Seite:Die Gartenlaube (1891) 891.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)


Aus dem wimmernden Klang des Sterbeglöckleins, das ihm schwermüthig ans Ohr tönt, hört das Volk nichts als die Worte heraus: „Bezahle! Bezahle!“, als eine Mahnung, sein Schuldbuch mit seinem Herrgott in Ordnung zu bringen.

Die Glocken haben überhaupt zu einer Menge tiefsinniger Sprüche angeregt. „Je höher die Glocken hängen, desto heller sie klingen“ ruft den Hochstehenden zu, ihre Reden stets so einzurichten, daß sie auch werth sind, weit gehört zu werden. Andererseits aber heißt es: „Wenn die Glocke von Leder ist und der Klöppel ein Fuchsschwanz, dann hört man die Schläge nicht weit.“

Die große Mannigfaltigkeit der Lebensinteressen wird ausgedrückt in den Sprichwörtern: „Dieselben Glocken läuten zur Hochzeit und zum Grabe“ und „Die Glocke ruft zur Kirche, geht aber nicht selbst hinein.“

Ebenso harmlos wie wahr ist es, wenn das Volk sagt: „Glocken und Narren läuten gern“ oder ein andermal: „Jeder meint, was er im Sinne hat, das läuten alle Glocken“. Und zur Vorsicht ermuntert das Wort: „Wie die Glocken am Klange, so erkennt man den Fuchs (oder Wolf) am Gange.“

Nicht weniger häufig als die Glocken werden Lied und Gesang bildlich verwendet. „Die Vögel, die früh singen, erhascht abends die Katze“, ruft warnend die Mama den übermüthigen Kindern zu, wenn sie im Ausbruch ihrer Freude keine Grenze finden können, und wohl ihnen, wenn sie sich’s auch für spätere Zeiten merken, wo sie längst der Kinderstube und dem Vaterhause entwachsen sind, wenn sie auch das andere nicht vergessen: „Süßer Gesang hat schon manchen Vogel bethört“. Süßer Gesang und gleißnerische Rede haben schon manchen in Netze verstrickt, in denen er elendiglich umkam. – Dem zaghaften Anfänger, der den Beginn der Studien verzögert, aus Furcht, damit nicht zu stande zu kommen, ruft das Sprichwort zu: „Singe, so lernst du singen!“, und es tröstet ihn: „Ein Geiger muß viel Saiten zerreißen, ehe er ein Meister wird!“; allein zugleich muß er hören: „Ein kurzes Lied ist nur bald gesungen“. Heißt es nun weiter: „Neue Lieder singt man gern“ und: „Ein gut Lied mag man dreimal singen“, so wird der, welcher das alles beherzigen soll, doch wohlthun, sich an den Satz zu erinnern:

„So gut kein Lied,
Man wird fein müd!“

Eine der weisesten Lebensregeln hält uns der Spruch vor: „Wenn man das Lied zu hoch anfängt, so erliegt man im Singen.“ Wie manches Leben ist nur deshalb rettungslos in Trümmer gegangen, weil es „zu hoch angefangen“ wurde!

Von wem es heißt: „Er kann weder singen noch sagen“, der steht gewiß recht niedrig in der Werthschätzung seiner Mitmenschen. Allein :

„Vom Singen und Sagen
Läßt sich nichts zu Tische tragen,“

das hat das Volk auch erfahren, und so läßt es sich zu der Behauptung verleiten: „Jedermann singt das Liedlein dem Loch unter der Nase zulieb!“, und noch deutlicher: „Wes Brot ich esse, des Lied ich singe“. Schon etwas verblümter klingt: „Die Orgel pfeift, so man ihr bläst“; und als Gegengewicht gegen das eben Ausgesprochene wird gesagt: „Liedlohn schreit zu Gott im Himmel!“ und jedem gerathen: „zu singen, wie der Schnabel gewachsen ist“, das heißt, wie es ihm ums Herz ist und nicht, wie es der Magen vorschreibt. Denn „Keine schönere Konkordanz, als wenn Herz und Mund zusammenstimmen.“

Daß die Welt mit Spielleuten und Sängern mitunter recht üble Erfahrungen gemacht hat, beweisen manche Sprichwörter. „Gute Singer, gute Schlinger“ meint das eine, ein anderes weiß: „Singen will Gläserspringen“, denn „Singen und wenig schlingen macht dürren Hals“. Wo daher einer stolpert, da „liegt ein Spielmann begraben“: der Spielmann, der im Leben oft strauchelte, muß nach der Meinung dieser scherzhaften Redensart auch noch im Grabe zu Fall bringen.

Beachtenswerth scheint die Aufforderung: „Wer nicht singen kann, mag pfeifen“, denn „Manches wird besser gepfiffen als gesagt“, durch Pfeifen verbrennt man sich nicht leicht den Mund, wohl aber durch ein vorschnelles Wort.

Einige alte volksthümliche Wendungen:

„Wer ein Amt kriegt, ändert sich drum,
Lunge und Leber kehren sich ihm um!“

und „Die Aemter sind Gottes, die Amtleute des Teufels“, haben unter den Musikern schon früh die entsprechende Veränderung erfahren: „Wem der Herrgott einen Taktstock in die Hände giebt, den will er zum Halunken machen!“

Nicht gerade treffend ist das Wort: „Ein Kantor gäbe einen guten Küchenmeister!“, denn etwas Gutes ißt und trinkt jeder gern, warum sollen die Kantoren eine Ausnahme machen? Noch aus alter Zeit stammt der Reim: „Geiger und Pfeifer sind keine Scherenschleifer“, er entstand damals, als die Musikanten seßhaft und für „ehrlich“ erklärt wurden und trotzdem manche geneigt waren, sie nicht viel höher zu stellen wie die umherwandernden und „unehrlichen“ Scherenschleifer.

Einen bewährten, für jeden nützlichen Rath enthält der Satz: „Wer flöten will, muß nicht nur blasen, sondern auch fingern.“ Denn mancher wäre nicht flöten gegangen, wenn er nicht nur den Mund, sondern auch die Hände gerührt und tüchtig „gefingert“ hätte.

„Am Gesang kennt man den Vogel“, sagt man wohl und will dadurch zur Vorsicht mahnen, damit man nicht einen harmlosen Singvogel zu hegen vermeint und hintennach einen nichtsnutzigen Schmarotzer gepflegt hat. Schwer ist der Rath zu befolgen: „Tanze, wenn das Glück dir pfeift“, weil dieses nur zu oft seine Melodie pfeift, ohne daß wir es merken; und mancher tanzte in dem Glauben, das Glück pfeife ihm, um zu spät einzusehen, das Unglück habe zu seinem Tanz den Ton angegeben.

In der Zeit, in welcher die Sackpfeife zu den beliebten und weit verbreiteten Volksinstrumenten gehörte, ist das Sprichwort entstanden: „Die Luft bläst die Sackpfeife auf und die Hoffart den Narren“. Wird damit dem Hochmuth ein Wink gegeben, so gilt den Lehrern und allen Erziehern, welchen Kinder zur Heranbildung für einen bestimmten Beruf anvertraut sind: „Nicht aus jedem Holz kann man Pfeifen schneiden“.

Zu den Instrumenten, welche von früh an dem Volke mächtig imponierten, gehören die Pauken und Trompeten.

Die Pauke ist unzweifelhaft eins der ältesten Instrumente, vielleicht in dem Bestreben erfunden, den Donner nachzuahmen, der über den Häuptern der Menschen grollend dahinzieht und Angst und Schrecken verbreitet. Und derjenige, welchem das mit seinem Instrument wirklich gelang, konnte wohl auch für sich ein Gefühl der Ehrfurcht erwecken. Die Pauke wurde daher früh als Zeichen der Macht angesehen. Alle obrigkeitlichen Verordnungen und Befehle wurden im alten Aegypten unter Paukenwirbel verkündet und das Instrument hieß „Nagaret“ von „Nagar“ – „Befehl“. Der Statthalter einer Provinz erhielt neben einer Fahne eine Pauke, dem Könige wurden 45 Pauken voran getragen, und je mehr die Paukenschläger sie zu bearbeiten verstanden, desto gewaltiger war die Wirkung auf die sich vor dem Herrscher im Staube beugenden Unterthanen. Später trat dann die Trompete hinzu, und im Mittelalter waren beide Instrumente derartig in Gunst gelangt, daß der Glanz der fürstlichen Höfe sich namentlich nach der geringeren oder größeren Anzahl der Trompeten und Pauken bemessen ließ. Jede nur einigermaßen bedeutsame Verrichtung der Mächtigen der Erde wurde unter Trompeten- und Paukenschall vorgenommen. Er begleitete nicht nur die wichtigen Staatshandlungen, sondern auch die Ausfahrten, den Gang zur Kirche – wie den zur Tafel und in den Ballsaal. Das „Mit Pauken und Trompeten“ wurde deshalb bald eine beliebte Redensart und ist es noch heutigen Tages; allein sie findet seltsamerweise hauptsächlich nur noch auf jene Unternehmungen Anwendung, die mit Glanz begonnen werden, aber elendiglich enden. Der Kandidat, der mit gehobenem Bewußtsein und mit siegessicherer Zuversicht ins Examen geht, fällt „mit Pauken und Trompeten“ durch! Der Bewerber um einen Sitz im Reichstag, der mit den hochtrabendsten Ankündigungen seine Wähler zu gewinnen sucht und seinen Gegner schon vernichtet zu haben meint, unterliegt mit „Pauken und Trompeten“ und „mit Pauken und Trompeten“ kracht das Aktienunternehmen zusammen, aus dem die goldenen Berge von selbst aufsteigen sollten.

Daß hiemit die Zahl der von der Musik hergeleiteten Sinnsprüche noch lange nicht erschöpft ist, gestehen wir gern zu; allein wer weise ist, der folgt der Lehre:

„Von einem guten Lied soll man nicht alle Strophen singen.“

Dr. August Reißmann.     


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 891. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_891.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)