) – Die Langschläferin von Grambke. S. 892. – Der „Gartenlaube-Kalender“. S. 892.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.0 Druck von A. Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil's Nachfolger, 1891, Seite 892. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_892.jpg&oldid=- (Version vom 30.8.2023)